EuGH verurteilt Österreich
Indexierung von Familienbeihilfe war rechtswidrig
Wien – Die von der türkis-blauen Bundesregierung Kurz I beschlossene Indexierung von Familientransferleistungen für EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber in der Heimat leben, verstößt gegen das EU-Recht, urteilte der Europäische Gerichtshof am Donnerstag. Die Förderungen wurden an das Preisniveau der Herkunftsstaaten angepasst, das widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz und der Arbeitnehmer-Freizügigkeit.
Österreich wird nun Millionen Euro nachzahlen müssen.
Im Dezember 2017 gaben sich der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) bei ihrer Regierungserklärung im Nationalrat noch siegessicher. „Mehrmals betonte der Bundeskanzler, einen neuen Stil pflegen zu wollen, der auf den Werten wie Respekt, Anstand und Hausverstand gegründet ist“, wird Kurz in einer Aussendung der Parlamentsdirektion zitiert, von Strache kam das Versprechen: „Die Regierung werde auch eine europarechtskonforme Indexierung der Familienbeihilfen einführen.“Seit Donnerstag weiß man, dass die Versprechen nicht eingelöst wurden – der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass ebendiese Indexierung rechtswidrig gewesen sei.
Im Jahr 2018 wurden die entsprechenden Gesetze beschlossen – wenn die Kinder von in Österreich arbeitende EU-Bürgerinnen in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union lebten, wurde die Familienbeihilfe und der steuerliche Kinderabsetzbetrag an das Preisniveau des jeweiligen Landes angepasst. Für ein in Dublin lebendes Kind gab es theoretisch also mehr Geld als für eines, das in Linz wohnt, gleichzeitig hätte ein Kind in Bukarest nicht einmal mehr die Hälfte der bisherigen Familienbeihilfe bekommen.
Für die EU-Kommission ein klarer Verstoß gegen zwei Grundpfeiler der europäischen Integration: die Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und -nehmer sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz. Da Mahnschreiben der Kommission an die heimische Bundesregierung nichts fruchteten, wurde schließlich im Mai 2020 Klage vor dem EuGH erhoben. Auf der Seite der Kommission beteiligten sich Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Polen, Kroatien und Rumänien an dem Verfahren. Doch auch Österreich hatte zwei Streithelfer: die Königreiche Dänemark und Norwegen.
Bei einer öffentlichen Sitzung am Gerichtsstandort Luxemburg gaben die europäischen Höchstrichter nun den Klägern recht: Die Transferzahlungen dürfen nicht aufgrund des Wohnorts von Berechtigten oder deren Angehörigen gekürzt werden. Zusätzlich stelle die Maßnahme eine „mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“dar. Denn größtenteils betreffe die Regelung Menschen aus Ländern, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger seien und für die die sozialen und steuerlichen Vergünstigungen somit niedriger ausfielen als für österreichische Arbeitnehmer.
Die finanziellen Folgen des Urteils sind vorerst unklar, es geht aber um einiges an Geld. Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat bereits im Mai in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage bekanntgegeben, dass 220 Millionen Euro für Nachzahlungen an betroffene Familien zur Seite gelegt wurden. Die Fachsektion will die EuGH-Entscheidung nun prüfen, ein Gesetzesvorschlag zur Erstattung der Differenzbeträge werde ehestmöglich an das Parlament übermittelt, hieß es in einer ersten Stellungnahme am Donnerstag.
Sozialminister freut sich
Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) begrüßte das Urteil ebenso wie die SPÖ und Neos. Nicht nur würde die Klarstellung des EuGH die Situation von Menschen in oft schlecht bezahlten Pflegeberufen verbessern, auch der Arbeitsmarkt würde davon profitieren, ist Rauch überzeugt. Die ÖVP schwieg vorerst – bis auf den schwarzen Europaparlamentarier Othmar Karas, der sich auf Twitter äußerte: „Das Urteil zeigt auch, dass Populismus in der Politik rasch an Grenzen stößt. Auch dank unbestechlicher und unabhängiger Institutionen in der EU“, schrieb er.
Völlig konträr sieht es FPÖ-Chef Herbert Kickl. Wenn es nach ihm ginge, würde Österreich „keinen Cent“an Familienbeihilfe für Kinder, die im Ausland leben, bezahlen.
Denn ich glaube immer noch, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, stellte der damalige Innenminister und offenbar nebenberufliche Rechtsphilosoph Herbert Kickl im Jänner 2019, wenige Wochen vor dem Ende der türkis-blauen Koalition, in einem ORF-Interview fest. Eine Ansicht, die unter den einstigen Protagonistinnen und Protagonisten auf der Regierungsbank populär gewesen sein muss – doch wieder wurde ein Prestigeprojekt der Regierung Kurz I für rechtswidrig erklärt.
Am Donnerstag war es der Europäische Gerichtshof, der entschied, dass die Indexierung von Familienunterstützung für EU-Bürgerinnen, die zwar in Österreich arbeiten, deren Kinder aber in der Heimat leben, nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbaren sei. Die Argumentation, dass es nur gerecht sei, wenn Familienbeihilfe und Absetzbeträge an die Lebenshaltungskosten in den jeweiligen Staaten angepasst würden, überzeugte die EuGH-Richterschaft nicht. Es sei ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, urteilten sie.
Tatsächlich traf die Maßnahme besonders Frauen aus Mittelund Osteuropa. Als Pflegerinnen waren sie willkommen, Transferleistungen sollten sie aber weniger bekommen. Warnungen wurden nicht einmal ignoriert, so sehr scheinen Kurz, Strache und Kickl von ihrem Rechtsverständnis überzeugt gewesen zu sein. Und ihrer rechtswidrigen Politik.