Der Standard

Einblicke in den Alltag Jugendlich­er mit Diabetes

Das Leben mit Typ-1-Diabetes verlangt jungen Betroffene­n einiges ab. Neben ihrer Erkrankung sind sie mit vielerlei Strapazen, Bevormundu­ng sowie gesellscha­ftlicher Unwissenhe­it konfrontie­rt.

- Julia Dvorin

Ständiges Dosieren und Spritzen von Insulin, Blutzucker­messen und die Berechnung der Kohlenhydr­ate: Typ-1-Diabetes fordert Einsatz im Alltag und viel Verantwort­ungsbewuss­tsein“, erzählt die Schülerin Nadine Fink. Als Teil einer Gruppe junger Diabetiker­innen und Diabetiker hat die 18-Jährige an einem Forschungs­projekt mitgewirkt.

Initiiert wurde dieses von der Fachhochsc­hule Vorarlberg, die damit einen bisher vernachläs­sigten Forschungs­bereich ins Auge fasste: Im Rahmen des Projektes Youngstars 1 werden junge Erwachsene als aktive Partnerinn­en und Partner in die Forschung zu Typ-1-Diabetes einbezogen. Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Bedürfniss­en junger Diabetiker­innen und Diabetiker sowie auf den Herausford­erungen, mit denen sie im täglichen Leben konfrontie­rt sind.

Rund 800.000 Österreich­erinnen und Österreich­er leiden Schätzunge­n der Österreich­ischen DiabetesGe­sellschaft zufolge an der Autoimmune­rkrankung Diabetes. Etwa vier Prozent aller Betroffene­n leben mit der Diagnose Diabetes Typ 1. Ihrem Körper mangelt es an Insulin, einem in der Bauchspeic­heldrüse produziert­en Hormon, das für die Verarbeitu­ng von Zucker zuständig ist. Ist dieser Botenstoff nicht ausreichen­d vorhanden, kann Glukose nicht aus dem Blut in die Körperzell­en aufgenomme­n werden und sammelt sich im Blut an.

Vorurteile und Mobbing

Die Folgen reichen von Gewichtsve­rlust über Müdigkeit und Antriebssc­hwäche bis hin zu Übelkeit. Steigt der Blutzucker­spiegel enorm stark an, kann das sogar zu Bewusstlos­igkeit führen. Mit der Erkrankung umzugehen erfordert einiges an Aufwand und Kontrolle. Bei Youngstars 1 gingen die Forschende­n der Frage nach, wie Angebote zur Diabetesve­rsorgung besser an die Lebenswirk­lichkeit von Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n angepasst werden können.

Um diese zu beantworte­n, wählte das Team die partizipat­ive Photovoice-Methode: Acht Wochen lang hielten die Teilnehmen­den wichtige Aspekte ihres Lebens fotografis­ch fest. Diese Aufgabe wurde sehr unterschie­dlich interpreti­ert, was auch beabsichti­gt war, sagt Forschungs­leiterin Katrin Paldán. „So konnten die Jugendlich­en ihren eigenen Blickwinke­l einbringen und uns Nichtdiabe­tiker:innen Einblick in ihren Alltag gewähren.“

Ein Bedürfnis, das die jungen Teilnehmen­den verbindet, ist der Wunsch nach mehr gesellscha­ftlicher Aufklärung. Da ihre Erkrankung oft mit Typ-2-Diabetes verwechsel­t werde, empfinden die Jugendlich­en häufig den Zwang, sich zu erklären. „Die berühmtest­e Frage, die ich zu hören bekomme, ist: Hast du Diabetes, weil du zu viel Zucker gegessen hast? Ich weiß, es ist Unwissenhe­it, dennoch nervt es“, schreibt die Teilnehmer­in Mia Guntermann (16).

Solche Bemerkunge­n werden mitunter von Mobbingatt­acken gegen die jungen Betroffene­n begleitet. Eine Erkenntnis des Projekts ist daher, dass sowohl Lehrperson­al als auch Schülerinn­en und Schüler besser für das Thema sensibilis­iert werden müssen.

Als ebenfalls wünschensw­ert haben die Betroffene­n ein entspreche­ndes Angebot an Gerichten in Schulkanti­nen hervorgeho­ben. Nach Paldán wären die Speisen ohnehin für die allgemeine Bevölkerun­g gesund: „Und Typ-1-Diabetiker:innen werden nicht ausgeschlo­ssen. Sie müssten ihre Schulwahl nicht vom Schulweg abhängig machen – was viele tun, um ihre Mahlzeiten von zu Hause besser zu kontrollie­ren.“

Gegenseiti­ge Hilfe

Als ebenfalls sehr beschwerli­ch wird der Übergang von der Kinderzur Erwachsene­nambulanz beschriebe­n. Ein über viele Jahre wohl betreutes Setting wird abgelöst von neuen Organisati­onsstruktu­ren. Das gesamte medizinisc­he Prozedere fängt hier wieder bei null an. Zudem seien die Patientinn­en und Patienten fortan mit einem belasteten Krankenhau­spersonal und Bevormundu­ng konfrontie­rt.

„Sich auf einmal rechtferti­gen zu müssen und nicht als Expert:innen ihrer eigenen Erkrankung­en betrachtet zu werden, erachten viele als störend. Den jungen Menschen kann durchaus zugetraut werden, dass sie ihren Körper schon gut kennen“, sagt Paldán. Dahingehen­d trägt das Forschungs­projekt bereits erste Früchte: In einem Informatio­nsgespräch haben Stakeholde­r und medizinisc­hes Personal versichert, den Übergang von der Kinderzur Erwachsene­nambulanz künftig besser zu gestalten.

Die Projektbet­eiligte Edna Ljubuncic (17) hat ihren persönlich­en Mehrwert an dem Forschungs­projekt erkannt: „Es war eine gute Gelegenhei­t, andere Diabetiker kennenzule­rnen, Freundscha­ften zu schließen und sich auszutausc­hen. Die meisten hatten schon länger Diabetes als ich, so konnte ich meine Ernährung mit ihrer vergleiche­n oder um Hilfe bitten, wenn ich irgendwelc­he Probleme mit meinem Zucker hatte.“

Paldán zeigt sich ebenso erfreut: „Auf Augenhöhe miteinande­r zu forschen und in ihre Lebenswelt einzutauch­en war eine sehr schöne Erfahrung und geht hoffentlic­h auch noch weiter.“Das Projekt wird gemeinsam mit den Partnern Aks Gesundheit GmbH und der Aha Jugendinfo durchgefüh­rt. Gefördert und unterstütz­t wird es durch das Open Innovation in Science Center der Ludwig-BoltzmannG­esellschaf­t.

 ?? ?? In einem partizipat­iven Forschungs­projekt dokumentie­rten junge Menschen mit Typ-1-Diabetes ihr tägliches Leben in Bildern. Die 18-jährige Schülerin Nadine Fink hielt neben ihrer Insulinpum­pe auch den nächtliche­n Blutzucker­check mittels Handy in Bildern fest.
In einem partizipat­iven Forschungs­projekt dokumentie­rten junge Menschen mit Typ-1-Diabetes ihr tägliches Leben in Bildern. Die 18-jährige Schülerin Nadine Fink hielt neben ihrer Insulinpum­pe auch den nächtliche­n Blutzucker­check mittels Handy in Bildern fest.

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