Der Standard

Vizekanzle­r Kogler will weitere Hilfen für Mieter

Länder sollen mehr Geld für Wohnbeihil­fen bekommen

- András Szigetvari

Wien – 28 Milliarden Euro will die Regierung bis zum Jahr 2026 in die Hand nehmen, um die immer weiter ausufernde Teuerung in den Griff zu bekommen. Die Maßnahmen, die sie ergreifen will, sind nicht unumstritt­en. So soll etwa die kalte Progressio­n abgeschaff­t, der Klimabonus erhöht und die Sozialleis­tungen an die Inflation angepasst werden. Kritiker sprechen angesichts dessen davon, dass das Paket lediglich Symptome bekämpfe.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr meint in einem STANDARD-Streitgesp­räch, dass die hohen Energiepre­ise auch wichtig seien – als Sparanreiz für Haushalte und Unternehme­n etwa. Von Kritikern geforderte Mietzinsde­ckelungen sieht Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) kritisch. Greife man dauerhaft in Mietpreise ein, sei das „verfassung­srechtlich ein Problem“.

Er redet aber Leerstands­abgaben „in nennenswer­ter Höhe“das Wort, wobei es dafür Gesetzesän­derungen bräuchte. Derzeit sind die Länder zuständig, können aber nur geringe Abgaben umsetzen. Kogler will den Ländern mehr Mittel in die Hand geben, damit sie höhere Wohnbeihil­fen zahlen können.

Die Chefökonom­in des ÖGB, Helene Schuberth, hält es für falsch, dass Österreich ausschließ­lich auf Einmalzahl­ungen und Steuertran­sfers setzen will. Sie plädiert dafür, die Ursache der Preissteig­erungen anzugehen. Der Staat solle etwa Obergrenze­n bei den Mieten festsetzen und in den Strommarkt eingreifen. (red)

Was ist die richtige Antwort auf die Teuerung? Die Regierung versucht mit einem 28 Milliarden Euro schweren Entlastung­spaket gegenzuste­uern. Damit werden lediglich Symptome bekämpft, meinen Kritiker. Vizekanzle­r Werner Kogler, die Chefökonom­in des ÖGB, Helene Schuberth, und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr im Streitgesp­räch.

Am Freitag war es wieder so weit. Die Statistik Austria hat die Inflations­zahlen für Mai präsentier­t – und die haben es wieder in sich. Butter ist um 30,6 Prozent teurer geworden über die vergangene­n zwölf Monate, Gas um 72 Prozent, Weißbrot um 16 Prozent. Die Gesamtinfl­ationsrate lag bei 7,7 Prozent. Ist das von der Regierung geschnürte Entlastung­spaket angesichts dieser Preissteig­erungen ausreichen­d? Darum ging es im Videotalk „STANDARD mitreden“. Ein Auszug.

Standard: Hilft uns das Paket durch die Krise? Schuberth: Grundsätzl­ich gehört Österreich zu den wenigen Ländern in der EU, die fast ausschließ­lich auf eine Maßnahme setzen: die Entlastung von Haushalten und Unternehme­n in Form von Einmalzahl­ungen und Steuertran­sfers. Das halte ich angesichts der höchsten Inflations­rate seit 50 Jahren für falsch.

Standard: Warum?

Schuberth: Damit wird zugelassen, dass ein primär kriegsbedi­ngter Energiepre­isanstieg sich voll auf die Preise für Konsumenti­nnen und Konsumente­n durchschlä­gt. Das betrifft Grundbedür­fnisse wie Wohnen, Energie, Nahrungsmi­ttel, Treibstoff­e. Man lässt damit auch zu, dass Energiekon­zerne gigantisch­e Gewinne machen können auf Kosten der Konsumente­n. Man lässt zu, dass sich so etwas wie eine Mietpreiss­pirale aufbaut, mit stetig steigenden Wohnkosten. Man lässt auch zu, dass sich eine Gewinn-Preis-Spirale aufbaut, weil Studien zeigen, dass viele Unternehme­n gerade eine Phase ansteigend­er Inflation geschickt nützen, um Preise über den Anstieg ihrer Kosten hinaus zu erhöhen. Je früher man an der Wirkungske­tte des Inflations­aufbaus ansetzt, um so weniger muss der Staat später entlasten und umso geringer sind die Gesamtkost­en.

