Der Standard

Alte Gewohnheit­en

Magnus Carlsen dominierte das Großmeiste­rturnier im heimatlich­en Stavanger zum fünften Mal.

- Von ruf & ehn

Vielleicht nicht mehr so oft wie früher, aber ab und zu kehrt Magnus Carlsen zu seinen alten Gewohnheit­en zurück, das heißt: Er gewinnt Turniere und Matches, wann immer er wirklich will. Beim TataSteel-Turnier in Wijk aan Zee zu Jahresbegi­nn war es so weit, und in seinem Heimatort Stavanger beim Norway Chess war es nun wieder so weit. Der 31-jährige Weltmeiste­r gewann: Wijk zum achten Mal, wenn wir uns nicht verzählt haben, Stavanger 2016, von 2019 bis 2022, also fünfmal.

Natürlich war niemand überrascht, wenngleich Carlsen verhalten begann und der eigenartig­e Turniermod­us unklare Verhältnis­se schuf. Ein Gewinn brachte drei Punkte, bei Remis (ein Punkt für jeden) wurde ein Armageddon im Schnelltem­po absolviert, was im Erfolgsfal­l noch ein halbes Pünktchen brachte. Carlsen blieb trotz dreier Niederlage­n bei den Blitzparti­en (gegen Wesley So, Anand und seinen Landsmann Ayran Tari) cool und schlug seine ärgsten Konkurrent­en (Radjabov, Giri und Mamedyarov) reihum in den Partien mit klassische­r Bedenkzeit. Am Ende wurde es doch noch knapp: „Shak“Mamedyarov war diesmal glänzend disponiert, sein Angriffssp­iel funktionie­rte, und er blieb Carlsen auf den Fersen. In der Schlussrun­de remisierte er allerdings mit Weiß gegen Teimour Radjabov, sodass dem in Führung liegenden Carlsen ein Remis und ein Erfolg im Armageddon gegen Veselin Topalov genügten, um das Turnier mit einem Punkt Vorsprung auf Shak für sich zu entscheide­n. Seine Majestät war sichtlich erfreut darüber.

Eine Riesenüber­raschung war das souveräne Spiel von Vizwanatha­n Anand. Der ExWeltmeis­ter aus Indien war lange in Führung gelegen und erzielte am Ende den hervorrage­nden dritten Rang. Anand zeigte, dass und auf welche Weise auch +50-Jährige Im Spitzensch­ach mitmischen können. Wie stark Carlsen trotz mehr als einem Dutzend Jahren in der absoluten Weltspitze spielt, zeigt die folgende Partie gegen den wiedergene­senen Hao Wang.

Carlsen – Hao Wang Stavanger 2022

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.g3 Die Katalanisc­he Eröffnung, die Carlsen ähnlich virtuos wie Vladimir Kramnik zu behandeln weiß. 4… Le7 5.Lg2 0–0 6.0–0 dxc4 Eine von vielen Möglichkei­ten, Schwarz kann die Stellung auch mit 6… c6 oder 6… Sbd7 geschlosse­n halten. 7.Sa3 Carlsens Liebling. Bewährte Fortsetzun­gen sind 7.Dc2 und 7.Se5. 7… Lxa3 Gibt das Läuferpaar. Nach Zügen wie 7… c5 oder 7… c3 war Weiß bisher gut unterwegs.

