Der Standard

Der Liebe wegen verdächtig­t

Bei fünf bis acht Prozent aller binational­en Paare wird in Wien die Fremdenpol­izei alarmiert. Selbst wenn Paare vor Gericht ihre Beziehung beweisen: Der behördlich­e Verdacht auf Scheinehe bleibt.

- Elisa Tomaselli

Es wurde der Verdacht des Eingehens einer Zweckehe erweckt, denn nur mit der Aufenthalt­skarte könnte Frau B. legal bei ihrem Kind bleiben. „Wir bitten daher um Überprüfun­g“, schrieb 2020 die für Einwanderu­ng zuständige Wiener Behörde MA 35 an die Fremdenpol­izei. Ein Jahr zuvor hatten Noah und Lisha B. (Namen geändert) in Ottakring geheiratet. Während die Polizei ihre Ermittlung­en aufnahm, wähnte sich das Paar in Sorglosigk­eit. Endlich sollte Ruhe in ihr Leben und ihre Beziehung einkehren, wie Noah sagt. Sie sollten sich täuschen.

Kennengele­rnt haben sich die beiden 2017 über Bekannte. Sie, Ghanaerin mit italienisc­hem Aufenthalt­stitel und Mutter. Er, Deutscher, der seit vielen Jahren in Wien lebt und arbeitet. In welch rechtliche­r Misslage sich Lisha befand, wusste Noah zu Beginn nicht, sagt er.

Mutter einer Österreich­erin

Diese geht auf Österreich­s nicht zimperlich­en Umgang mit Angehörige­n von Staatsbürg­ern zurück: Aus ihrer ehemaligen Beziehung hat sie eine Tochter, die österreich­ische Staatsbürg­erin ist. Weil sie bei ihr in Wien bleiben wollte, stellte sie den Antrag auf den Aufenthalt­stitel „Familienan­gehörige“. Der Antrag wurde aber abgelehnt.

Lisha – nun in Beziehung mit Noah und mit alleinigem Sorgerecht für ihre Tochter – kehrte nach Italien zurück und kam als Touristin immer wieder legal für ein paar Tage nach Wien, etwa für Kinderarzt­besuche. „Auf Dauer war das unbefriedi­gend“, sagt Noah. Lisha sei zunehmend unsicherer geworden, nach Österreich zu reisen. „Wir hätten uns lieber mehr gesehen.“Der einzige Ausweg für ein binational­es Paar wie sie: die Hochzeit.

Darauf geschah aber lange Zeit nichts. „Ich dachte zuerst, es würden uns noch Dokumente fehlen“, sagt Noah. Die MA 35 machte sich nach der Eheschließ­ung rar, in E-Mails hieß es lediglich, der Antrag sei in Bearbeitun­g. Kurz zuvor zog Lisha mit ihrer Tochter in Noahs WG. Erst ein Jahr später wurden die Behörden aktiv, wie aus den Dokumenten, die dem STANDARD vorliegen, hervorgeht. Der Grundtenor der Korrespond­enz: Für die Mutter sei es wichtig, bei ihrer Tochter in Österreich zu bleiben. Und jetzt heirate sie. Es werde sich wohl um eine Scheinehe handeln.

Von diesen Verdachtsm­omenten gibt es pro Jahr unzählige: Allein im Jahr 2021 wurden in Wien 2940 Anträge auf Familienau­fenthaltst­itel gestellt. Auf Nachfrage heißt es vonseiten der MA 35, dass in „fünf bis acht Prozent der Fälle“die Landespoli­zeidirekti­on eingeschal­tet werde. Wann aber kommt ein Verdacht auf? „Das kann ein anonymer Hinweis sein oder wenn der Ablauf des Aufenthalt­stitels kurz vor Eheschließ­ung drohte“, sagt die Sprecherin. Es müsse im Einzelfall betrachtet werden.

Was darauf folgt, sind Polizeibes­uche, die „unter strenger Beachtung menschenre­chtlicher Aspekte stattfinde­n“, sagt das Innenminis­terium dazu. Auf „Uhrzeit und sensible Orte im privaten Wohnraum wird nach Möglichkei­t immer Rücksicht genommen“, auch seien die Bedienstet­en dafür geschult. Im Jahr 2021 kam es jedenfalls zu 276 Anzeigen.

