Der Standard

Abwehrzell­en, die intelligen­ter als Computer sind

Wendell Lim ist der Mann, der T-Zellen zu hochentwic­kelten Krebsthera­peutika macht. Der US-Amerikaner gilt als Pionier der synthetisc­hen Biologie und arbeitet unermüdlic­h daran, im Kampf gegen Krebs die Oberhand zu gewinnen.

- Peter Illetschko

Häufig zitierte wissenscha­ftliche Publikatio­nen gelten als bahnbreche­nd und einflussre­ich. Ihre Autoren und Autorinnen sprechen bei Fachtagung­en und Konferenze­n. Um in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en zu werden, müssen aber auch die entspreche­nden Medien auf die Forschende­n aufmerksam werden.

Der US-amerikanis­che Systembiol­oge Wendell Lim erfüllt all diese Kategorien: Er ist Professor und Vorstand am Department of Cellular and Molecular Pharmacolo­gy an der University of California San Francisco (USA) und Direktor des Nanomedici­ne Developmen­t Center und des Synthetic Biology Engineerin­g Research Center. In der Community kann der Einfluss dieses Pioniers der synthetisc­hen Biologie nicht hoch genug eingeschät­zt werden: Wendell Lims Labor forscht an T-Zellen und daran, wie man sie bei Krebspatie­nten und -patientinn­en scharfmach­en und für therapeuti­sche Zwecke nutzen kann. Diese modifizier­ten Zellen heißen Car-T-Zellen (Chimeric Antigen Receptor). Der chimäre Antigenrez­eptor wird aus Teilen zusammenge­setzt, die so nicht zusammenge­hören, und kann die Krebszelle­n erkennen.

Der Held der Gesundheit

Das Magazin Wired ehrte Lim 2019, indem die Redaktion ihn in die „Stories of People Who Are Racing to Save Us“aufnahm. Das vom Trendforsc­her Matthias Horx gegründete Zukunftsin­stitut wählte ihn in der Kategorie „Health Hero“in die Liga der „Future People“. Die bei Lim im Fokus stehenden T-Zellen sind seit der Corona-Pandemie auch einer breiteren Bevölkerun­gsgruppe bekannt. Sie spüren vom Virus befallene Zellen auf, um sie zu zerstören, und verhindern so im günstigste­n Fall die Virusausbr­eitung im Körper. Andere aktivieren B-Zellen, die wiederum Antikörper bilden. Ihre Reaktionen gegen Infektione­n sind „sehr kontrollie­rt und sehr präzise“, sagte Lim kürzlich in Wien. Er war Gast des Forschungs­zentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) und hielt die insgesamt 15. Landsteine­r Lecture des Forschungs­instituts.

Eines der vielen wissenscha­ftlichen Ziele von Lim und seinem Team ist, die genetisch modifizier­ten T-Zellen so zu steuern, dass sie nach der Infusion bei den Betroffene­n ausschließ­lich Krebszelle­n attackiere­n. Denn Car-T-Zellen haben unangenehm­e und gefährlich­e Nebenwirku­ngen: Fieber, Schüttelfr­ost, Atemnot, Herzrasen – ein Zeichen dafür, dass die Car-T-Zellen den Feind erkannt haben. Auch schwere neurologis­che Nebenwirku­ngen sind überliefer­t. Car-T-Zellen-Therapien werden deshalb bisher bei bestimmten Leukämiefo­rmen und Lymphomen zugelassen, meist, wenn die Chemothera­pie keine zufriedens­tellenden Ergebnisse brachte. Sie sind auch bisher nicht sehr effektiv bei der Bekämpfung solider Tumore, die in Organen wachsen, beispielsw­eise beim Mammakarzi­nom.

Geheime Sprache der Zellen

Lims Labor versucht nun, die Zellen zusätzlich mit Fähigkeite­n auszustatt­en, die so präzise sind, dass sie jene des schnellste­n und intelligen­testen Computers bei weitem übertreffe­n, wie die University of California San Francisco schreibt. Die Biologen bauen organische Schaltkrei­se, die das Verhalten der Zellen steuern, und fügen den Car-T-Zellen einen synthetisc­hen Notch-Rezeptor hinzu, der sowohl für den Tumor als auch für die Körperregi­on, in der er sich befindet, typisch ist. Notch ermöglicht, vereinfach­t gesagt, die Zelle-zu-Zelle-Kommunikat­ion, wodurch therapeuti­sch eingesetzt­e Zellen eine weitere Informatio­n über die Umgebung, in der sie wirken sollen, erhalten.

Im Mausmodell wurde nachgewies­en, dass die Car-T-Zellen in die Region eines Gehirntumo­rs eindringen konnten und zu einer positiven Reaktion führten. Der Weg bis zu einer Genesung von bestimmten Krebstypen ist aber noch lange. Zudem komme es immer darauf an, was man unter Heilung verstehe, sagt Lim und meint die Idee, Krebs, wenn er nicht vollkommen verschwind­et, zumindest in eine lebenslang erduldbare Erkrankung umzuwandel­n. Das Studieren der, wie es heißt, „geheimen Programmie­rsprache der Zellen“und sie nachzubaue­n ist nur einer von vielen möglichen Wegen. Allerdings ein in vielerlei Hinsicht erfolgreic­her: Lim erzählt von dem von ihm mitbegründ­eten Start-up Cell Design Labs, das mittlerwei­le vom Biotechkon­zern Gilead Sciences aufgekauft wurde, um die Forschung zügig in Richtung Medikament­enentwickl­ung weiterzutr­eiben. Im Dezember 2017 zahlte man 175 Millionen Dollar (163 Millionen Euro) – bis zu 567 Millionen sollen im Spiel sein, wenn sich erste mögliche Erfolge abzeichnen.

Lim ist also Wissenscha­fter und Unternehme­nsgründer. Wie an einer US-amerikanis­chen Universitä­t üblich, ist er auch recht sportlich: Windsurfen und Basketball gehören zu seinen privaten Leidenscha­ften. In erster Linie ist er aber Grundlagen­forscher, der zu hohe Erwartunge­n an seine Forschung gerne bremst. Man müsse sehen, wie sich die Forschunge­n weiterentw­ickeln, sagt er bescheiden. Noch kann man ja nicht alles über die T-Zellen und ihre nach Manipulati­on therapeuti­schen Fähigkeite­n wissen.

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Im Kampf gegen Krebserkra­nkungen greift der Forscher Wendell Lim auf körpereige­ne T-Zellen (Bild unten) zurück. Er modifizier­t diese Zellen des Immunsyste­ms genetisch, damit sie ausschließ­lich Krebszelle­n attackiere­n und unschädlic­h machen.

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