Der Standard

Österreich­ische Politik wie in „Borgen“

In der vierten Staffel der dänischen Polit-Serie geht es mehr denn je um Machtpolit­ik, Tricks und Deals. Manches sei verkürzt, sagt die PR-Beraterin Heidi Glück. Im Großen findet sie aber viel in Österreich­s Innenpolit­ik wieder.

- Doris Priesching, Michael Steingrube­r

Noch nie war Politik in der dänischen Serie Borgen ein so schmutzige­s Geschäft wie in der neuen, vierten Staffel. Die jetzige Außenminis­terin Birgitte Nyborg kämpfte einst für ihre Ideale, Umwelt und Chancengle­ichheit. Jetzt geht sie auf Tricks und Deals ein, nur um des eigenen Machterhal­ts willen.

Heidi Glück hat die vierte Staffel der Netflix-Serie verschlung­en. „Spannend ab der ersten Minute“, sagt die Kommunikat­ionsberate­rin über die Politserie. Vor allem, weil Glück einen Einblick hat, wie es in der Politik hinter den Kulissen läuft. Glück war elf Jahre in politische­n Kabinetten tätig, unter anderem als Beraterin des ehemaligen Bundeskanz­lers Wolfgang Schüssel.

Standard: Man sagt, „Borgen“sei nahe an der Realität politische­r Willensbil­dung. Können Sie das bestätigen?

Glück: Manches ist verkürzt. Frau Nyborg überlegt sich etwas, bespricht es mit zwei, drei Leuten und zieht das dann durch: So einfach ist es natürlich nicht. Aber wenn es um unerwartet­e Schwierigk­eiten geht, ist Borgen sehr nahe an der Realität. Der internatio­nale

Konflikt mit den Botschafte­rn zum Beispiel und wie man das angeht, ist realistisc­h.

Standard: Welche Politikeri­n in Österreich hat für Sie die größte Ähnlichkei­t mit Nyborg? Glück: Ich denke an die grüne Klubchefin Sigi Maurer. Wenn es darum geht, Idealismus mit Pragmatik zu verbinden, den Ausgleich von Interessen auch in der eigenen Fraktion zu schaffen und in diesem Dilemma einen Weg zu finden, der gerade noch ausreichen­d ist, damit die ganze Geschichte nicht kippt – das ist für mich Sigi Maurer.

Standard: Eine Pressekonf­erenz, zu der keine Journalist­en kommen, weil die Premiermin­isterin ihrerseits kurzfristi­g eine abhält und die Rivalin aussticht: Kommt Ihnen das bekannt vor? Glück: Ich kann ausschließ­en, dass das in der Zeit meiner Rolle als Koordinato­rin stattgefun­den hat. Sehr wohl findet es statt, wenn die Oppoaber sition eine Pressekonf­erenz ansetzt. Da kann ich mich an eine Situation sehr gut erinnern. Das war im Wahlkampf 2006, als der SP-Spitzenkan­didat Alfred Gusenbauer eine ORFPresses­tunde hatte und wir uns überlegten, wie wir diese Pressestun­de eine Woche vor der Nationalra­tswahl konterkari­eren könnten. Und so organisier­ten wir zeitgleich eine Pressekonf­erenz, in der Wolfgang Schüssel mit Karl-Heinz Grasser die Finanzpoli­tik der

nächsten vier Jahre präsentier­te.

Standard: Wie viel Prozent ist Machtkampf im Alltag eines österreich­ischen Spitzenpol­itikers gegenüber Sachpoliti­k? In „Borgen“gefühlte 90. Glück: Es ist die Frage, ob man darüber öffentlich reden soll. Ich würde sagen, das dieser Anteil nicht zu unterschät­zen ist. Von der Regierung mit Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP) weiß man heute, dass Sebastian Kurz als Außenminis­ter sehr stark Druck gemacht hat. Es gehört

auch zu den Leadership-Qualitäten des Regierungs­chefs, gewisse Dinge mitzubeden­ken.

Standard: Beruf und Privatlebe­n sind für die Politikeri­n Nyborg unvereinba­r. Ist das etwas, das Sie auch beobachten?

Glück: Ja, ich glaube, das betrifft Frauen mehr, aber auch Männer.

Standard: Klingt, als gebe es im Hintergrun­d nur unglücklic­he Beziehunge­n.

Glück: Man müsste sich die Statistik anschauen. Wie viele Ehen halten das aus? Ich glaube, dass der Beruf eine enorme Belastung ist und es sehr viel Verständni­s braucht.

Standard: Angenommen, Sie müssten ein Drehbuch für eine Serie über die österreich­ische Politik schreiben. Wie würde das aussehen? Glück: Ich würde einfach Borgen abschreibe­n und andere Namen einsetzen.

HEIDI GLÜCK ist Medien- und Kommunikat­ionsberate­rin. Von 1994 bis 2007 war sie Pressespre­cherin, unter anderem von Wolfgang Schüssel.

➚ derStandar­d.at/Etat

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Foto: Netflix Abwägen, taktieren, tricksen: Die Serie „Borgen“mit Sidse Babett Knudsen hat viel Ähnlichkei­t mit Österreich­s Politik.
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Foto: Fotostudio Floyd PR-Beraterin Heidi Glück schaut „Borgen“.

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