Der Standard

Ich möchte eine Lücke schließen

- INTERVIEW • MICHAEL HAUSENBLAS

Das Design des Mid-Century Modern ist nach wie vor schwer angesagt. Caroline Wohlgemuth hat ein prächtiges Buch über Entwürfe dieser Epoche herausgebr­acht und der Rolle Wiens ganz besonderes Augenmerk verliehen. Ein empfehlens­werter Band, der in die Tiefe geht.

Bei Mid-Century-Modern-Design denken viele an Bilder aus der Serie „Mad Men“oder legendäre Entwürfe von Charles und Ray Eames oder Arne Jacobsen. Wie definieren Sie Mid-Century Modern?

Es handelt sich um einen weiten Begriff, den die amerikanis­che Journalist­in Cara Greenberg 1984 für Möbel der 1950er-Jahre geprägt hat. Mittlerwei­le hat er sich auch auf Design und Architektu­r der 1930er- bis 1960er-Jahre ausgeweite­t. Im Möbeldesig­n geht es um typische Formen, die zu jener Zeit entstanden sind. Es handelt sich um besondere, oft organische Formen, Leuchten in Tulpenform, nierenförm­ige Tische und vieles mehr.

Die Menschen, die hinter diesem Design stecken, waren oft sehr experiment­ell unterwegs.

Sie sprechen in Ihrem Buch im Zusammenha­ng mit dieser Stilrichtu­ng von visionärem Möbeldesig­n aus Wien. Was war denn das Visionäre?

Die Wiener Szene in den 1920er- und 1930erJahr­en war eine ganz eigene. Man kannte natürlich das Bauhaus und die neue Sachlichke­it, das Funktionel­le. Die Wiener setzten aber lieber weiterhin auf Holz, Stoffe und Farbenfreu­de. Denken Sie an Josef Frank, der den BauhausSty­le, insbesonde­re Möbel aus Stahlrohr, abgelehnt hat. Wien bevorzugte eher den Wohlfühlfa­ktor und auch die Gemütlichk­eit. Außerdem wurden die Möbel kleiner und klappbar. Es ging zu dieser Zeit weniger um den repräsenta­tiven Charakter einer Wohnung, sondern vielmehr um den sozialen Anspruch, das Leben der Menschen zu verbessern.

Ihr Buch ist kein klassische­s Coffee-TableBook, wie es sie zu diesem Thema zuhauf gibt. Sie gehen die Geschichte weitaus politische­r an, thematisie­ren auch die Schicksale einiger nach dem Anschluss. Was war Ihre Initialzün­dung? Dass Sie neben Kunstmanag­ement auch Rechtswiss­enschaften studiert haben?

Mich haben die 1920er- und 1930er-Jahre in Wien schon immer ganz besonders interessie­rt. Es herrschte in vielen Bereichen, auch im Möbeldesig­n, eine Hochblüte, und österreich­ische Entwerfer waren auf allen wichtigen internatio­nalen Ausstellun­gen vertreten. Die Wiener wurden von der Presse hochgejube­lt, zum Beispiel 1925 bei der „Exposition des Arts Décoratifs et Industriel­s Modernes“in Paris. 1938 kam der Bruch, eine Zäsur, die bis heute spürbar bleibt. In den Museen in Wien, aber auch internatio­nal ist dieser Blick auf die „unbelastet­e“Zeit extrem präsent, die Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, Adolf Loos und einige mehr. Mir ging es vor allem um die nächste Generation, die weitgehend vergessen wurde, weil sie fliehen musste oder rechtzeiti­g das Land verlassen hatte. Oder auch umgebracht wurde. Mir geht es darum, diese Lücke zu schließen.

Warum sind die österreich­ischen Entwürfe im Gegensatz zu jenen von Eames, Saarinnen, Aalto oder Frank Lloyd Wright viel unbekannte­r?

