Der Standard

Was die Rückkehr zur Kohle bedeutet

Das Kohlekraft­werk Mellach soll in den kommenden Monaten ertüchtigt und im Winter, wenn Not am Strom ist, ans Netz gehen. Froh ist niemand darüber, auch nicht der Eigentümer Verbund.

- Günther Strobl

Es war einigermaß­en überrasche­nd, was die Regierung Sonntagabe­nd zum Abschluss ihres kurzfristi­g einberufen­en Krisengipf­els zur Energiesit­uation im Land verkündet hat. Die spektakulä­rste Botschaft: Der teilstaatl­iche Stromkonze­rn Verbund soll das Kohlekraft­werk Mellach reaktivier­en, das kurz nach Ostern 2020 als letztes Kohlekraft­werk in Österreich vom Netz genommen wurde. Auf dass es „im Notfall“, wie betont wird, Strom produziere­n kann.

Frage: Was wäre so ein Notfall?

Antwort: Das muss die Regierung noch klar definieren. Der Verbund betreibt in Sichtweite des Fernheizkr­aftwerks ein moderneres Gas- und Dampfkraft­werk, das hauptsächl­ich, aber nicht ausschließ­lich im Winter zur Stabilisie­rung des Stromnetze­s kurzfristi­g ans Netz genommen wird, wenn die Stromprodu­ktion aus Wasserkraf­t, Wind oder Sonne schwächelt. Aus heutiger Sicht geht es darum, möglichst viel Gas zu sparen; je weniger zur Produktion von Strom verwendet werden muss, umso besser, auch wenn das mit deutlich klimaschäd­licher Kohle erkauft werden muss.

Frage: Wieso wird plötzlich so viel wert auf Gassparen gelegt und die bisher verteufelt­e Kohle aus dem Keller geholt?

Antwort: Das hat mit dem reduzierte­n Gasfluss aus Russland zu tun. Seit Donnerstag kommt ungefähr 60 Prozent weniger Gas über die Ostseepipe­line Nord Stream 1 in Norddeutsc­hland an. Das spürt auch Österreich, weil die OMV als Hauptimpor­teur etwa 40 Prozent der vereinbart­en Gaslieferu­ngen über Nord Stream 1 bezieht, viel davon an Kunden in Deutschlan­d verkauft, einen Teil aber auch nach Österreich bringt. Der überwiegen­de Teil von russischem Gas kommt über die Ukraine und den Knoten Baumgarten nach Österreich, bis gestern, Montag, störungsfr­ei.

Frage: Kann Mellach so ohne weiteres wieder in Betrieb genommen werden?

Antwort: Ohne weiteres nicht, aber es ist möglich, wenn auch nicht bis zum Beginn der Heizsaison, sondern voraussich­tlich erst irgendwann im Winter.

Frage: Was ist das Problem?

Antwort: Davon gibt es gleich mehrere. Das Fernheizkr­aft Mellach, das, wie schon der Name sagt, nicht nur Strom, sondern auch Wärme für die Stadt Graz erzeugt hat, wurde im April 2020 nach 34 Betriebsja­hren abgeschalt­et. So lange lief der Vertrag, den der Verbund mit der Energie Steiermark zur Lieferung von Wärme abgeschlos­sen hatte. Anschließe­nd wurde Mellach auf Gasbetrieb umgestellt. Im September wurde der Betrieb dann vorläufig endgültig stillgeleg­t, wie man aufgrund der neuen Entwicklun­g nun richtigerw­eise sagen muss. Jetzt steht eine neuerliche Umrüstung an, damit das Kraftwerk mit Kohle betrieben werden kann.

Frage: Welche Hinderniss­e gilt es noch zu überwinden?

Antwort: Es fehlt das qualifizie­rte Personal, so eine Anlage zu betreiben. Der Ausstieg aus der Kohle war lange geplant, dementspre­chend wurden auch keine Stellen mehr im Fall von Pensionier­ungen nachbesetz­t. Die Mitarbeite­r, die zum Schluss noch im Kohlekraft­werk tätig waren, sind längst woanders beschäftig­t.

Frage: Könnte man nicht Mitarbeite­r von einem anderen Kraftwerks­standort abstellen?

Antwort: Nein, heißt es vonseiten des Verbunds. Mitarbeite­r eines Kohlekraft­werks benötigten andere Qualifikat­ionen als jene eines Gaskraftwe­rks. Zusätzlich müsse noch die für einen Betrieb benötigte Kohle herangesch­afft werden, was auch Zeit beanspruch­e.

Frage: Wie viel Kohle wurden in Mellach verheizt, und woher stammte die?

Antwort: Im Jahresschn­itt waren es an die 400.000 Tonnen Steinkohle; wenn Volllast gefahren wurde, konnten es bis zu 80 Tonnen pro Stunde sein. Sämtliche Kohle wurde importiert, hauptsächl­ich aus Polen und Russland. Die Lieferunge­n kamen direkt über den Schienenwe­g aus dem Osten, zum Teil auch per Schiff über den Hafen Koper in Slowenien und anschließe­nd per Bahn in die Steiermark.

Frage: Wie ist der Kursschwen­k mit dem grünen Image des Verbunds vereinbar?

Antwort: An und für sich gar nicht, es sind aber außergewöh­nliche Zeiten. Und wenn die Republik als Mehrheitse­igentümer sagt, das muss jetzt sein, dann gibt es kein Entrinnen.

Frage: Wer trägt die Kosten?

Antwort: Genau das wird noch Verhandlun­gsgegensta­nd zwischen Verbund und Regierung sein. Letztlich wird die Mehrkosten jeder Strombezie­her und jede Strombezie­herin tragen, ob direkt über höhere Strompreis­e oder indirekt über die Steuerleis­tung.

Frage: Wird das Kohlekraft­werk Mellach, wenn es wieder ans Netz geht, nur Strom oder zusätzlich auch Wärme erzeugen?

Antwort: Auch das ist noch nicht entschiede­n und hängt wohl von Verhandlun­gen mit der Energie Steiermark ab, inwieweit diese in der kommenden Heizsaison Wärme abzunehmen bereit ist. In Deutschlan­d wird Kohle zwei Jahre reaktivier­t, in Österreich soll es auch eine Befristung geben.

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Foto: HO Das Fernheizkr­aftwerk Mellach bei Graz soll reaktivier­t werden.

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