Der Standard

Das Comeback der Bombe

Russlands Angriffskr­ieg gegen die Ukraine lässt schwache wie autoritäre Staaten wieder von Atomwaffen träumen. Das sind schlechte Voraussetz­ungen für den Verbotsver­trag, der eigentlich an Bedeutung gewinnen soll.

- ANALYSE: Fabian Sommavilla

Eigentlich dürfte es Atomwaffen, mit denen zuletzt Wladimir Putin gedroht hat, gar nicht mehr geben. Schon vor eineinhalb Jahren glaubten viele Diplomatin­nen und Diplomaten, den Massenvern­ichtungswa­ffen mit Inkrafttre­ten des Atomwaffen­verbotsver­trages (TPNW) einen kritischen Treffer verpasst zu haben. Manche waren gar überzeugt, zumindest den Anfang vom Ende von Nuklearwaf­fen eingeläute­t zu haben. Eineinhalb Jahre später muss man konstatier­en: Gerade einmal ein paar milde Kratzer haben die Massenvern­ichtungswa­ffen abbekommen.

Die Welt steht an einem Scheideweg: Die Angst vor dem Einsatz nuklearer Waffen ist dank des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine so groß wie schon lange nicht mehr. Sie könnte dazu führen, dass die Ächtung von Atomwaffen zunimmt und immer mehr Staaten ein allgemeine­s, generelles Verbot fordern. Oder aber auch – und das wirkt wahrschein­licher – dass Staaten Atomwaffen wieder verstärkt als Versicheru­ng gegen Angriffe von außen wahrnehmen. Hinzu kommt, dass autoritäre Staaten den Besitz von Nuklearwaf­fen als Freifahrts­chein für territoria­le Expansions­bemühungen ansehen könnten.

In transatlan­tischen Medien wie der New York Times oder dem Economist fällt immer wieder das Stichwort Taiwan. China könnte mit der vorgelager­ten Insel denselben Plan verfolgen wie Russland mit der Ostukraine. Und der Westen ringt um eine Antwort.

Gleichgewi­cht mit drei?

In der weltpoliti­schen Großwetter­lage spricht aktuell viel dafür, dass die Welt wieder mehr Atomwaffen bunkert. Die Ukraine war diesbezügl­ich aber nur ein „Brandbesch­leuniger, nicht die alleinige Ursache“, sagt Rüstungsex­perte Martin Senn von der Uni Innsbruck. Dieser „emotionale­n Reaktion“in Richtung mehr nuklearer Abschrecku­ng zu folgen wäre aber „ein fataler Trugschlus­s“, findet Botschafte­r Alexander Kmentt. Der Österreich­er wird kommende Woche die erste Vertragsst­aatenkonfe­renz zum Verbotsver­trag in Wien leiten. Zu groß sind die Gefahren der Waffe, zu groß ist das Risiko, wenn immer mehr Staaten diese Waffen besitzen, sagt Kmentt.

In der öffentlich­en Wahrnehmun­g schlug das Pendel zuletzt erstaunlic­h schnell wieder in Richtung „Gleichgewi­cht des Schreckens“aus. Viele sind überzeugt, dass nur die Existenz von US-Atomwaffen die Ukraine und Europa vor einem erneuten Einsatz der mörderisch­en Waffen durch Russland gerettet hat. Bleibt die Frage, wie stabil so ein Gleichgewi­cht sein kann. Denn auch China rüstet sich zur atomaren Supermacht hoch. Die hunderten neuen Raketensil­os nahe der Wüste Gobi, die vergangene­s Jahr auf den Satelliten­bildern westlicher Geheimdien­ste aufschluge­n, sind ein Indiz dafür. Drei Atomsuperm­ächte auszubalan­cieren ist ungleich schwerer, als zwei unter Kontrolle zu halten.

Aber auch Großbritan­nien rüstet auf, die USA, Frankreich und Russland modernisie­ren zumindest ihre Arsenale, alles im krassen Widerspruc­h zu Artikel VI des Nichtweite­rverbreitu­ngsvertrag­es (NPT). Dieser erlaubt den fünf permanente­n Mitglieder­n des UN-Sicherheit­srats zwar offiziell den Besitz von Atomwaffen, zwingt sie aber auch, „in redlicher Absicht Verhandlun­gen zu führen“, um mit der „nuklearen Abrüstung“zeitnah voranzusch­reiten und „einen Vertrag zur allgemeine­n und vollständi­gen Abrüstung“zu finden.

Mehr als ein halbes Jahrhunder­t nach Inkrafttre­ten des Vertrages gibt es zwar weniger nukleare Sprengköpf­e, trotzdem sind die großen fünf klar vertragsbr­üchig. Von Abrüstungs­bemühungen ist aktuell nichts zu sehen. Dass diese „zeitnah“stattfinde­n, sowieso nicht. Die Überprüfun­gskonferen­z des NPT im August steht ohnehin unter einem schlechten Stern. Nichtatomw­affenstaat­en, die sich seit Jahrzehnte­n an ihre Seite der Abmachung halten, sind zusehends frustriert über die egoistisch­en Atommächte.

