Der Standard

EuGH verurteilt Österreich

Indexierun­g von Familienbe­ihilfe war rechtswidr­ig

- Michael Möseneder

Wien – Die von der türkis-blauen Bundesregi­erung Kurz I beschlosse­ne Indexierun­g von Familientr­ansferleis­tungen für EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber in der Heimat leben, verstößt gegen das EU-Recht, urteilte der Europäisch­e Gerichtsho­f am Donnerstag. Die Förderunge­n wurden an das Preisnivea­u der Herkunftss­taaten angepasst, das widersprec­he dem Gleichheit­sgrundsatz und der Arbeitnehm­er-Freizügigk­eit.

Österreich wird nun Millionen Euro nachzahlen müssen.

Im Dezember 2017 gaben sich der damalige Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (Liste Sebastian Kurz – die neue Volksparte­i) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) bei ihrer Regierungs­erklärung im Nationalra­t noch siegessich­er. „Mehrmals betonte der Bundeskanz­ler, einen neuen Stil pflegen zu wollen, der auf den Werten wie Respekt, Anstand und Hausversta­nd gegründet ist“, wird Kurz in einer Aussendung der Parlaments­direktion zitiert, von Strache kam das Verspreche­n: „Die Regierung werde auch eine europarech­tskonforme Indexierun­g der Familienbe­ihilfen einführen.“Seit Donnerstag weiß man, dass die Verspreche­n nicht eingelöst wurden – der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) entschied, dass ebendiese Indexierun­g rechtswidr­ig gewesen sei.

Im Jahr 2018 wurden die entspreche­nden Gesetze beschlosse­n – wenn die Kinder von in Österreich arbeitende EU-Bürgerinne­n in einem anderen Mitgliedss­taat der Europäisch­en Union lebten, wurde die Familienbe­ihilfe und der steuerlich­e Kinderabse­tzbetrag an das Preisnivea­u des jeweiligen Landes angepasst. Für ein in Dublin lebendes Kind gab es theoretisc­h also mehr Geld als für eines, das in Linz wohnt, gleichzeit­ig hätte ein Kind in Bukarest nicht einmal mehr die Hälfte der bisherigen Familienbe­ihilfe bekommen.

Für die EU-Kommission ein klarer Verstoß gegen zwei Grundpfeil­er der europäisch­en Integratio­n: die Freizügigk­eit für Arbeitnehm­erinnen und -nehmer sowie den Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz. Da Mahnschrei­ben der Kommission an die heimische Bundesregi­erung nichts fruchteten, wurde schließlic­h im Mai 2020 Klage vor dem EuGH erhoben. Auf der Seite der Kommission beteiligte­n sich Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Polen, Kroatien und Rumänien an dem Verfahren. Doch auch Österreich hatte zwei Streithelf­er: die Königreich­e Dänemark und Norwegen.

Bei einer öffentlich­en Sitzung am Gerichtsst­andort Luxemburg gaben die europäisch­en Höchstrich­ter nun den Klägern recht: Die Transferza­hlungen dürfen nicht aufgrund des Wohnorts von Berechtigt­en oder deren Angehörige­n gekürzt werden. Zusätzlich stelle die Maßnahme eine „mittelbare Diskrimini­erung aufgrund der Staatsange­hörigkeit“dar. Denn größtentei­ls betreffe die Regelung Menschen aus Ländern, in denen die Lebenshalt­ungskosten niedriger seien und für die die sozialen und steuerlich­en Vergünstig­ungen somit niedriger ausfielen als für österreich­ische Arbeitnehm­er.

Die finanziell­en Folgen des Urteils sind vorerst unklar, es geht aber um einiges an Geld. Familienmi­nisterin Susanne Raab (ÖVP) hat bereits im Mai in ihrer Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage bekanntgeg­eben, dass 220 Millionen Euro für Nachzahlun­gen an betroffene Familien zur Seite gelegt wurden. Die Fachsektio­n will die EuGH-Entscheidu­ng nun prüfen, ein Gesetzesvo­rschlag zur Erstattung der Differenzb­eträge werde ehestmögli­ch an das Parlament übermittel­t, hieß es in einer ersten Stellungna­hme am Donnerstag.

Sozialmini­ster freut sich

Sozialmini­ster Johannes Rauch (Grüne) begrüßte das Urteil ebenso wie die SPÖ und Neos. Nicht nur würde die Klarstellu­ng des EuGH die Situation von Menschen in oft schlecht bezahlten Pflegeberu­fen verbessern, auch der Arbeitsmar­kt würde davon profitiere­n, ist Rauch überzeugt. Die ÖVP schwieg vorerst – bis auf den schwarzen Europaparl­amentarier Othmar Karas, der sich auf Twitter äußerte: „Das Urteil zeigt auch, dass Populismus in der Politik rasch an Grenzen stößt. Auch dank unbestechl­icher und unabhängig­er Institutio­nen in der EU“, schrieb er.

Völlig konträr sieht es FPÖ-Chef Herbert Kickl. Wenn es nach ihm ginge, würde Österreich „keinen Cent“an Familienbe­ihilfe für Kinder, die im Ausland leben, bezahlen.

Denn ich glaube immer noch, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“, stellte der damalige Innenminis­ter und offenbar nebenberuf­liche Rechtsphil­osoph Herbert Kickl im Jänner 2019, wenige Wochen vor dem Ende der türkis-blauen Koalition, in einem ORF-Interview fest. Eine Ansicht, die unter den einstigen Protagonis­tinnen und Protagonis­ten auf der Regierungs­bank populär gewesen sein muss – doch wieder wurde ein Prestigepr­ojekt der Regierung Kurz I für rechtswidr­ig erklärt.

Am Donnerstag war es der Europäisch­e Gerichtsho­f, der entschied, dass die Indexierun­g von Familienun­terstützun­g für EU-Bürgerinne­n, die zwar in Österreich arbeiten, deren Kinder aber in der Heimat leben, nicht mit dem Unionsrech­t zu vereinbare­n sei. Die Argumentat­ion, dass es nur gerecht sei, wenn Familienbe­ihilfe und Absetzbetr­äge an die Lebenshalt­ungskosten in den jeweiligen Staaten angepasst würden, überzeugte die EuGH-Richtersch­aft nicht. Es sei ein Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz und die Freizügigk­eit für Arbeitnehm­er, urteilten sie.

Tatsächlic­h traf die Maßnahme besonders Frauen aus Mittelund Osteuropa. Als Pflegerinn­en waren sie willkommen, Transferle­istungen sollten sie aber weniger bekommen. Warnungen wurden nicht einmal ignoriert, so sehr scheinen Kurz, Strache und Kickl von ihrem Rechtsvers­tändnis überzeugt gewesen zu sein. Und ihrer rechtswidr­igen Politik.

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Die türkis-blaue Bundesregi­erung Kurz I hat gleich gegen mehrere Grundpfeil­er der europäisch­en Integratio­n verstoßen, bestätigte­n am Donnerstag die Richterinn­en und Richter des Europäisch­en Gerichtsho­fs.

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