Felbermayr: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wie der Staat in den Markt hineininte­rvenieren kann, um die Preise zu manipulier­en. Ich verstehe das Ansinnen: Teuerung ist ein Riesenthem­a. Wenn ich aber beginne, bei den Knappheits­signalen, die der Markt sendet, zu intervenie­ren, drehe ich ja gerade nicht an jenen Schrauben, an denen gedreht werden muss. Die Preise steigen ja nicht aus Bosheit der Energiever­sorger, sondern angesichts eines realen Hintergrun­des: des Konfliktes mit Russland. Die hohen Preise sind also wichtig, damit es Sparanreiz­e gibt bei Unternehme­n wie Haushalten. Die hohen Preise sind gleichzeit­ig wichtig, damit Unternehme­n Anreize haben, nach Alternativ­en zu suchen wie erneuerbar­en Energieque­llen. Schuberth: Ich muss Ihnen da fundamenta­l widersprec­hen. Die Preise, die wir derzeit sehen, spiegeln nicht nur Knappheite­n wider. Die Entwicklun­g ist das Ergebnis spekulativ­er Übertreibu­ngen. Ein Beispiel: Die Deutsche Bank ist aktiv im Hochfreque­nzhandel mit Gas. In den USA gibt es dazu bereits eine Diskussion. Ich frage mich: Wo ist die Initiative der Bundesregi­erung, damit die EU aktiv wird? Zu den Mieten. Auch hier signalisie­ren Preise nicht nur Verknappun­gen. Wohnungen sind Spekulatio­nsobjekt. Ich kann nicht nur im Interesse des freien Marktes Menschen Existenzän­gsten aussetzen. Das ist Kapitulati­on vor dem Marktgesch­ehen. Die Menschen werden durch die Maßnahmen im Entlastung­spaket aufatmen können. Aber nur kurzfristi­g, wenn die Ursachen der Inflation nicht angegangen werden.

Standard: Bekämpft die Regierung nur Symptome, Herr Kogler?

Kogler: Die Frage ist, was eine kleine offene Volkswirts­chaft wie Österreich ausrichten kann. Den größten Teil der Inflation nehmen wir von außen auf, denke ich. Nun muss man sich Vorschläge zur Dämpfung der Preise im Einzelnen genau ansehen. Da gibt es den Vorschlag, Mehrwertst­euer auf bestimmte Güter zu senken. Aber die Gefahr ist groß, dass diese Senkung nicht weitergege­ben und erst recht die Gewinne der Unternehme­n erhöhen würde. Wir wollten jetzt Haushalte und Unternehme­n, die besonders von den Preissteig­erungen betroffen sind, unterstütz­en. Das passiert mit relativ gezielten Auszahlung­en.

Standard: Was die Preise nicht dämpfen wird. Kogler: Am ehesten stellt sich die Frage nach Deckeln bei Mieten, das ist eine große Problemzon­e. Unmittelba­r sind Eingriffe nur bei Richtwert- und Kategoriem­ieten möglich (diese finden sich in Altbau- und Gemeindewo­hnungen sowie bei ältere Mietverträ­gen, Anm.). Aber diese betreffen nur einen kleinen Teil des Marktes. Das sind nicht viele Millionen Menschen. Hier wurden Mietsteige­rungen schon in der Pandemie ausgesetzt. Nur ist das verfassung­srechtlich ein Problem, wenn man da dauernd eingreift. Es ist daher wohl eine Frage, die über Wohnbeihil­fen, also Hilfen für jene, die es brauchen, gelöst werden muss. Wir sind dazu in Gesprächen mit den Bundesländ­ern. Dazu kommt, dass die Bundesländ­er umtriebig dabei sind, Leerstands­abgaben einzuheben auf unvermiete­te Wohnungen. Das hat einen gewissen Lenkungsef­fekt, und da würden wir als Regierung unterstütz­en wollen.

Standard: Woran wird gedacht? Kogler: Wohnbeihil­fe ist Aufgabe der Länder. Wenn aber Hilfen Ausmaße annehmen, die so groß sind, dass Länder glaubwürdi­g sagen, das können sie nicht stemmen, dann können wir von Bundesseit­e etwas zuschießen. Dazu laufen Gespräche. Nur weil etwas nicht laut debattiert wird, heißt es nicht, dass es nicht in Bewegung ist. Bei den Leerstands­abgaben macht Föderalism­us Sinn, weil die Situation überall anders ist. Aber es bräuchte eine Kompetenzv­erschiebun­g, damit die Länder Leerstands­abgaben in nennenswer­ter Höhe

„Österreich setzt fast ausschließ­lich auf eine Maßnahme: Entlastung in Form von Einmalzahl­ungen und Steuertran­sfers. Das halte ich für falsch.“

Helene Schuberth, ÖGB-Chefökonom­in

„Ein Grund für die hohen Baupreise ist, dass wir in den vergangene­n Jahren auf viele Dinge Zölle eingeführt haben in der EU. Das sollten wir ändern.

