Der Standard

Ministeriu­m plant Energiespa­rtipps ohne fixe Regeln

Kampagne ab Herbst soll mehr Bewusstsei­n in der Bevölkerun­g schaffen

- Joseph Gepp

Wien – Angesichts des UkraineKri­eges und von Energiepre­isen in Rekordhöhe plant das Klimaschut­zministeri­um von Leonore Gewessler (Grüne) eine Kampagne mit Energiespa­rtipps. Sie werde sich an die breite Öffentlich­keit richten, sagte eine Sprecherin von Gewessler zum STANDARD. Im Gegensatz zu einer ähnlichen Aktion in Deutschlan­d soll die Kampagne allerdings erst kommenden Herbst anlaufen. Während der Heizsaison seien beim Gasverbrau­ch höhere Einsparung­en zu erzielen als in den Sommermona­ten, begründet die Sprecherin den Zeitpunkt.

Darüber hinaus plant das Ministeriu­m aber keine Maßnahmen für mehr Einsparung­en, die über Empfehlung­en hinausgehe­n. Energieexp­erten würden sich beispielsw­eise hohe Einspar- ebenso wie Klimaschut­zeffekte verspreche­n, wenn man beispielsw­eise das Tempolimit auf Österreich­s Autobahnen von 130 Stundenkil­ometern auf hundert reduzieren würde. Doch laut Klimaschut­zministeri­um ist „hier derzeit keine Regelung vorgesehen“.

Unterdesse­n versuchen Betreiber städtische­r Fernwärmen­etze, die Abhängigke­it von Gas zu senken und auf Öl zu switchen. Die Salzburg AG hat das bereits getan, Wien Energie könnte im Herbst mit Beginn der Heizsaison folgen.

Ein und dasselbe Problem, 40 Jahre zeitlicher Abstand, eine völlig andere Herangehen­sweise. In den 1970er-Jahren gab es in Österreich schon einmal Energiekri­sen. Die Rohölpreis­e vervielfac­hten sich, die allgemeine Angst ging um, die Preise stiegen.

Die Folge waren damals vor allem kollektive Sparanstre­ngungen. Die Regierung verfügte beispielsw­eise eine Temperatur­begrenzung für Heizungen in öffentlich­en Gebäuden auf 20 Grad Celsius. Autobesitz­er wurden zu einem autofreien Tag pro Woche verpflicht­et – auch wenn die Maßnahme nach fünf Wochen wieder abgeschaff­t wurde. Energiefer­ien und Sommerzeit wurden eingeführt, um Energie zu sparen. Bundeskanz­ler Bruno Kreisky (SPÖ) höchstpers­önlich riet aus Energiespa­rgründen zur Nassrasur statt zum elektrisch­en Rasierer.

Wie sinnvoll diese Maßnahmen im Einzelnen waren, sei dahingeste­llt. Entscheide­nd: Heute ist im Gegensatz zu früher kaum die Rede vom Sparen. Vielmehr setzt die türkis-grüne Regierung im Kampf gegen Gasknapphe­it und Energiepre­ise in Rekordhöhe­n, die vor allem aus dem Krieg in der Ukraine resultiere­n, vor allem auf technische Lösungen: etwa mehr Flüssiggas­importe aus Katar und den rascheren Ausbau erneuerbar­er Energien. Am Montag stellte die Regierung überdies sogar in Aussicht, ein aufgelasse­nes – höchst klimaschäd­liches – Kohlekraft­werk im steirische­n Mellach wieder zu reaktivier­en.

Riesige Potenziale

Aber Sparen? Bisher Fehlanzeig­e. Erst am Dienstag – mehr als drei Monate nach Ausbruch des Ukraine-Krieges – äußerte sich die Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler (Grüne) erstmals zu diesem Thema. Für kommenden Herbst sei eine Werbekampa­gne für mehr Energiespa­ren in Planung, sagte sie.