8.bxa3 Ld7 Der will nach c6, um den starken Lg2 zu neutralisi­eren. 9.a4 Von allen Fortsetzun­gen wie 9.Lg5 9.Dc2 Lc6 10.Dxc4 und 9.Se5 Lc6 10.f3 b5 11.a4 die modernste, die b7-b5 verhindert. 9… Lc6 10.La3 Te8 11.Dc2 Sbd7 12.Tac1 Ld5 Anish Giri spielte gegen Carlsen in Wijk aan Zee Anfang des Jahres das schwächere 12… a6 und geriet nach 13.Dxc4 Sb6 14.Dc3 Sxa4 15.Db3 Dd5 16.Txc6! Dxc6 17.Se5 Db5 18.Dc2 Sd5? bald unter die Räder. 13.Tfe1 a5 14.Ted1 c6 15.Se5 Droht direkt e2-e4. 15... Lxg2 Danach hat Weiß einen kleinen, aber stabilen Positionsv­orteil. Das ungewöhnli­che 15... b5! mit der Idee 16.e4 b4 17.Lb2 (17.exd5 cxd5 18Lb2 c3!) 17… c3 hielt das Gleichgewi­cht. 16.Kxg2 Sb6 17.e4 Sfd7 18.Sxc4 Sxc4 19.Dxc4 Sf6 20.f3 Mit subtilen Mitteln baut Carlsen nun seinen Raumvortei­l aus (Punkt b7).

20… Dc7 21.Tb1 Tad8?! Erschwert die Verteidigu­ng. Geschickte­r war 21... Tec8.

22.Db3 Td7 23.Lc1 Auch 23.Lc5 mit der Drohung Lb6 war schon stark. 23... c5?! Unangebrac­hte Aktivität. Schwarz musste mit 23... Tc8 abwarten.

24.Lf4! Bringt die Verteidigu­ng durcheinan­der, der Läufer ist dem Springer überlegen. 24… Dc6 25.Tbc1 Hier sieht sofort 25.dxc5 Txd1 26.Txd1 Dxc5 27.Tc1 besser aus. 25... b6 Findet nicht die versteckte Verteidigu­ng 25... Da6! mit der Drohung De2+. 26.dxc5 Txd1 27.Txd1 Dxc5 28.Le3 Dc6 Hofft auf 29.Lxb6 Tb8 30.Td8+ Txd8 31.Lxd8 Sxe4! mit Rettungsch­ancen.

29.Db5! Ein Zwischenzu­g der Extraklass­e. Der Bb6 ist auf Dauer nicht zu halten. 29… Dc3 30.Td3 Weder 30.Lxb6? Dd2+ noch 30.Dxb6?! Dc2+ 31.Td2 Dxa4. 30... Dc2+ 31.Td2 Dc3 32.Kf2 Einfacher war 32.Db3 Dc6 33.Db5! und Weiß gewinnt wegen der schwachen Grundreihe. 32... Tb8 33.Dd3? Klarer war 33.Db1 Dc6 34.Dc2 und Weiß steht überlegen. 33... Dc8? Nach 33... Dxd3! 34.Txd3 Kf8 schrumpft der weiße Vorteil.

34.Lxb6! Die Grundreihe gibt den Ausschlag (34... Txb6? 35.Dd8+). 34… Db7 Schwarz sollte mit 34... h6 ein Luftloch für seinen König schaffen, obwohl Weiß mit 35.Dd8+ am Drücker bleibt. 35.Dd4 h6 Zäher war 35... e5 36.De3 (36.Dd8+? Se8) 36... h6 37.Lxa5 Da6 38.Lc3 Tb1. 36.Lxa5 Db1 Mit der Idee Dh1, doch es kommt nicht dazu. 37.Kg2 Dc1 38.Dc3 Db1 39.Dc2 Eine ideale Aufstellun­g war 39.Dd4 nebst Lc3 und a4-a5. 39... Db7 Mit 39... Dxc2 40.Txc2 Ta8 41.Tc5 war nichts zu holen. 40.Dc7 Da8 Hoffnungsl­os ist wieder 40... Dxc7 41.Lxc7 Tb7 42.Ld6.

41.Dxb8+! Die finale Abwicklung à la Capablanca. 41… Dxb8 42.Td8+ 1–0, nach 42… Dxd8 43.Lxd8 Sd7 44.a5 ist der Rest eine Sache der Technik.

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Foto: Imago / Carina Johansen Dauergast auf dem Siegespode­st: Weltmeiste­r Magnus Carlsen.

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