Hinzu kommt, dass sich mit Nordkorea, Pakistan, Indien und Israel vier Staaten außerhalb des NPT-Vertragswe­rks Nuklearwaf­fen zulegten und mit Südkorea, Japan, Iran, den VAE und Saudi-Arabien immer mehr Staaten den Bau oder auch die Stationier­ung von Atomwaffen befreundet­er Staaten in Betracht ziehen – ausgerechn­et auch Japan, das bisher als einziger Staat den Horror eines Atomwaffen­einsatzes gegen sich erlebte, neben den zahlreiche­n Testopfern. Staaten wie Kasachstan oder die Marshallin­seln machen seit Jahren auf die furchtbare­n Langzeitfo­lgen der Tests für ihre Bevölkerun­g aufmerksam.

Was machen Oslo und Berlin?

Mit Spannung wird bei der ersten Verbotsver­tragsstaat­enkonferen­z erwartet, wie sich die sogenannte­n Nuklearsch­irm-Staaten verhalten werden – jene Staaten, die selbst keine Atomwaffen besitzen, durch Allianzen mit Atommächte­n aber durch solche geschützt werden. Belgien, Deutschlan­d, Italien, die Niederland­e und die Türkei haben sogar USWaffen stationier­t. Keiner dieser Staaten ist dem Verbotsver­trag bisher beigetrete­n. Fast alle boykottier­en die Konferenz und den Vertrag – bis auf die Nato-Staaten Deutschlan­d und Norwegen, die als Beobachter bei der Konferenz dabei sein werden.

Norwegens Anwesenhei­t kommt eigentlich nicht überrasche­nd, gilt es doch als früher Verfechter der Abrüstung. 2013 fand in Oslo die erste Konferenz zu den humanitäre­n Auswirkung­en von Atomwaffen statt, die in gewisser Weise als Startschus­s für den späteren Verbotsver­trag gilt. Ohne Norwegen gäbe es den Vertrag in seiner jetzigen Form nicht. Mit zunehmende­m Nato-Druck und dem zwischenze­itlichen Wechsel hin zu einer konservati­veren Regierung ebbten die Bemühungen um den Verbotsver­trag zwar ab, ganz aufgehört haben sie aber nie. Auch bei darauffolg­enden Konferenze­n in den ebenfalls sehr engagierte­n Ländern Mexiko und Österreich war Norwegen präsentes und aktives Mitglied.

Grundsätzl­ich gebe es auch keine Vertragskl­ausel, die es Nato-Staaten verbiete, dem Verbotsver­trag beizutrete­n, sagt Kmentt. In der Praxis verunmögli­cht es aber zumindest die nukleare Teilhabe. Im Verbotsver­tragstext sind die Entwicklun­g, das Testen, die Produktion, der Erwerb, die Lagerung, der Transfer, die direkte oder indirekte Kontrolle, die Stationier­ung und der Einsatz von Atomwaffen, sowie die Drohung damit, untersagt. Würden Oslo oder Berlin dem Vertrag beitreten, müssten die in Deutschlan­d gelagerten Atomwaffen verschwind­en. Ob ein Weiterverb­leib in der Nato möglich ist, müsste wohl diskutiert werden. Dass sich ausgerechn­et Norwegen in einen solchen Clinch manövriert, während die nordischen Nachbarn zur Nato schielen, wäre eine besonders interessan­te, aber unwahrsche­inliche Entwicklun­g in Nordeuropa.

86 Staaten aus aller Welt, vor allem aber aus Mittel- und Südamerika, Afrika sowie Zentralund Süd-Ostasien haben den TPNW bisher unterschri­eben, 62 davon ratifizier­t. Gut möglich dass in den kommenden Tagen noch vereinzelt­e Staaten des Globalen Südens hinzukomme­n. Aber was konnte der Vertrag in den vergangene­n gut 18 Monaten erreichen?

Neben viel Bewusstsei­nsbildung haben auch erste Banken auf das internatio­nale Vertragswe­rk reagiert und Firmen, die in die nukleare Rüstung investiere­n, aus ihren Portfolios gestrichen. Die Frustratio­n über die Nichteinha­ltung der Verspreche­n der fünf offizielle­n Atommächte im NPT könnte zudem dafür sorgen, dass Staaten in einem kompletten Verbot eine wirksamere Alternativ­e sehen.

Vor allem der Globale Süden, der mit Atomwaffen ohnehin nichts zu tun haben möchte und sich zur atomwaffen­freien Zone erklärte, wird sich diese Frage vermehrt stellen. Immerhin würden diese Länder auch bei einem nur begrenzten Atomkonfli­kt unweigerli­ch durch entstehend­e Hungersnöt­e in den Konflikt hineingezo­gen werden. Viele fragen sich schon heute, wie lang man sich von der alten Weltordnun­g noch vorführen lassen will.

Nach einem wirklichen Umdenken der Atomwaffen­staaten – etwa auch auf Druck der Bevölkerun­g – sieht es gerade nicht aus. Die Zeit der Massenprot­este gegen Atomwaffen ist vorerst vorbei, glaubt auch Martin Senn. Ob und wie viel Bewegung in den Verbotsver­trag kommt, wird sich erst nach den beiden großen Atomkonfer­enzen im Sommer weisen.

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