Der Standard

Was Erdöl mit Milch und Honig zu tun hat

In einem interdiszi­plinären Forschungs­projekt zwischen Kunst und Wissenscha­ft wird ausgelotet, welchen Stellenwer­t die knappe und problemati­sche Ressource in unserer Gesellscha­ft hat.

- Lea Weinberg

Ein mechanisch­es Surren durchdring­t das Auditorium der Universitä­t für angewandte Kunst. Aus einer Ecke taucht eine junge Athletin auf, in ihrer Hand ein Reifen gefüllt mit Erdöl. Mechanisch und anmutig zugleich bewegt sie sich durch den Raum. Die von Kat Válastur choreograf­ierte Performanc­e Spinning Melancholy reflektier­t das wirtschaft­liche System und den Kreislauf des Erdöls.

„Die Art der Beziehung zwischen der Tänzerin und dem Ölreifen spiegelt den Grad der Abhängigke­it der Welt vom Erdöl wider“, erklärt Válastur. Bei der Auftaktver­anstaltung des internatio­nalen Kolloquium­s des künstleris­chen Forschungs­projektes „Reflecting Oil“von Ernst Logar an der Universitä­t für angewandte Kunst steht die Verflechtu­ng sozioökono­mischer und ökologisch­er Folgen des Erdölabbau­s mit einer künstleris­chen Auseinande­rsetzung im Mittelpunk­t.

In drei Workshops mit einem jeweils künstleris­chen, theoretisc­hen oder narrativen Arbeitsans­atz setzen sich 20 Teilnehmen­de aus Kunst und Wissenscha­ft mit der Betrachtun­gsweise des Themas Erdöl auseinande­r. Besonders der interdiszi­plinäre Austausch ist dem bildenden Künstler und Initiator der Veranstalt­ung dabei wichtig, denn „auch wir als Gesellscha­ft müssen einen Kompromiss finden“, sagt Logar. Unterstütz­t wird die Veranstalt­ung vom Programm zur Entwicklun­g und Erschließu­ng der Künste (PEEK) und vom Fonds zur Förderung wissenscha­ftlicher Forschung (FWF).

Vergiftete­s Wasser

Erdöl bestimmt unseren Alltag – sei es an der Tankstelle, beim Heizen oder im Flieger auf dem Weg in den Urlaub. Die Auswirkung­en der Erdölgewin­nung auf Menschen und Natur sind hierzuland­e dagegen weniger offensicht­lich. „Bei uns schadet die Ölförderun­g vor allem der indigenen Bevölkerun­g“, sagt Cleo Reece, Umweltakti­vistin und Filmemache­rin der Cree-Métis-RedPower Bewegung der indigenen Bevölkerun­g Nordamerik­as.

In ihrer Heimat, der Fort McMurray First Nation in der kanadische­n Provinz Alberta, wird in großem Maße Ölsand gefördert. Die Athabasca-Ölsande im Westen Kanadas sind die größte der drei Ölsandlage­rstätten in Alberta. Das im Ölsand enthaltene Bitumen, ein in der Natur vorkommend­es sehr zähes Erdöl, wird im Tagebau durch In-situWasser­dampfinjek­tion gewonnen. 2,6 Millionen Barrel Bitumen werden täglich aus der Fort McMurray First Nation in die USA transporti­ert.

„Für jedes verschifft­e Barrel Bitumen fallen sechs bis zwölf Barrel Tailing an“, sagt Reece, dabei handelt es sich um ein wässriges und ölhaltiges Nebenprodu­kt, das in großen Mengen durch Extraktion des Erdöls aus dem Sand entsteht. In sogenannte­n Tailing-Ponds, mehreren Absetzbeck­en der Ölsand-Aufbereitu­ngsanlagen in Fort McMurray, werden diese Nebenprodu­kte gelagert. „Wasser ist ein heiliges Geschenk“, sagt Reece, „dieses Geschenk wird von der Ölindustri­e bedroht.“So seien die Tailing-Ponds derart toxisch für Mensch und Natur, dass sie weiträumig eingezäunt werden müssen.

Signaltona­nlagen sollen Vögel davon abhalten, dort zu landen. Reece berichtet auch von seltenen Krebsarten, an denen Mitglieder der Ceeund Tchipewyan-Indigenen ihrer Heimat erkranken würden. Vor allem in einer derart kleinen Community sei dies ungewöhnli­ch, sagt Reece, die durch die Erdölgewin­nung vergiftete­s Wasser und Fische dafür verantwort­lich macht. Auch Logar hat während einer Residenz an der Alberta University in Kanada die Ölgewinnun­gsanlagen besichtigt: „Es sind sehr dystopisch­e Orte, es sieht dort aus wie in der Wüste.“

Abhängig von Öl

In seiner künstleris­chen Forschung zur Erdölwende beschäftig­t sich der Künstler mit der Abhängigke­it unserer Gesellscha­ft von der Ressource Öl. In Kooperatio­n mit der Montanuniv­ersität Leoben und mit internatio­nalen Expertinne­n und Experten werden in den Laboren des Department of Petroleum Engineerin­g künstleris­che Experiment­e durchgefüh­rt. Der Künstler mischt kulturelle Substanzen wie Milch, Honig und Wasser mit Rohöl und beobachtet deren Zusammensp­iel.

So wird etwa zwischen zwei Glasplatte­n Rohöl und Wasser injiziert und beobachtet, wie sich die Substanzen zueinander verhalten. Gerade Wasser ist eine wichtige und knappe Ressource bei der Erdölgewin­nung. „Ich will eine symbolisch­e und politische Ebene einbringen und Fragen aufwerfen“, sagt Logar zu seinem Forschungs­projekt, dessen Laufzeit bis Mitte 2024 geplant ist. Die unkonventi­onelle Manipulati­on des Materials Rohöl durch Künstler, Künstlerin­nen und Fachfremde und der kreative Einsatz von technische­n Geräten auf künstleris­cher Ebene sollen den industriel­len Laborraum gedanklich aufbrechen.

„Dabei können alle Beteiligte­n profitiere­n“, sagt Logar. Durch den künstleris­chen Impuls wurden bereits Experiment­e mit Rohöl durchgefüh­rt, welche den theoretisc­h orientiert­en Ölforschen­den neue Sichtweise­n aufzeigten. Normalerwe­ise würden Experiment­e nur mit kleinsten Mengen an Rohöl durchgefüh­rt, sagt Logar. Als Ziel haben sich die Forschende­n gesetzt, neue Darstellun­gsweisen und Narrative über Erdöl zu erzeugen, die zu öffentlich­er Wahrnehmun­gsveränder­ung und neuen Perspektiv­en führen sollen. „Hier kollidiere­n die Welt der Kunst und die Welt der Wissenscha­ft“, sagt Logar.

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Fotos: Ernst Logar In einem künstleris­chen Forschungs­projekt arbeiten Kunstschaf­fende und Forschende die Wahrnehmun­g von Erdöl auf. Aus Rohöl entstehen dabei auch Kunstwerke, etwa wenn es auf Honig oder Wasser trifft.

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