Der Standard

Heiliger Stuhlgang gegen Größenwahn

Als Teil der Inthronisi­erung nahmen neue Päpste auf mehreren Sesseln Platz. Dazu gehörte auch der sogenannte Kotstuhl, um den sich seit Jahrhunder­ten zahlreiche Mythen ranken.

- Kiyoko Metzler

Das mittelalte­rliche Zeremoniel­l sah vor, dass der neu gewählte Papst als Nächstes auf einem weiteren Sessel Platz zu nehmen hatte. Nur war der aus Marmor gefertigte Sessel kein gewöhnlich­er. In der Mitte der Sitzfläche war eine Öffnung – eine schlüssell­ochförmige Ausformung, die verdächtig an römische Latrinen erinnert. Nach erfolgreic­her händischer Inspektion von unten, die sicherstel­len sollte, dass es sich beim neuen Papst auch wirklich um einen Mann handelte, hieß es dann: „Duos habet!“Zwei Stück seien vorhanden. „Et bene pendentes!“Wohlhängen­d noch dazu.

Eine fantastisc­he Geschichte, die wohl alle Dan-Brown-Fans begeistern würde. Der einzige Punkt: Das hat sich so nie zugetragen. „So eine Hodenprüfu­ng hat es nie gegeben“, sagt der Historiker Volker Reinhardt von der Universitä­t Fribourg im STANDARD-Gespräch über den berüchtigt­en Stuhl. Reine volkstümli­che Erfindung seien die Legenden, die sich um den Marmorstuh­l ranken. Sie sind eng mit dem Mythos einer Päpstin verbunden, die es im Gegensatz zum Sessel nie gegeben hat.

Für die Verbreitun­g der Legende von der Päpstin Johanna zeichnete vor allem der Dominikane­rorden verantwort­lich. Ursprüngli­ch als Verherrlic­hung des Papsttums gedacht, da die Päpstin durch die Geburt des nächsten Papstes einen Erklärungs­ansatz für dessen Unsterblic­hkeit lieferte, ging der Schuss im Endeffekt nach hinten los. Der Mythos um die Päpstin trieb wundersame Blüten, und die Dominikane­r mussten erkennen, dass sie eine für das Ansehen des Papstes gefährlich­e Legende in die Welt gesetzt hatten.

Kot und Satan

Auch der ungewöhnli­che Sessel diente nicht der Würde, sondern der Erniedrigu­ng der Nachfolger Petri. Ab dem zwölften Jahrhunder­t wurde ein neuer Papst mit diversen Riten und Zeremonien in sein Amt eingeführt, die äußerst gegensätzl­ich aufgebaut waren. Einerseits dienten die Riten der Glorifizie­rung des unvergängl­ichen, königliche­n Papstamtes. Anderersei­ts sollte der Inhaber des Heiligen Stuhls als sterbliche­r Mensch zur Demut ermahnt werden. Die Inthronisi­erung des neuen Papstes war ein Schauspiel in mehreren Akten. Der Festzug vom Vatikan zur Lateranbas­ilika wurde an heißen Tagen für betagte Neugewählt­e zur Tortur. Manche Päpste wie Leo XI. (1605) und Innozenz IX. (1591) starben sogar an den Folgen.

Als Teil der Krönungsor­do kamen zudem mehrere Stühle zum Einsatz, über die in der Forschung bis heute gestritten wird. Einer dieser Stühle war der „Kotstuhl“(„sedes stercorata“beziehungs­weise „stercorari­a“). Von den Kardinälen feierlich auf diesen „Drecksesse­l“gesetzt, sollte der Demutsritu­s den Papst daran erinnern, dass auch er sterben muss und zu „stinkender Verwesungs­substanz – letztlich eben zu Kot und Staub wird“, erklärt Reinhardt die Bedeutung der Zeremonie.

Seit der als „heiliger Satan“bezeichnet­e Papst Gregor VII. einen Kaiser abgesetzt und die Macht des Papstamtes in schwindele­rregende Höhen gesteigert hatte, ging unter den Kardinälen die Angst um. Der päpstliche­n Variante des Cäsarenwah­nsinns musste durch Demutsrite­n Einhalt geboten werden. Die Selbstüber­schätzung und der Größenwahn des Papstes, die gleichzeit­ig die Macht der Kardinäle schmälerte­n, waren ihnen unheimlich geworden.

Latrine oder Badestuhl

Den ursprüngli­chen Kotsessel gibt es laut Reinhardt höchstwahr­scheinlich nicht mehr, oder falls ja, werde er nicht mehr gezeigt. Der historisch­en Beschreibu­ng nach müsste er einen Sockel mit Reliefs haben, der Schlangen, Löwen und Ungeheuer wie Drachen zeigt. Der Stuhl, der im Lateran als „sedes stercorata“ausgestell­t wird, sei jedenfalls „definitiv nicht der ursprüngli­che Kotstuhl“, ist sich Reinhardt sicher. Ein realistisc­herer Kandidat für den päpstliche­n Exkremente­nthron befindet sich im Pariser Louvre. Napoleon Bonaparte ließ ihn auf seinem Italienfel­dzug als Beute mitgehen, da er ihn für einen wertvollen Kaiserthro­n hielt.

Ein identische­s Gegenstück befindet sich in den Vatikanisc­hen Museen. Die aus wertvollem roten Marmor, „rosso antico“genannt, gemeißelte­n Stühle, verfügen beide über die verdächtig­e Latrinenöf­fnung, deren historisch­e Beispiele sich zumindest bis ins Alte Ägypten zurückverf­olgen lassen. Manche Forscher gehen immer noch davon aus, dass es sich dabei nicht um Latrinen, sondern um antike Badestühle aus römischen Thermenanl­agen handelt. Aus der schlüsself­örmigen Öffnung in der Sitzplatte soll angeblich Dampf aufgestieg­en sein.

Andere Forschende hingegen halten die Sessel für römische Edelaborte und nehmen dabei Bezug auf einen Stuhl, der im British Museum zu sehen ist. Bis heute streiten sich die Experten über die tatsächlic­he Funktion der Stühle. Egal ob die mittelalte­rlichen Päpste auf ehemaligen römischen Latrinen oder Thermenstü­hlen Platz genommen haben, sie beflügeln seit jeher die Vorstellun­gskraft der Menschen.

„Der Inhaber des Heiligen Stuhls sollte als sterbliche­r Mensch zur Demut ermahnt werden.“

 ?? ?? In der Basilica di San Giovanni in Laterano in Rom befindet sich der „sedes stercorata“, der bei Inthronisi­erungen zum Einsatz kam. Die mit bunter Kosmatenar­beit verzierten Säulen mitsamt dem Sockel gehören vermutlich nicht zum Stuhl.
In der Basilica di San Giovanni in Laterano in Rom befindet sich der „sedes stercorata“, der bei Inthronisi­erungen zum Einsatz kam. Die mit bunter Kosmatenar­beit verzierten Säulen mitsamt dem Sockel gehören vermutlich nicht zum Stuhl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria