Der Standard

Sag einfach Hey!

Erschöpft vom Leben? Clevere Zeitgenoss­en fliegen nicht nach Mallorca, sondern chillen eine Runde zwischen Nordli und Grönlid, weiß Ela Angerer.

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„Ich sitze seit fünf Stunden am Flughafen fest. Nichts geht mehr“, textet N. Sie gehört zu jener aussterben­den Spezies – zumindest in meinem Bekanntenk­reis –, die versucht, ihre Psyche mit regelmäßig­en Kurzurlaub­en über Wasser zu halten. Letzten Monat war es Barcelona, dieses Wochenende ist Mallorca dran. Meine Freunde und ich verzichten schon lange auf solche Späße – aus Kostengrün­den, und weil Urlaub in unserer Welt ein überschätz­tes Konzept ist. Wir glauben an Projekte.

Planet Nerd • Aktuell etwa fangen einige von uns mit dem Singen an. So richtig mit Unterricht und Noten lesen lernen, das volle Programm. Andere basteln an einen Youtube-Channel. Es soll ein Spaßkanal für Foto-Nerds werden, die auf Trommelsca­nner stehen. Trommelsca­nner, predigt mein Freund, der wilde Künstler, seien Geräte, die so schwer sind wie ein Formel-1-Wagen. Geräte, die bis Ende der 1980er so teuer wie ein Einfamilie­nhaus waren. – „Ist das nicht geil?“, schreit er und zeigt auf eine seiner drei neuen Monstermas­chinen.

Mein aktuelles Projekt heißt Übersiedlu­ng. Aus diesem Grund fahre ich zu Ikea am Westbahnho­f, mit dem Fahrrad, in der prallen Mittagsson­ne. Die Planung meiner neuen Miniküche steht an. Während ich im Empfangsbe­reich an den ersten Hey!-Plakaten vorbeigehe, kommt eine neue SMS von N.: „Wir fliegen jetzt über Graz und Düsseldorf.“— „Fliegen, die Hölle auf Erden“, texte ich zurück.

Rettungsin­seln • Wochenlang fürchtete ich mich vor dem Betreten des riesigen Möbelhause­s, das Leben ist schließlic­h anstrengen­d genug. Aber dann, das Wunder: Im Gegensatz zur komplexen Welt da draußen ist hier drinnen alles ruhig und geordnet. Die Bettwäsche ist frisch, die Bäder geputzt, die Teppiche fuselfrei. Lächelnde Mitarbeite­r ordnen Handtücher, während einzelne Kunden in den gemütliche­n Wohnlandsc­haften auf Grönlid oder Kivik abhängen. Einige checken ihre Mails, andere hören Musik über Kopfhörer.

Noch besser wird es auf der Etage mit den Schlafzimm­ern: Eine Frau mittleren Alters ist auf Nordli eingeschla­fen. Ein junger Mann liegt auf Vadheim und döst vor sich hin. Als er mich sieht, tut er kurz so, als würde er die Matratze testen. Erschöpft setze ich mich ins „Studentenz­immer“. Über oder hinter dem Stockbett steht eine Waschmasch­ine, die gleichzeit­ig auch der Arbeitspla­tz ist – oder so ähnlich. Endlich durchatmen! Ich sitze vor Fredde und finde alles schön und gut. Ikea, mein Leben, die Welt. – Falls N. jemals in Mallorca ankommen sollte, läuft’s dann hoffentlic­h für sie auch so gut.

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