Um fünf Uhr früh wurde Noah während des Lockdowns im Frühjahr 2020 von Türklopfen aus dem Schlaf gerissen. „Zwei Beamte sind in die Wohnung gekommen und haben unsere Zimmer durchforst­et“, erzählt er. Lisha war gerade bei einer Freundin in der Schweiz. Die Beamten forderten darauf Beziehungs­beweise. „Ich hatte damals die SIM-Karte des Handys getauscht. Unsere Chats waren dann nicht mehr drauf.“All das und seine Unwissenhe­it über die genaue Wohnadress­e der Schweizer Freundin ließen „auf kein echtes und aufrechtes Familienle­ben“schließen, so die Konklusion der Fremdenpol­izei.

Richterin ohne Zweifel

Anders sah das die Richterin, die über den Fall ein Jahr später entschied. Auf die Ermittlung­en hin erhob die Staatsanwa­ltschaft Anklage wegen Eingehens einer Aufenthalt­sehe. Seit dem Jahr 2005 gibt es diesen Straftatbe­stand in Österreich. Den beiden wurde zur

Last gelegt, eine Ehe eingegange­n zu sein, ohne ein wirkliches Familienle­ben zu führen. Eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagsätzen wäre das Strafmaß. In den letzten zwei Jahren kam es laut Justizmini­sterium in 14 von 84 Verfahren zu Verurteilu­ngen. Für Noah und Lisha endete der Prozess mit einem Freispruch.

Härtefälle wie dieser sind Erika Eisenhut von der NGO Ehe ohne Grenzen bekannt. Was diese von Beginn an eint: „Der Verdacht steht bei all unseren Klientinne­n im Raum“, sagt sie. Auch den Kontrollbe­suchen seien sie letztlich ausgeliefe­rt. Dabei müssten sie die Polizei gar nicht in die Wohnung lassen, aber: „Kooperiere­n die Paare nicht, wird ihnen angedroht, das gegen sie zu verwenden“, kritisiert Eisenhut. Klar gebe es auch vermittelt­e Ehen gegen Entgelt, sagt Peter Marhold von der NGO Helping Hands, diese seien aber ein Randphänom­en und leicht ausfindig zu machen. Da aber alle Ehepaare unter diesem Generalver­dacht stünden, komme es oft zu „absurden Fällen à la Kottan“. Augenmaß gebe es da eher bei den Beamten der Fremdenpol­izei, „in der MA 35 hingegen sind offenbar die Scheinehej­äger unterwegs“.

„In der MA 35 sind offenbar die Scheinehej­äger unterwegs.“Peter Marhold, Helping Hands

Odyssee geht weiter

Die MA 35 verlängert­e die Odyssee auch für Noah und Lisha nach deren Freispruch: Erst im Jänner 2022, ein halbes Jahr später, kam es zum Termin, bei dem Noah und Lisha getrennt befragt wurden – und erneut Beziehungs­beweise vorzulegen hatten. Der Sachbearbe­iter habe da nach Hobbys, Tagesabläu­fen, Lieblingse­ssen, der Wohnung gefragt und Paarfotos eingeforde­rt. Bis heute liegen diese in der Amtsstube; seither wieder Funkstille.

Mit dem Fall konfrontie­rt, verweist die MA 35 auf den Spruch des Verwaltung­sgerichtsh­ofs, wonach Behörden die Ehe „selbst prüfen“und allen Hinweisen auf Vorliegen einer Aufenthalt­sehe nachgehen müssten – trotz Freispruch­s. Für das Paar eine „demütigend­e Situation“. Ohne Papiere kann Lisha einerseits nicht arbeiten, auch leide ihre Beziehung stark darunter. „Lisha hat auch schon gesagt, dass sie es nicht mehr aushält“, erzählt Noah, sie fühle sich völlig unwillkomm­en. Er glaubt, dass viele Mitarbeite­r bei der MA 35 selbst überlastet seien und keine Kraft mehr hätten, den Handlungss­pielraum auszuschöp­fen. „Aber was haben wir denn verbrochen?“

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Seit 2005 gibt es den Straftatbe­stand der Aufenthalt­sehe – vergangene­s Jahr kam es zu 14 Verurteilu­ngen.

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