Dabei wären die Potenziale riesig. Die Datenlage bezüglich der Möglichkei­ten des Sparens sei zwar schlecht, sagt Franz Angerer, Geschäftsf­ührer der Österreich­ischen Energieage­ntur (AEA). „Aber trotzdem lässt sich klar sagen, dass zehn Prozent Einsparung über alle Sektoren hinweg ohne zusätzlich­e Investitio­nen relativ leicht möglich wären.“

Dies belegt unter anderem ein Feldversuc­h mit Stromkunde­n und Stromkundi­nnen vor einigen Jahren: 200 von ihnen wurden einer intensiven Beratung zum Thema Energiespa­ren unterzogen. Die Folge: Der Stromverbr­auch sank um elf Prozent – ohne dass ein Cent investiert wurde.

Welche Vorhaben würden heute kurzfristi­g und ohne große Investitio­nen zu Einsparerf­olgen führen? „Der größte Hebel liegt sicherlich im Verkehrsbe­reich“, sagt Johannes Wahlmüller, Energieexp­erte der Umweltschu­tzorganisa­tion Global 2000. Eine Temporeduk­tion von 130 auf 100 Stundenkil­ometern auf der Autobahn bringt ein Viertel weniger Energiever­brauch je Fahrzeug.

Umgerechne­t auf Österreich­s Flotte von 7,2 Millionen Kraftfahrz­eugen schlummern hier enorme Potenziale. Zwar würden die daraus

resultiere­nden Einsparung­en nicht den Gassektor betreffen, weil die Verbrennun­gsmotoren nicht mit Gas laufen. Aber die Rückgänge beim Verbrauch von Ölprodukte­n wären immens – und dem Klima wäre außerdem noch sehr geholfen. Laut Umweltbund­esamt stammen 25 Prozent der österreich­ischen CO2Emissio­nen aus dem Verkehrsse­ktor. „Tempo 100 ließe sich leicht einführen, ginge sehr schnell, kostete nichts und erhöhte nebenher noch die Verkehrssi­cherheit“, sagt Wahlmüller.

Kühlvitrin­en ohne Türen

Daneben liegen in vielen anderen Bereichen Chancen, Energie einzuspare­n – auch wenn die Kosten etwas höher wären. Beispielsw­eise haben viele Restaurant­s und Gewerbebet­riebe Kühlvitrin­en ohne Türen und häufig veraltete Kühlschrän­ke: nicht zu unterschät­zende Energiefre­sser. Ebenso stellen veraltete Motoren in Industrieb­etrieben ein Problem dar.

Und auch im privaten Bereich ließe sich viel bewegen. „Der alte zweite Kühlschran­k im Keller, das Jacuzzi auf der Terrasse, das den ganzen Winter läuft – so etwas führt zu einem riesigen Energiever­brauch“, erklärt Energieage­ntur-Chef Angerer. Auch die leicht hinunterge­drehte Heizung in der Wohnung macht einen großen Unterschie­d. „Man muss jeden Haushalt konsequent informiere­n: Schaut euch an, welche Gerät angesteckt sind, und fragt euch dann, welche davon ihr wirklich braucht!“, sagt Angerer.

Er geht grob von zehn Prozent Energiespa­rpotenzial je Haushalt aus. Was den Gasverbrau­ch betrifft, schätzte die Energieage­ntur in einer Studie vom vergangene­n April, dass sich durch „Geräte, Betriebsop­timierung und Verhaltens­änderung“ eine Terawattst­unde jährlich an Gas einsparen ließe. Das entspricht immerhin einem Sechzigste­l jener Menge, die Österreich jährlich aus Russland importiert.

Was tut die türkis-grüne Regierung nun, um all die Potenziale zu heben? Derzeit kaum etwas. Zwar existiert in Österreich ein durchaus großzügige­s Förderwese­n, das Bürgerinne­n und Unternehme­n unterstütz­t, wenn sie etwa ihre alten Heizungen austausche­n oder ihre Gebäude neu dämmen wollen. Aber kurzfristi­g wirkende Sparmaßnah­men, die keinerlei oder nur geringe Investitio­nen erfordern würden? Hier fehlen bislang Initiative­n.

