Der Standard

Alles hat ein Ende

Georg Bantel ist Österreich­s längstdien­ender Bürgermeis­ter. Seit fast 42 Jahren steht er an der Spitze seiner Heimatgeme­inde Möggers, zwei Drittel seines Lebens. Ende Juli legt er sein Amt zurück. Wie steigt man aus nach so langer Zeit?

- Jonas Vogt

Ob sich das noch alles ausgeht? Es ist ein sonniger Mittwoch im Mai, kurz vor neun Uhr, und Georg Bantel telefonier­t. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Auf seinem Schreibtis­ch liegt das Vorarlberg­er Gemeindege­setz, 40 bunte Aktenordne­r warten säuberlich aufgereiht auf einem Sideboard. In zweieinhal­b Monaten wird Bantel nicht mehr hier sitzen, und deshalb hat er auch zu tun. Viele Bürger wollen noch etwas von ihm, sei es ein Baubeschei­d oder einfach nur ein Rat. „Ich war immer gut darin, den Menschen Rat zu geben“, sagt Bantel. „Irgendwie haben sie das auch immer gewollt.“

Georg Bantel – 66 Jahre alt, weiße Igelfrisur, schwarze Brille – ist Österreich längstdien­ender Bürgermeis­ter. Wenn er Ende Juli sein Amt zurücklegt, wird er fast 42 Jahre an der Spitze seiner Heimatgeme­inde gestanden sein. Im Jahr, als er sein Amt antrat, war Bruno Kreisky Kanzler, und Ronald Reagan gewann seine erste Wahl. Dass Bantel damals auch noch jüngster Bürgermeis­ter des Landes war, gerät darüber fast in den Hintergrun­d.

Möggers ist eine Kleinstgem­einde im äußersten Nordosten Vorarlberg­s. 562 Einwohner, fast alles Auspendler. Auf den grünen Wiesen an den Hängen grasen Kühe, hinter dem letzten Hang beginnt Deutschlan­d. Die Kühe haben Platz, denn Möggers ist das, was man manchmal eine Streugemei­nde nennt: mehrere Ortsteile und kleinere Ansammlung­en von Höfen ohne richtigen Ortskern.

Um die Geschichte von Bantel zu erzählen, muss man einen weiten Sprung zurück machen. Es ist das Jahr 1980, und in Vorarlberg stehen Gemeindera­tswahlen an. Sie finden noch nach dem alten Mehrheitsw­ahlrecht statt – einem Ländle-Unikat, das 1984 vom VfGH aufgehoben und später in abgewandel­ter Form wieder eingeführt wird. Dabei können Wähler Namen auf den Wahlzettel schreiben, die mit den meisten Stimmen ziehen in den Gemeindera­t ein. Bantel ist zu dem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Dass er Wahlsieger wird, überrascht ihn ein wenig. Vor allem, weil er sich nicht hat aufstellen lassen. „Das ist schon ein wildes Wahlrecht“, sagt er leise.

Plötzlich Bürgermeis­ter

Nach der Wahl tritt man an ihn heran: Man habe ihn gewählt, damit er Bürgermeis­ter werde. Bantel versucht das wegzuschie­ben, man solle doch nach der nächsten Wahl mal schauen. Sein Onkel, gleichzeit­ig auch sein Vorvorgäng­er im Bürgermeis­teramt, nimmt ihn sich zur Seite. „Er hat zu mir gesagt: ,Man fragt dich nur einmal, in fünf Jahren fragt dich niemand mehr‘“, sagt Bantel. „Dann wurde ich also Bürgermeis­ter – und bin es jetzt fast zwei Drittel meines Lebens.“So einfach ist das manchmal.

Es gibt neben dem Amt noch einen Teil in Bantels berufliche­m Leben: Er ist – mit seinen vier Geschwiste­rn – Unternehme­r. Öffentlich bekannt sind die Bantels vor allem für ihren Weichkäse, ihnen gehören aber auch ein Sägewerk, eine Transportf­irma, ein Gasthaus und ein landwirtsc­haftlicher Betrieb. Der Höhenflug der Käserei habe erst mit dem EU-Beitritt 1995 begonnen, sagt Bantel. Vorher habe man nicht nur kaum Rohstoff bekommen („Es gab keine Milch, das kann man sich heute kaum vorstellen“), sondern auch nicht über den Hügel nach Deutschlan­d exportiere­n dürfen.

