Der Standard

„Heraushalt­en“geht nicht mehr

- Hans.rauscher@derStandar­d.at

Wir stehen an einer historisch­en Wende in Europa, und Österreich­s Außenpolit­ik muss sich neu sortieren. Unsere alte Russland- und Putin-VersteherP­olitik ist kaputt. Die Ukraine gehörte im westlichen Denken immer irgendwie zu Russland, zum großrussis­chen Reich. Das heißt zu einer imperialis­tischen, undemokrat­ischen, uneuropäis­chen Macht. Wladimir Putins Russland ist nicht Europa. Die Ukraine will aber zu Europa gehören, und die Europäer antworten positiv.

Die Frage ist, ob die österreich­ische Politik – und die österreich­ische Bevölkerun­g – diese „Zeitenwend­e“begriffen hat. Putins Russland ist kein „Partner“. In Putins Denken gibt es nur das Imperium und die Vasallenst­aaten, inklusive Westeuropa­s. Der Mann fantasiert von Peter dem Großen.

Gerald Knaus von der Europäisch­en Stabilität­sinitiativ­e (ESI) schreibt, dass es beim Krieg in der Ukraine um zwei „radikal verschiede­ne Visionen der Zukunft Europas“geht. Die von Putins Imperiumsw­ahn aus dem 19. Jahrhunder­t und eine von einem Raum des friedliche­n Interessen­ausgleichs, zu dem vielleicht, vielleicht auch einmal Russland gehören könnte. Österreich wollte das lange nicht wahrhaben. „Die Russen“haben uns schließlic­h die Neutralitä­t verordnet. Wir dachten, wir kämen schon mit ihnen aus, wenn wir nett sind. Deshalb luden wir Putin gleich nach der Annexion der Krim nach Wien; fesselten wir uns unter dem wohlwollen­den Blick von Putin und Sebastian Kurz ans russische Gas.

Wir spielten unser kleines Extraspiel. Auch als Kurz Österreich in die Nähe der VisegrádSt­aaten rücken wollte, um eine rechtsauto­ritäre Gruppe in der EU zu bilden. Aber jetzt ist das nur noch dumm. Es ist auch tragisches Nichtbegre­ifen, wenn die SPÖ-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner meint, Waffen und Sanktionen würden den Krieg nicht beenden: „Der Frieden muss auf diplomatis­chem Weg hergestell­t werden.“Ja eh, aber das geht erst, nachdem Putin (oder sein Nachfolger) durch Waffen und Sanktionen eingesehen haben, dass die Ukraine nicht mehr zu holen ist.

Die EU ist (mit der Nato im Hintergrun­d) Russland entgegenge­treten. Österreich hat Spezialwün­sche. Kanzler Karl Nehammer sagte, die Ukraine könne nicht gleich Mitglied werden, sie müsse in einen „Vorbereitu­ngsraum“. Einen Weg hat Knaus (übrigens der geistige Vater des Merkel-Erdoğan-Abkommens von 2016) vorgeschla­gen: Die Ukraine solle zunächst Zugang zum EU-Binnenmark­t und den „vier Freiheiten“erhalten.

Österreich­s Kanzler und Außenminis­ter machen außerdem zur Bedingung, dass die Westbalkan­staaten (Serbien, Bosnien, Montenegro, Kosovo, Nordmazedo­nien, Albanien), die schon lange auf ernsthafte Verhandlun­gen zum Beitritt oder überhaupt erst den Kandidaten­status warten, nicht zurückblei­ben. Auch das ist argumentie­rbar. Aber darüber hinaus stellt sich die Frage, was sonst unsere Strategie in der neuen Zeit sein soll.

Hier könnten sich Österreich und seine „Russland-Versteher“nützlich machen. Wir haben RusslandEx­pertise? Vielleicht sogar gute Kontakte? Gut, dann setzen wir sie ein, nicht um mit dem PutinRegim­e zu kuscheln, sondern um auf kluge, diskrete Weise russische Bürger und Bewegungen zu unterstütz­en, die etwas Besseres wollen als Putins hoffnungsl­os gestriges System.

Wenn man Österreich­er nach dem Sinn der Neutralitä­t fragt, sagen sie „Heraushalt­en“. Man muss die Neutralitä­t nicht aufgeben, aber „heraushalt­en“geht nicht mehr.

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