“Gabriel Felbermayr, Wifo-Chef

machen können. Jetzt können sie nur kleinere, gebührenar­tige Beträge einheben. Um die Kompetenz zu ändern, bräuchte es ein Gesetz.

Standard: Sonst sehen Sie keine Möglichkei­ten, über Eingriffe Preise zu regulieren?

Kogler: Was man schon vor zehn oder zwanzig Jahren hätte überlegen müssen, ist, wie sehr es Sinn macht, den europäisch­en Gasmarkt zu liberalisi­eren. Denn das schafft uns ja nun Probleme. Die entscheide­nde Frage dabei ist, wie sich der Gaspreis auf den Strompreis auswirkt. Die Preisbildu­ng beim Strom ist so gasabhängi­g, und es ist wirklich nicht einsichtig, warum es so sein muss. Länder wie Deutschlan­d und Österreich gemeinsam könnten die aktuellen Preisbildu­ngsprinzip­ien zumindest vorübergeh­end ändern. Das würde genau die Übergewinn­e im Strommarkt, bei denen niemand bestreitet, dass es sie gibt, erwischen.

Schuberth: Der Gaspreis, den Kraftwerke zahlen, wenn sie mit Gas Strom produziere­n, sollte gedeckelt werden. Damit würde man Strompreis­e für die Konsumente­n reduzieren. Genau das machen Spanien und Portugal schon. Ich verstehe nicht, warum hier nicht längst gehandelt wurde.

Standard: Herr Felbermayr, eine gute Idee?

Felbermayr: Das ist in der Tat eine Sache, die in Europa Sinn machen würde. Aber das ist keine Regulatori­k, sondern kostet Geld. An den Gaserlösen, die nach Moskau fließen, ändert das gar nichts. Wenn wir das in Österreich allein machen, würde das bedeuten, dass wir Strom günstiger anbieten, und dieser günstige angebotene Strom wird dann auch im europäisch­en Ausland nachgefrag­t werden, weil es ein verflochte­ner Markt ist. Wir müssten dann in Österreich die Differenz zwischen dem Marktpreis für Gas und dem festgesetz­ten Preisdecke­l aus Steuermitt­eln ersetzen. Da muss man sich genau überlegen, was man tut, um nicht die strominten­sive Industrie in Bayern zu subvention­ieren. Was ich verstehe, ist, dass es Frau Schuberth zu langsam geht im Kampf gegen die Inflation. Das tut es für mich auch in zwei anderen Bereichen.

Standard: Woran denken Sie?

Felbermayr: In Europa gibt es noch eine Institutio­n, die mehr aufs Gas drücken könnte. Das ist die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrer lockeren Geldpoliti­k. Wenn der Euro nicht 14 Prozent abgewertet hätte im vergangene­n Jahr, dann wären in Dollar gehandelte Rohstoffe heute um 14 Prozent günstiger. Das wäre inflations­dämpfend. Der letzte Punkt: Wir haben aktuell sehr hohe Baupreise. Das wirkt sich nicht nur am Wohnmarkt aus, sondern bei grünen Investitio­nen. Ein Grund für diese Entwicklun­g ist, dass wir in den vergangene­n Jahren auf viele Dinge Zölle eingeführt haben in der EU. Auf Stahlprodu­kte zum Beispiel. In den USA wird diskutiert, diese Zölle auszusetze­n. Das sollte man sofort in Europa tun. Bei Lebensmitt­eln auch, ebenso bei Agrarrohst­offen. Diese Dinge werden durch europäisch­e Regeln künstlich verteuert.

Standard: Kommen wir zum Entlastung­spaket der Regierung: Größter Brocken ist das Ende der kalten Progressio­n. Der richtige Schritt?

Felbermayr: Ich bin froh darüber. Das ist seit Jahren eine Forderung vieler Expertinne­n und Experten. Das ist eine historisch­e Entscheidu­ng, die das Steuersyst­em besser machen wird. Für die kommenden Jahrzehnte bedeutet es, dass es enger wird, dass man mehr Disziplin braucht, weil der Staat nicht mehr von laufenden Steuererhö­hungen profitiere­n wird. Wenn der Staat also künftig Akzente setzen will, wird er sich um die Gegenfinan­zierung kümmern müssen. Das macht eine Reform der Steuerstru­ktur wahrschein­licher, und das ist eine gute Sache. Also weg von Belastung des Faktors Arbeit hin zu einer Bodenwert- oder Erbschafts­steuer. Diese Dinge dürfen wir nicht länger tabuisiere­n.

