Österreichische Politik wie in „Borgen“
In der vierten Staffel der dänischen Polit-Serie geht es mehr denn je um Machtpolitik, Tricks und Deals. Manches sei verkürzt, sagt die PR-Beraterin Heidi Glück. Im Großen findet sie aber viel in Österreichs Innenpolitik wieder.
Noch nie war Politik in der dänischen Serie Borgen ein so schmutziges Geschäft wie in der neuen, vierten Staffel. Die jetzige Außenministerin Birgitte Nyborg kämpfte einst für ihre Ideale, Umwelt und Chancengleichheit. Jetzt geht sie auf Tricks und Deals ein, nur um des eigenen Machterhalts willen.
Heidi Glück hat die vierte Staffel der Netflix-Serie verschlungen. „Spannend ab der ersten Minute“, sagt die Kommunikationsberaterin über die Politserie. Vor allem, weil Glück einen Einblick hat, wie es in der Politik hinter den Kulissen läuft. Glück war elf Jahre in politischen Kabinetten tätig, unter anderem als Beraterin des ehemaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel.
Standard: Man sagt, „Borgen“sei nahe an der Realität politischer Willensbildung. Können Sie das bestätigen?
Glück: Manches ist verkürzt. Frau Nyborg überlegt sich etwas, bespricht es mit zwei, drei Leuten und zieht das dann durch: So einfach ist es natürlich nicht. Aber wenn es um unerwartete Schwierigkeiten geht, ist Borgen sehr nahe an der Realität. Der internationale
Konflikt mit den Botschaftern zum Beispiel und wie man das angeht, ist realistisch.
Standard: Welche Politikerin in Österreich hat für Sie die größte Ähnlichkeit mit Nyborg? Glück: Ich denke an die grüne Klubchefin Sigi Maurer. Wenn es darum geht, Idealismus mit Pragmatik zu verbinden, den Ausgleich von Interessen auch in der eigenen Fraktion zu schaffen und in diesem Dilemma einen Weg zu finden, der gerade noch ausreichend ist, damit die ganze Geschichte nicht kippt – das ist für mich Sigi Maurer.
Standard: Eine Pressekonferenz, zu der keine Journalisten kommen, weil die Premierministerin ihrerseits kurzfristig eine abhält und die Rivalin aussticht: Kommt Ihnen das bekannt vor? Glück: Ich kann ausschließen, dass das in der Zeit meiner Rolle als Koordinatorin stattgefunden hat. Sehr wohl findet es statt, wenn die Oppoaber sition eine Pressekonferenz ansetzt. Da kann ich mich an eine Situation sehr gut erinnern. Das war im Wahlkampf 2006, als der SP-Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer eine ORFPressestunde hatte und wir uns überlegten, wie wir diese Pressestunde eine Woche vor der Nationalratswahl konterkarieren könnten. Und so organisierten wir zeitgleich eine Pressekonferenz, in der Wolfgang Schüssel mit Karl-Heinz Grasser die Finanzpolitik der
nächsten vier Jahre präsentierte.
Standard: Wie viel Prozent ist Machtkampf im Alltag eines österreichischen Spitzenpolitikers gegenüber Sachpolitik? In „Borgen“gefühlte 90. Glück: Es ist die Frage, ob man darüber öffentlich reden soll. Ich würde sagen, das dieser Anteil nicht zu unterschätzen ist. Von der Regierung mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) weiß man heute, dass Sebastian Kurz als Außenminister sehr stark Druck gemacht hat. Es gehört
auch zu den Leadership-Qualitäten des Regierungschefs, gewisse Dinge mitzubedenken.
Standard: Beruf und Privatleben sind für die Politikerin Nyborg unvereinbar. Ist das etwas, das Sie auch beobachten?
Glück: Ja, ich glaube, das betrifft Frauen mehr, aber auch Männer.
Standard: Klingt, als gebe es im Hintergrund nur unglückliche Beziehungen.
Glück: Man müsste sich die Statistik anschauen. Wie viele Ehen halten das aus? Ich glaube, dass der Beruf eine enorme Belastung ist und es sehr viel Verständnis braucht.
Standard: Angenommen, Sie müssten ein Drehbuch für eine Serie über die österreichische Politik schreiben. Wie würde das aussehen? Glück: Ich würde einfach Borgen abschreiben und andere Namen einsetzen.
HEIDI GLÜCK ist Medien- und Kommunikationsberaterin. Von 1994 bis 2007 war sie Pressesprecherin, unter anderem von Wolfgang Schüssel.
➚ derStandard.at/Etat