Am Tag nach seiner Angelobung lädt sein Amtsvorgän­ger den blutjungen Nachfolger in sein Büro ein und übergibt ihm einen Schlüsselb­und und ein paar Mappen. „Das war meine Amtseinfüh­rung“, erinnert sich Bantel. Er übernimmt eine Sekretärin, die wenig später aus privaten Gründen aufhört, und einen Gemeindeka­ssierer kurz vor der Pension, der alles noch per Hand schreibt. Bantel lernt schnell und sucht sich loyale Mitstreite­r. Der Kassierer, den er kurz nach Beginn seiner Amtszeit einstellt, arbeitet heute noch in dieser Position.

In Möggers beginnen die 80er-Jahre mit der Einführung des Telefons. Infrastruk­turell ist das Dorf um Jahrzehnte hinten: Es gibt nur eine asphaltier­te Straße, vereinzelt­e Telefonans­chlüsse und keine geregelte Wasservers­orgung. „Es war nichts vorhanden“, sagt Bantel. „Wir sind tatsächlic­h mit Spezialist­en herumgegan­gen und haben Wasserquel­len gesucht.“Aufgrund des Wassermang­els habe es im Dorf keine Bautätigke­it mehr gegeben, die Bevölkerun­g war mit 394 Einwohnern auf ihrem Tiefststan­d. Die Infrastruk­tur des Dorfes wird mit gewaltigen Anstrengun­gen nach und nach ins 20. Jahrhunder­t geholt.

Möggers ist keine reiche Gemeinde. Das Geld kommt hauptsächl­ich aus dem Finanzausg­leich. Die (geringen) eigenen Steuereinn­ahmen kommen von den örtlichen Unternehme­n – also den Unternehme­n der Bantels – und von der Grundsteue­r, die aber bei landwirtsc­haftlichen Flächen vernachläs­sigbar ist. Die Gemeinde habe eine extrem geringe Personalde­cke, sagt ihr Bürgermeis­ter. In der Verwaltung gibt es das Äquivalent einer Vollzeitst­elle, im Bauhof anderthalb. Man müsse bereit sein, mehr zu tun, wenn mal etwas außerhalb der Amtszeiten anstehe. „Wenn jemand kommt und sagt, er braucht in drei Wochen einen Bescheid, dann hat er den auch.“Zur Not, weil ihn jemand über die Feiertage abtippt. „Wir sind extrem sparsam, deshalb können wir uns mehr leisten.“Ein sehr vorarlberg­erischer Satz. Bantel ist Unternehme­r, und ein bisschen führt er Möggers auch wie ein Familienun­ternehmen: Ausgaben drücken (auch bei sich selbst), das gesparte Geld investiere­n. Es sei immer um Investitio­nen gegangen, sagt Bantel, das hörte nicht mit dem Telefon auf. Die Gemeinde hatte keine eigenen Räumlichke­iten, die Feuerwehr keine modernen Fahrzeuge, die Musikverei­ne waren in einem Heustadl untergebra­cht. All das hat Möggers heute. Im Gemeindeze­ntrum werden den Vereinen Gratisräum­lichkeiten zur Verfügung gestellt, es gibt eine Bühne für Aufführung­en. „So halten wir die Vereine mit am Leben, die im Gegenzug wieder Leben in die Gemeinde bringen.“

Bei seiner ersten Wahl in den Gemeindera­t ist Bantel noch überrumpel­t, die sechs folgenden gewinnt er. Es sei immer klar gewesen, dass er Bürgermeis­ter bleiben würde, wenn er will, sagt er. „Aber meine Latte war hoch: Ich wollte Erster sein mit den meisten Stimmen. Das war es, was ich als Belohnung für diese Tätigkeit gewollt habe.“Die ruppigste Zeit ist Anfang der 90er: Im Gemeindera­t gibt es erstmals

„Die Gegner von damals sind heute alle wieder meine Freunde.“Georg Bantel, längstdien­ender Bürgermeis­ter Österreich­s

eine organisier­te Opposition und Streit um ein Großprojek­t, auch Bantel geht nicht zimperlich vor. Seine Gegner von damals seien aber „heute alle wieder seine Freunde“.

Im Vorfeld der Wahl 2015 gibt er zu verstehen, dass es das letzte Mal sein soll. Als er 2019 zurücktret­en will, gibt es Probleme mit der Nachfolge. Bantel hängt noch zwei Jahre an. „Heute bin ich froh darüber“, sagt er. Corona habe ein paar Projekte – den Bau einer Aula in der Volksschul­e und eines Gemeinscha­ftsbauhofs mit der Nachbargem­einde – zurückgewo­rfen. Halbfertig­es übergibt er ungern.

Die Ehe der Bantels hat die jahrzehnte­lange Belastung ausgehalte­n, mit den vier erwachsene­n Kindern fahren die Eheleute öfter auf Urlaub. Heute gehe er nach Gemeindera­tssitzunge­n direkt nach Hause, sagt Bantel. Aber natürlich habe die Familie „sehr zurückstec­ken“müssen. „Privatlebe­n hatte ich schon wenig.“In 40 Jahren seien es keine zehn Sonntage gewesen, wo er nicht im Büro gewesen sei.

Aus der Zeit gefallen

Bantels Position wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Schon vor 30 Jahren bezeichnen ihn Medien gerne als „Dorfkaiser“. Dabei hat er im Auftreten nichts Patriarcha­lisches: Er füllt sein Amt mit Demut aus („Ich sag immer: Ich darf Bürgermeis­ter sein“), steht zu absurden Zeiten auf, um die Arbeit für die Gemeinde und für seine Unternehme­n unter einen Hut zu bekommen. Aber die Familie Bantel stellt fast 100 Prozent der Arbeitsplä­tze im Dorf. Und wenn über Jahrzehnte alles über den Tisch desselben Mannes geht, dann wird dieser unweigerli­ch zum wichtigste­n Mann im Dorf. Aber man muss wohl in die Rechnung einbeziehe­n, dass Möggers 562 Einwohner hat und in Vorarlberg liegt, wo der politische Wechsel kein Wert an sich ist, solange der Amtsinhabe­r seine Sache mit Anstand macht.

Ende Juli soll der Rücktritt endgültig sein. Ein Nachfolger ist gefunden, der erfahrene Gemeindeka­ssierer hängt ein Jahr dran, um ihn zu unterstütz­en. Bis dahin ist noch einiges zu tun. Schönes Detail: Bantels Amtszeit als Bürgermeis­ter beginnt damit, Möggers ans Telefonnet­z anzuhängen. Im Herbst 2022 wird die Gemeinde ans Glasfasern­etz angeschlos­sen.

„Es wird schon Wehmut da sein“, sagt Bantel, wenn er an den Tag X denkt. Den Schritt aus Strukturen heraus zu machen, die man alle selbst aufgebaut habe, sei nicht einfach. Aber er möchte übergeben, solange sich jemand bereiterkl­äre und er auch noch gesund genug sei, die Übergabe ordentlich zu machen. „Ich kann die Gemeinde ja nicht gegen die Wand fahren.“Georg Bantel, Bürgermeis­ter von Möggers, hat halbwegs seinen Frieden damit gemacht, dass er loslassen muss und es auch ohne ihn weitergehe­n wird. Und viel mehr kann ein Politiker am Ende einer so langen Amtszeit vielleicht auch gar nicht tun. „Alles hat ein Ende.“

 ?? ?? Georg Bantel hat 42 Jahre lang die Vorarlberg­er Gemeinde Möggers gelenkt. In seine Amtszeit fällt der Anschluss ans Telefonnet­z und nun ans Glasfasern­etz.
Georg Bantel hat 42 Jahre lang die Vorarlberg­er Gemeinde Möggers gelenkt. In seine Amtszeit fällt der Anschluss ans Telefonnet­z und nun ans Glasfasern­etz.

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