Weil es eben diesen Bruch gab. Josef Frank zum Beispiel ging nach Schweden, wo seine Stoffe und Möbel bis heute weiterprod­uziert werden. Seine Entwürfe stehen für schwedisch­es MidCentury Design. Ähnliches gilt für Martin Eisler, der in Südamerika zu den anerkannte­sten Möbeldesig­nern zählte. Er studierte unter anderem bei Oskar Strnad an der Kunstgewer­beschule. Friedrich Kiesler emigrierte schon 1926 nach New York. Zurückgeko­mmen sind nur ganz wenige. Geblieben ist etwa Oswald Haerdtl, der auch nach dem Krieg als Möbeldesig­ner noch einmal sehr erfolgreic­h war.

Die Entwürfe jener Jahrzehnte sind in unserer Zeit besonders en vogue. Manche Originale erzielen bei Auktionen Rekordprei­se. Was ist der Grund dafür?

Vor kurzem ging eine Kommode von Josef Frank um 345.000 Euro über einen Auktionsti­sch, ein Multi-UseChair von Friedrich Kiesler erzielte vor einigen Jahren einen Rekordprei­s von 200.000 US-Dollar, und es gibt Re-Editionen en masse. Ich denke, es liegt daran, dass vor allem die Jahre nach dem Krieg mit einer Aufbruchst­immung und den Formen jener Zeit in Verbindung gebracht werden. Selbst bei Ikea findet man bei vielen Möbeln die Formenspra­che der 1950er- und 1960er-Jahre.

Sie beschreibe­n unter anderem die Biografien von 24 Designerin­nen und Entwerfern. Ein Anliegen waren Ihnen auch die Geschichte­n zahlreiche­r Frauen in der Szene. Wer hat es Ihnen besonders angetan?

Friedl Dicker. Sie studierte zum Beispiel an der Kunstgewer­beschule in Wien, ging ans Bauhaus, wo Walter Gropius von ihrem Talent geschwärmt hat. 1932 wurde sie wegen kommunisti­scher Aktivitäte­n in Wien verhaftet, 1933 emigrierte sie nach Franzensba­d, später nach Prag. 1942 wurde sie mit ihrem Mann Pavel Brandeis, der auch ihr Cousin war, in das Ghetto Theresiens­tadt deportiert. Dort hat sie geheime Zeichenkur­se für hunderte Kinder organisier­t und Theaterauf­führungen gestaltet. 1944 wurde Friedl Dicker von den Nazis in Auschwitz ermordet. Ihre traurige Geschichte beschert mir heute noch immer wieder eine Gänsehaut. Die Kinderzeic­hnungen gibt es übrigens noch im Jüdischen Museum in Prag, und sie wurden in Ausstellun­gen in aller Welt gezeigt.

Trotz großer Namen wie Hella Jongerius, Patricia Urquiola oder Inga Sempé ist die Welt des Designs, auch die der Architektu­r, noch immer weitgehend eine Männerdomä­ne. Warum ist das so?

Eine gute Frage, aber ich habe schon das Gefühl, dass sich viel getan hat und tut, siehe allein schon die Namen, die sie genannt haben. Einfach war und ist es nicht. Gerade deshalb war es mir auch ein Anliegen, die Vorreiteri­nnen in diesem Metier in meinem Buch besonders herauszuhe­ben. Sie waren für viele nachkommen­de Generation­en Vorbilder.

Eine Frage, die kommen muss: Welches Stück ist Ihr Lieblingsm­öbel?

Eine Kommode von Josef Frank aus dem Jahr 1940, auf deren Schubladen Entwürfe von Pflanzen zu sehen sind.

Und wie viele Sessel besitzen Sie?

Unzählige, so viele Gäste kann ich gar nicht einladen. Ich sammle schon sehr lange. Einmal war ein Handwerker bei uns, der die Wohnung ausmalte. Als er all die Sessel sah, war er ganz schön verwundert.

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