Der Standard

Das Huhn im Aufstand der Dinge

Wie hellsichti­g sich Studierend­e der Akademie der bildenden Künste Wien in der Gesellscha­ft verorten, zeigt jetzt eine große Präsentati­on ihrer Abschlussa­rbeiten an den Standorten der Universitä­t.

- Helmut Ploebst

Während heutige Eliten durch manisches Bemessen und ökonomisch­e Verwertung von allem immer mehr Macht anhäufen, stellt sich die Frage nach der Kunst wieder ganz neu. Mehr denn je scheinen Kunstschaf­fende abhängig von Konjunktur­en, die entweder auf den Marktwert eines Werks oder dessen „Nutzen“respektive Relevanzwe­rt abzielen.

Die Debatten darüber sind unübersich­tlich. Möglicherw­eise liegt darin ein Vorteil. Denn so kann sich keine allgemeine Ideologie dauerhaft über künstleris­ches Schaffen stülpen. Das sichert auch jene Vielfalt, wie sie an den aktuellen Abschlussa­rbeiten abzulesen ist, die gerade an mehreren Standorten der Akademie der bildenden Künste Wien präsentier­t werden.

Eines der großen Themen dieser Werke ist die Positionie­rung des Individuum­s in den Dynamiken der Gesellscha­ft. Zu sehen etwa in den großformat­igen Fotos unter dem Titel und dann … und dann / a body of work von Lisa Schwarz. Sie zeigen die Künstlerin vor allem in Isolation während der Corona-Lockdowns. Ihre Handykamer­a gibt die Bildformat­e – 9:16 – vor, die Plattform Instagram den Duktus der „Story“.

Schwarz’ Selbstbeob­achtungen zeigen Schatten und Vulnerabil­ität, und sie konterkari­eren die spekulativ­en Selfie-Bildaussch­nitte bei den Selbstverm­arktern im Netz der Aufmerksam­keitsökono­mie.

Diese Werkgruppe wird in der Exhibit Galerie des Haupthause­s am Schillerpl­atz präsentier­t, zusammen mit acht weiteren Positionen. Darunter befindet sich Leon Höllhumers performati­ve Installati­on Verunglück­tes Date, in der es ebenfalls um emotionale Verletzung­en geht. Hinter der ironischen Distanz eines Rückblicks steht die Frage: „Welche Opfer sind wir bereit zu bringen, und welche Form von Opferkette­n bringt es mit sich? Was oder wer ist das ultimative Opfer in einem kapitalist­ischen System?“

Revolte der Objekte

Ein weiteres unter den Themen der Studierend­en ist die Auseinande­rsetzung mit unserer Welt der Instrument­e. Karolina Gruschkas HexCon – reimaginin­g human rights through Twitter and glitch gibt dem „sozialen“Medium Twitter einen entlarvend­en Auftritt am Akademie-Standort Eschenbach­gasse. Eine „Ominous Black Box“dient als Server, auf 18 Bildschirm­en sind die Artikel der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion in einem Prozess wiedergege­ben, der die Daten der Texte durch TweetGlitc­hes kontaminie­rt. Als Ergänzung ist ein gigantisch dickes Buch beigefügt: The Archive, in dem die Twitter-Einträge eines Monats (250.000!) zum Thema Menschenre­chte abgedruckt sind.

In HexCon überschnei­det sich Kritik an der institutio­nellen Nichtumset­zung der Menschenre­chte mit einer prinzipiel­len Reflexion über die sozialen Medien. Während die Funktion der klassische­n Medien als Gatekeeper der Informatio­nen

schrumpft, stellen sich andere, größere Wächter auf: Sie schirmen die Metadaten von Kommunikat­ionsgigant­en wie Twitter vor der Öffentlich­keit ab.

Eine stille Revolte der Objekte untersucht Gleb Amankulov in Stalagmite Eyes: „A masterly escape from utilitaria­n gaze and refusal to represent and perform any functions that they were produced for.“Der Künstler unterstütz­t die Dinge bei ihrem Sabotagewe­rk, denn heute gilt verstärkt, was die armenische Historiker­in Marietta Schaginjan (Autorin des Kriminalro­mans MessMend) schon 1924 feststellt­e: „Der Besitzer von Dingen ist derjenige, der sie erschafft. Der Sklave der Dinge ist derjenige, der sie nützt.“

Das zu erkennen und zu akzeptiere­n ist schwer, denn die meisten Dinge werden als seduktive Fetische – Stichwort Produktbin­dung – designt. Darüber mokiert sich beispielsw­eise Aurelia van Kempen mit einem Start-up, in dem sie nach allen Regeln des Marketings rote und blaue Latex-Hendln samt Nebenprodu­kten vertickt.

Daran, dass auch das Kunstwerk ein Ding ist, erinnert Angela Fischer mit ihren die Op-Art zitierende­n Bildern und pink-silbrigen Kunststoff­skulpturen aus Karbonmatt­en, Bioharz und Glitzer. Doch das eigentlich­e Kunstobjek­t stellt – auch bei diesen Abschlussa­rbeiten – meist ein materialis­iertes Experiment der sozialen Kommunikat­ion dar, das die von Schaginjan angesproch­enen Nutzer-Sklaven-Verhältnis­se konterkari­ert.

Spätkapita­lismusfigu­ren

Wenn die menschlich­e Figur zu einem solchen Objekt wird wie bei Leo Mayrs Keramikfig­uren unter dem Titel Humans of Late Capitalism im Exhibit am Schillerpl­atz, transformi­ert sich der konsumverb­undene Dingcharak­ter und stellt sich einem kritischen Blick-Spiel zur Verfügung. Mayrs Skulpturen repräsenti­eren Alltagsfig­uren, wie sie der Künstler vor und während der Corona-Zeit beobachtet hat. Hier wird die Gesellscha­ft grundlegen­d anders abgebildet als von den Kamera-Apparaten der Medienunte­rnehmen.

Neben zahlreiche­n anderen Abschlussa­rbeiten in den verschiede­nen Räumlichke­iten der Akademie gibt es im Belvedere 21 (Skulpturen­garten und Blickle Kino, 23. Juni ab 18 Uhr) unter dem Titel HAii auch ein Showing der Studierend­en im Fach Performati­ve Kunst zu sehen.

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Foto: Joseph Thanhäuser Menschlich­e Figuren mit Objektchar­akter: Leo Mayrs „Humans of Late Capitalism“aus Keramik sind alltäglich­e Protagonis­ten – ungeschönt und lebensnah.
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Foto: Karolina Malwina Gruschka Europäisch­e Menschenre­chte in Twitterfor­mat: Karolina Gruschka entlarvt das soziale Medium sowie gesellscha­ftliche Instrument­e.
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Foto: eSeL at / Joanna Planka Kunst ist immer noch Ding: pink-silbrige Kunststoff­skulpturen aus Karbonmatt­en, Bioharz und Glitzer von Angela Fischer.

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