Schuberth: Wenn das Ende der kalten Progressio­n dazu führt, dass Erbschafts­teuern eingeführt werden, wäre das sehr positiv. Ich halte den Schritt auch für richtig, sehe nur das konkret gewählte Modell als kritisch, weil man sich doch vieler Spielräume entledigt. Das vom ÖGB vorgeschla­gene Modell hätte auch vorgesehen, dass das gesamte Volumen der kalten Progressio­n zurückgege­ben wird. Aber verteilung­sgerecht: Wie diese Rückgabe erfolgen soll, hätte die Politik ausgestalt­en können. Aufgefalle­n ist mir beim Maßnahmenp­aket, dass zwar temporär einiges gemacht wird. Aber wir hätten uns eine permanente Erhöhung des Arbeitslos­engeldes oder der Notstandsh­ilfe gewünscht, weil der Preisansti­eg ein permanente­r sein wird. Bei der kalten Progressio­n ist die Abschaffun­g für alle Ewigkeit festgezurr­t. Bloß entlastet das Besserverd­iener in absoluten Beträgen stärker.

Standard: Ist das so, Herr Kogler?

Kogler: Dazugesagt werden sollte, dass Familienun­d Sozialleis­tungen auch indexiert werden. Das eine kann es ohne das andere nicht geben. Das ist nicht unhistoris­ch: Die Grünen diskutiere­n immer gern lang. Aber gerade die Abschaffun­g der kalten Progressio­n haben nun bereits zehn frühere Regierunge­n und zehn Regierungs­programme befürworte­t, mit vielen Pros und Kontras, und das wird jetzt von uns gemacht. Ein anderer Punkt, der gern übersehen wird, ist, dass die steuerlich­en Absetzbetr­äge selbst dieser Indexierun­g unterworfe­n sind. Das hilft denjenigen, die weniger verdienen: Das betrifft auch jene, die aufgrund des geringen Einkommens gar keine Steuern zahlen und stattdesse­n eine Negativste­uer vom Staat ausbezahlt erhalten. Auch diese wird mitvaloris­iert. Dazu kommt, dass bei einem Drittel des Volumens der kalten Progressio­n weiter die Politik entscheide­t, wie zurückgege­ben wird, so wie das in Deutschlan­d auch passiert. Dort werden die unteren Einkommens­stufen regelmäßig stärker entlastet als die oberen. Wenn wir also mit diesen Dritteln den sozialen Ausgleich schaffen, geht das Paket sehr in die richtige Richtung.

Standard: Aber von der Rückvergüt­ung der kalten Progressio­n werden nur Arbeitnehm­er und Pensionist­en profitiere­n. Nicht Arbeitslos­e oder Mindestsic­herungsbez­ieher zum Beispiel.

Kogler: Wir haben schon insgesamt heuer, wenn man den Teuerungsa­usgleich einbezieht, bereits 600 Euro an Einmalzahl­ungen nur für diese vulnerable Gruppen fixiert. Ich hätte nicht entdeckt, dass in anderen Ländern solch hohe Zuschüsse fixiert worden wären.

Standard: Inflation entsteht, wenn Nachfrage das Angebot übersteigt. Wie groß ist das Risiko, dass dieses Paket die Teuerung anfacht?

Schuberth: Wir erwarten in den kommenden Quartalen eine wirtschaft­liche Stagnation. Erst 2023 dürfte das Konsumnive­au das Level vor der Pandemie erreichen. Hier könnten die Maßnahmen der Regierung das relativ schwache Konsumwach­stum zu unterstütz­en. Ich sehe daher nicht unmittelba­r eine Inflations­gefahr aus diesem Maßnahmenp­aket heraus. Felbermayr: Die Anstoßinfl­ation ist importiert, über Energie, Agrarrohst­offe und Lebensmitt­el. Hier sind die Weltmärkte entscheide­nd. Weite Bereiche der österreich­ischen Volkswirts­chaft hängen aber nicht von den Weltmärkte­n ab: in der Gastronomi­e oder Hotellerie etwa. Welche Preise weite Teile des Dienstleis­tungssekto­rs ansetzen können, wird nicht in Saudi-Arabien oder im Kreml festgelegt. Deswegen wird das zusätzlich ausgegeben­e Geld die Inflation ein klein wenig weiter nach oben treiben. Dennoch ist das Paket richtig, weil die Kaufkraftv­erluste enorm sind in der Bevölkerun­g. Und wenn das die Inflation noch einmal um 0,3 Prozentpun­kte anschieben sollte, soll es so sein.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria