Der Standard

„Judensau“darf an Luthers Kirche bleiben

Bundesgeri­chtshof lehnt die Klage eines Juden auf Entfernung des antisemiti­schen Schmähbild­es ab

- Birgit Baumann aus Berlin

Der Stein – oder das Tier – des Anstoßes stammt aus dem Jahr 1290. Damals wurde an der Südfassade der evangelisc­hen Wittenberg­er Stadtkirch­e in Sachsen-Anhalt – jener, in der später Reformator Martin Luther predigte – ein Relief angebracht.

Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden identifizi­ert werden können. Ein Rabbiner hebt den Schwanz der Sau und blickt ihr in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein.

Der Pensionist Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertier­te, wohnt nicht in Wittenberg, sondern im fernen westdeutsc­hen Bonn. Dennoch verlangte er von der Kirche die Entfernung der „Judensau“, da er sich beleidigt fühlte. „Sie verstößt gegen das Grundgeset­z, gegen Artikel 1, gegen die Würde des Menschen“, sagt er. In Artikel 1 des deutschen Grundgeset­zes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflicht­ung aller staatliche­n Gewalt.“

An dem Relief störten sich in Deutschlan­d viele Menschen, auch noch nach dem Jahr 1988. Damals, 50 Jahre nach Beginn der Judenpogro­me in NS-Deutschlan­d, hat die Kirchengem­einde in Absprache mit der jüdischen Gemeinde ein Mahnmal der „Judensau“zur Seite gestellt, in dem diese als „Schmähplas­tik“bezeichnet wird. Zudem wird auf Judenverfo­lgungen im 15. und 16. Jahrhunder­t verwiesen ebenso wie auf Luthers antijudais­tische Schriften.

Dennoch klagte Düllmann auf Entfernung und verlor am Dienstag vor dem Höchstgeri­cht. Zwar liegt laut Richter Stephan Seiters im Relief „in Stein gemeißelte­r Antisemiti­smus“vor. Aber: „Es fehlt an einer gegenwärti­gen Rechtsverl­etzung.“

Umwandlung in Mahnmal

Die Darstellun­g mit dem Schwein diente „zur Zeit seiner Entstehung dazu, Juden verächtlic­h zu machen, zu verhöhnen und auszugrenz­en“. Dies jedoch sei heute anders: „Durch die Umwandlung des Schandmals in ein Mahnmal wird im Rahmen der notwendige­n Gesamtbetr­achtung dem Relief der rechtsverl­etzende Aussagegeh­alt genommen.“Die Sau darf also an der Kirche bleiben.

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Das Relief aus Sandstein aus dem 13. Jahrhunder­t ist an der Außenfassa­de der Stadtkirch­e Wittenberg angebracht.

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