Jean-Louis Trintignant 1930–2022
Er war der schwermütige Verführer unter den großen französischen Leinwandstars: Jean-Louis Trintignant verkörperte undurchschaubare Figuren – und inspirierte Regisseure wie Roger Vadim, Costa-Gavras, François Truffaut oder Patrice Chéreau mit introvertier
Sein Blick war aufmerksam und beharrlich. Mit ihm ergründete Jean-Louis Trintignant stets sein Gegenüber. Das war schon 1956 in seinem ersten großen Film der Fall, in Roger Vadims … und immer lockt das Weib, wo seine Chancen, Brigitte Bardot aus den Armen der selbstgewissen Mannsbilder Curd Jürgens und Christian Marquand zu befreien, eher schlecht stehen.
Die Augen waren sein zuverlässigstes Instrument. Vielleicht wurde er deshalb gern als zaudernder Rivale an der Seite tatkräftiger, extrovertierter Partner besetzt; am schönsten neben Vittorio Gassman in der italienischen Filmkomödie Verliebt in scharfe Kurven. Trintignant war ein Mann, der sich auf der Leinwand der eigenen Männlichkeit nie ganz gewiss sein konnte. In den 1960er-Jahren machte er Schlagzeilen mit playboyhaften Allüren, der Liebe zum Pokern und Rennfahren. Letztere brachte ihm die Hauptrolle im Nouvelle-Vague-Klassiker Ein Mann und eine Frau ein, durch die er 1966 zum Star wurde.
Entrückte Präsenz
Trintignants entrückte Leinwandpräsenz täuschte über große Ressourcen hinweg: Als unerfahrener Untersuchungsrichter in CostaGavras Z mit Yves Montand lässt er sich nicht von seinen Vorgesetzten einschüchtern, sondern beweist entschlossene Tatkraft. Und in Der Kampf auf der Insel und vor allem in Bernardo Bertoluccis Der große Irrtum legte er gar die Abgründe faschistoider Charaktere frei.
Als François Truffaut für die männliche Hauptrolle in Auf Liebe und Tod (1983) jemanden suchte, der „Verführer und Ekel in einem“sein konnte, fand er in Trintignant seine Idealbesetzung. Aber den sarkastischen Machtmenschen, die er fortan spielte, verlieh er oft eine Aura der Tristesse. In Le Bon plaisir – Eine politische Liebesaffäre verkörperte er einen französischen Staatspräsidenten, der wegen einer unehelichen Tochter und glühender Liebesbriefe erpressbar wird und mit verblüffender Hellsicht an den gerade ins Amt gewählten François Mitterrand angelehnt ist.
Erstaunliche Kraft
Doch Trintignants erstaunliche Schaffenskraft – er spielte in über 140 Kino- und Fernsehfilmen mit und führte zweimal Regie – war tiefer Schwermut abgetrotzt. „Ich wurde schon verzweifelt geboren“, sagte er einmal. Geboren 1930 in eine südfranzösische Industriellenfamilie, studierte er zunächst Jura, wandte sich mit 20 aber der Schauspielerei zu. In seiner Jugend beging er mehrere Selbstmordversuche. Um der Depression zu entkommen, in die er nach dem tragischen Tod seiner Tochter Marie 2003 verfiel, kehrte er auf die Bühne zurück, um Gedichte von Apollinaire zu rezitieren.
Vom Kino hatte der mit seiner Frau in der Abgeschiedenheit der Cevennen lebende Schauspieler bereits seit gut zwei Jahrzehnten langsam Abschied genommen. In Drei Farben: Rot spielt er 1994 seine vorerst letzte große Altersrolle, einen pensionierten Richter, der von Lebensüberdruss erlöst werden will. Danach trat er nur noch sporadisch vor die Kamera, in Filmen von Jacques Audiard und Patrice Chéreau. In Michael Hanekes Amour feierte er 2012 ein wahrhaft bewegendes Comeback. Für den österreichischen Regisseur, der seit Jahrzehnten von der Unergründlichkeit und lebenserfahrenen Schönheit fasziniert war, erfüllte sich damit ein Lebenstraum. Fünf Jahre später besetzte er ihn erneut in Happy End.
In seinen letzten Rollen habe er sich wohlgefühlt, weil seine Figuren mit dem Tod konfrontiert werden, gestand Trintignant einmal. Nun hat dieser ihn mit 91 Jahren ereilt.