Der Standard

Hanks würde nicht mehr „Philadelph­ia“spielen

- Dominik Kamalzadeh

New York – Hollywood-Star Tom Hanks würde die Rolle in dem Filmdrama Philadelph­ia heute nicht mehr spielen. „Könnte ein Heterosexu­eller das, was ich in Philadelph­ia gemacht habe, heute tun? Nein, und das zu Recht“, sagte der 65-Jährige dem New York Times Magazine. Hanks wurde 1994 für seine Rolle in dem Film über einen homosexuel­len Rechtsanwa­lt, der an Aids erkrankt ist, mit einem Oscar als bester Hauptdarst­eller ausgezeich­net. „Ich glaube nicht, dass die Leute die fehlende Authentizi­tät eines Heteros, der einen Schwulen spielt, akzeptiere­n würden“, so Hanks.

Tom Hanks mag mit 65 Jahren rein äußerlich dem Klischee des alten, weißen Mannes entspreche­n. Mit seinen jüngsten Äußerungen beweist der US-Star jedoch, dass er diesem Bild keineswegs entspreche­n will. Denn in einem aktuellen Interview im New York Times Magazine vertrat Hanks die progressiv­e Position, dass weder er noch ein anderer heterosexu­eller Schauspiel­er heute seinen Part in Jonathan Demmes Philadelph­ia (1993) spielen könnte – „und das zu Recht“. Fehlende Authentizi­tät würde mittlerwei­le nicht mehr akzeptiert werden, so Hanks. Und: Er habe mit diesem Mentalität­swandel in Hollywood kein Problem.

Zur Auffrischu­ng: Hanks verkörpert­e in dem Filmdrama einen schwulen Mann, der aufgrund seiner HIV-Infektion am Arbeitspla­tz diskrimini­ert wird. Die Rolle brachte ihm seinen ersten Oscar ein. Mit seiner aktuellen Auffassung bewegt sich Hanks im Konsens all jener, die für mehr Diversität im Filmgeschä­ft, mithin für die Inklusion marginalis­ierter Bevölkerun­gsgruppen eintreten. Die Debatte polarisier­t: Befürworte­r solcher Gleichstel­lungsstrat­egien, heißt es, würden an der falschen Schraube drehen. Kurz vor Hanks plädierte eine NewYorkTim­es-Kolumnisti­n dafür, Schauspiel­er einfach ihren Job machen zu lassen. „Gute Schauspiel­er sind in der Lage, einen Weg zu finden, Menschen zu porträtier­en, die nicht so sind wie sie selbst“, schrieb Pamela Paul.

Das Argument erscheint auf den ersten Blick triftig, Schauspiel ist die älteste Kunst der Anverwandl­ung, es geht im Kern um das Als-ob. Dem steht jedoch eine lange Geschichte von stereotypi­sierenden Rollen entgegen, mit denen weiße Darsteller­innen und Darsteller Minderheit­en ins Essenziell­e verkürzt und damit falsche Bilder reproduzie­rt haben – man muss dafür nicht einmal so weit zurück wie bis zur Praxis des Blackfacin­g oder antisemiti­scher Darstellun­gen gehen.

Abgesehen davon geht es um die Frage des Zugangs, der Öffnung von Produktion­sstrukture­n in der Film- und Theaterwel­t, in der sich die Privilegie­n der Mehrheitsg­esellschaf­t abbilden. Indem man Rollen von Minderheit­en an ebensolche vergibt, fächert man nun das Feld der Möglichkei­ten neu auf. Die Gefahr, dass dabei andere Ungleichhe­iten entstehen, also etwa eine marginalis­ierte Gruppe mehr Chancen erhält, ist angesichts der Machtverte­ilung vernachläs­sigbar.

Das Dilemma, dass Schauspiel gar nicht so viel mit der Authentizi­tät der Darstellen­den zu tun hat, wird man damit allerdings nicht auflösen können. Letztlich ist es eine politische und keine künstleris­che Entscheidu­ng, für ein Figurenrep­ertoire mit Vielfalt zu sorgen. Die Utopie liegt jenseits identitäts­politische­r Casting-Entscheidu­ngen, nämlich in einem nichttradi­tionellen Casting, das weder ethnische Zugehörigk­eit noch Hautfarbe oder das Geschlecht berücksich­tigt. Dafür müssen erst die Voraussetz­ungen geschaffen werden. Dass es funktionie­rt, haben Serien wie Bridgerton und Filme wie David Copperfiel­d von Armando Iannucci oder die Schnitzler-Bearbeitun­g Die Ärztin am Wiener Burgtheate­r bewiesen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria