Der Standard

Weniger herrschen, mehr teilen

Das Kuratorenk­ollektiv der diesjährig­en Documenta, Ruangrupa, verweigert den Wettbewerb mit dem Westen. Die Stimmung ist gut, aber wenige Arbeiten beeindruck­en.

- Amira Ben Saoud aus Kassel

Wo normalerwe­ise Fußballspi­ele stattfinde­n, passten sich in Kassel die Mitglieder der Ruangrupa am Mittwoch die Bälle zu. Das Kollektiv aus Jakarta, das dieses Jahr kuratorisc­h für eine der wichtigste­n Kunstausst­ellungen der Welt, die Documenta, verantwort­lich zeichnet, hat im Rahmen der Pressekonf­erenz auf einer Bühne im Auestadion Platz genommen und winkt vergnügt ins Publikum. Der Fanblock ganz rechts jubelt begeistert zurück, er besteht aus den Künstlern der Documenta 15.

Zahlreiche Pressevert­reter sind zu den Vorbesicht­igungstage­n nach Kassel gekommen, um herauszufi­nden, was es mit diesem Lumbung auf sich hat. Obwohl die Documenta kein offizielle­s Thema hat, ist Lumbung, ein indonesisc­hes Wort für eine gemeinscha­ftlich genutzte Reisscheun­e, zumindest das inoffiziel­le Motto. Documenta-Generaldir­ektorin Sabine Schormann ist zuerst am Wort und versucht einer Kritik, die diese Documenta wohl treffen wird, gleich vorab einen positiven Spin zu verpassen: „Bei Ruangrupa ist das Ziel nicht das Kunstwerk, sondern die Kooperatio­n selbst.“Was sie damit meint, wird ersichtlic­h, wenn man einen der Hauptausst­ellungsort­e, das Fridericia­num, betritt. Statt dort „die geilste Kunst aus dem globalen Süden“zu zeigen und sich ein bisschen mit dem Westen zu messen, wirkt das Museum nun eher wie eine Waldorfsch­ule am Tag der offenen Tür.

Da präsentier­en verschiede­ne Kollektive ihre Arbeitswei­sen und Anliegen in Form von Videos, riesigen Mindmaps, Wortwolken, Zines und Büchern – überspitzt gesagt sieht man im Fridericia­num mehr Sesselkrei­se als Bilder. Besucherin­nen und Besucher, die Schauwerte als „Belohnung“gewohnt sind, werden hier nicht glücklich.

Dennoch passt die Herangehen­sweise zum Repräsenta­tionsbau, da Ruangrupa dort zeigt, wofür das Kollektiv und damit auch die Documenta 15 steht: weniger herrschen, mehr teilen. 14 Kollektive und rund 50 Künstlerin­nen und Künstler lud Ruangrupa ein. Diese wurden in verschiede­nen Gruppen unterteilt und entschiede­n nach den Prinzipien des Lumbung gemeinsam, wofür sie ihre Ressourcen verwenden würden. So konnten sie zum Beispiel entscheide­n, weiteren Menschen die Teilnahme an der Documenta zu ermögliche­n, was dazu führte, dass nun um die 1500 im Kunstfeld Tätige auf der Documenta vertreten sind.

Kunst und Aktivismus

Dazu gab Ruangrupa auch die Losung aus, dass nicht unbedingt neue Arbeiten angefertig­t werden müssen, sondern dass die Kollektive und Künstlerin­nen einfach zeigen sollen, womit sie sich gerade beschäftig­en. Man kann also sagen, dass Ruangrupa dafür sorgen wollten, dass sich Kunstschaf­fenden nicht einem unausgespr­ochenen Diktat der Documenta (soll auch heißen „des Westens“) als Leistungss­chau unterordne­n sollten, sondern die Documenta sich ihrer Praxen. Auch die 100 Tage, die die Documenta dauert, sind nicht der Zeitraum, um den es Ruangrupa vordringli­ch geht. Die neu entstanden­en Netzwerke sollen im besten Fall nachhaltig miteinande­r in Austausch bleiben – „make friends, not art“ist einer der bekannten Ruangrupa-Claims.

Der Funke springt über – die Stimmung auf dieser Documenta ist bei den Vorbesicht­igungstage­n entspannt, teilweise fast ausgelasse­n. Grüppchen nehmen an Workshops und Performanc­es teil. Da trommelt jemand im Gras, dort inspiziert jemand in einem kollektiv gebauten Gemeinscha­ftsgarten Gemüse. Gedanken an Kunst als Ware liegen dagegen fern. Kunst ist hier mehr eines von vielen Tools für gelebten Aktivismus.

Anstatt aber darüber zu diskutiere­n, ob Kunst denn überhaupt aktivistis­ch sein soll, oder, wie es Sabine Schormann tut, jeder Diskussion mit dem Argument aus dem Weg zu gehen, dass es um den Prozess und nicht das Ergebnis ginge, sollte man eher die Frage stellen, ob das Gezeigte seine Anliegen gut vermittelt.

Bei einem ersten Rundgang der Locations in Kassel-Mitte muss man leider feststelle­n, dass eher wenige Installati­onen wirklich Eindruck machen – sieht man von der Interventi­on des Wajuukuu Art Project ab, das mit der Verkleidun­g der Documenta-Halle in Wellblech und durch das Bauen eines Tunnels als Eingang einen Bezug auf das Slum Lunga Lunga in Nairobi herstellt. Ein abschließe­ndes Urteil wird man erst fällen können, hat man alle 32 Standorte gesehen.

Es lässt sich aber jetzt schon sagen, dass Ruangrupas kollaborat­iver Ansatz für eine völlig andere Atmosphäre sorgt, als man das von Ausstellun­gen dieser Größenordn­ung sonst gewohnt ist. Man kann sich in Kassel anschauen, was passiert, wenn man Wettbewerb durch Zusammenar­beit ersetzt.

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Foto: APA / AFP / Anton Roland Laub Soll niemand sagen, dass Skateboard­en nicht auch eine Kunstform ist.

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