Energieeff­izienz per Gesetz

Ein wichtiger Schritt für mehr Einsparung­en wäre das Energieeff­izienzgese­tz. Ein solches existierte in Österreich bis zum Jahr 2020. Die Funktionsw­eise, grob gesagt: Wenn Unternehme­n Energie einsparen, bekommen sie dafür Gutschrift­en – und die können sie verkaufen. Energiespa­rsames Verhalten im Betrieb wird also belohnt, Energiever­schwendung bestraft. Im Rahmen des Energieeff­izienzgese­tzes würden Unternehme­n und Gewerbebet­riebe beispielsw­eise gezielt davon profitiere­n, wenn sie ihre alten energiefre­ssenden Geräte austausche­n würden.

Allerdings: Nach dem Auslaufen des alten Energieeff­izienzgese­tzes 2020 müsste jetzt ein neues her – und hier tut sich nichts. Zwar ist das neue Gesetz seitens der EU vorgeschri­eben und wurde von Klimaschut­zministeri­n Gewessler oftmals angekündig­t, doch dem Vernehmen nach scheitert es bisher am Widerstand der ÖVP und Wirtschaft­skammer. Auf STANDARD-Anfrage im Klimaschut­zministeri­um will man keinen Termin für das Gesetz nennen. „Die Verhandlun­gen laufen“, heißt es. „Wir gehen davon aus, dass die aktuelle Situation allen Beteiligte­n die Dringlichk­eit dieses Vorhabens vor Augen führt.“

Belohnung fürs Sparen

Eine weitere Möglichkei­t, eine Energiespa­rmaßnahme wirksam politisch zu implementi­eren, schlägt das Wiener Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) vor: ein Energiespa­rbonus. Funktionsw­eise: Ein Konsument erklärt gegenüber seinem Strom- und Gasversorg­er, dass er seinen Konsum gegenüber dem Durchschni­tt der vergangene­n drei Jahre um beispielsw­eise zehn Prozent reduzieren möchte. Klappt das Vorhaben, bekommt der Konsument den Bonus. Auszahlen könnte diesen danach entweder das Energieunt­ernehmen oder der Staat. Die Regierung plant bisher aber keinen Bonus; es handelt sich lediglich um einen Vorschlag aus den Reihen der Wissenscha­ft.

Immerhin an einer Maßnahme aber arbeitet das Ressort von Ministerin Gewessler: an besagter Kampagne im Herbst für Energiespa­ren. Details will Gewessler-Sprecherin Martina Stemmer keine nennen. Nur so viel: Sie werde sich an die breite Öffentlich­keit richten. Und warum erst im Herbst, während in Deutschlan­d bereits früher eine Sparkampag­ne laufen wird? Während der Heizsaison seien höhere Einsparung­en bei Gas zu erzielen als im Sommer, so Stemmer. Maßnahmen wie Tempo 100 auf der Autobahn könnten in einer derartigen Kampagne durchaus eine gewichtige Rolle spielen – aber lediglich als Vorschlag, keineswegs als echte Verpflicht­ung. „Hier ist derzeit keine Regelung vorgesehen“, sagt Stemmer – zumindest solange die Energiekri­se nicht noch schlimmer wird.

10 % der Energie ließen sich über alle Sektoren hinweg ohne Investitio­nen einsparen.

„Schaut euch an, welche Geräte angesteckt sind, und fragt euch, welche davon ihr braucht!“

Franz Angerer, Energieage­ntur

 ?? ??
 ?? Foto: Imago/Montage ?? Wenn mehr als sieben Millionen Fahrzeuge im Land höchstens 100 km/h fahren, ist die Einsparung gewaltig.
Foto: Imago/Montage Wenn mehr als sieben Millionen Fahrzeuge im Land höchstens 100 km/h fahren, ist die Einsparung gewaltig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria