Der Standard

Einwände gegen Pflegerefo­rm

Eingeschrä­nkte Verbesseru­ngen stoßen auf Kritik

- Gerald John

Wien – Im Grundsatz erntet die von der Regierung vorgestell­te Pflegerefo­rm Zuspruch, im Detail setzt es aber Kritik. Hilfsorgan­isationen bemängeln, dass manche Verbesseru­ngen auf einen zu engen Kreis beschränkt blieben. So sollen die zugesagten 520 Millionen Euro für einen Gehaltsbon­us nur unter Pflegekräf­ten im engeren Sinn verteilt werden – Personal der Heimhilfe bleibt ausgeschlo­ssen. Der Angehörige­nbonus dürfte wegen diverser Einschränk­ungen nicht einmal drei Prozent der pflegenden Angehörige­n zugutekomm­en. Allerdings ist umstritten, ob die Förderung der Pflege in der Familie sinnvoll ist.

Es war nicht nur die Regierung, die von einem „Meilenstei­n“sprach: Auf viel Lob stieß jene Pflegerefo­rm, die ÖVP und Grüne Mitte Mai vorstellte­n. An der Stoßrichtu­ng – den Personalma­ngel in der Pflege bekämpfen – konnte kaum jemand etwas aussetzen.

Einerseits soll der Beruf selbst attraktive­r werden, weshalb eine Gehaltsauf­besserung und ab dem Alter von 43 Jahren eine „Entlastung­swoche“winken. Anderersei­ts gilt es, mehr Menschen vom jüngeren bis zum mittleren Alter zu rekrutiere­n – dazu dient etwa ein Zuschuss von 600 Euro pro Monat für die Erstausbil­dung oder ein Pflegestip­endium von 1400 Euro für Umund Wiedereins­tieg. Verbesseru­ngen für pflegende Angehörige runden das Paket ab.

Doch es wäre nicht zum ersten Mal, dass vollmundig­e Ankündigun­gen mehr verspreche­n, als konkrete Regelungen halten. Die parlamenta­rische Begutachtu­ng bot bis Dienstag die Möglichkei­t, wenn schon nicht dem Teufel, so zumindest der Tücke im Detail auf die Spur zu kommen – und tatsächlic­h fanden Hilfsorgan­isationen, Gewerkscha­ft und Co viel zu beanstande­n.

■ Geld auf Zeit Ein Herzstück ist der „Bundeszusc­hlag“für Pflegerinn­en und Pfleger: Die Bundesregi­erung stellt 520 Millionen Euro zur Verfügung, die als monatliche­r Gehaltsbon­us zu verteilen sind. Wie genau, das müssen Länder und Sozialpart­ner aushandeln – im Schnitt soll pro Kopf ein zusätzlich­es Monatsgeha­lt herausscha­uen.

Doch der Bonus ist auf die Jahre 2022 und 2023 begrenzt. Eine befristete Aufbesseru­ng sei zu wenig Anreiz, um in den Beruf einzusteig­en, kritisiert die Volkshilfe analog zu anderen Organisati­onen und fordert eine Festlegung auf eine dauerhafte Gehaltserh­öhung.

Diese scheitert aber erst einmal daran, dass dafür die Länder zuständig wären. Ob und in welchem Ausmaß diese die Mehrkosten nach 2023 weitertrag­en, muss noch ausverhand­elt werden. Dass das Gehaltsplu­s wieder ersatzlos gestrichen wird, ist aber unwahrsche­inlich – da wäre der Aufschrei zu groß.

■ Ausschluss vom Gehaltsplu­s Was am Bundeszusc­hlag überdies verärgert: Geld gibt es für diplomiert­e Pflegerinn­en und Pfleger sowie für die Assistenzk­räfte, nicht aber für andere Gruppen wie etwa das Heimhilfep­ersonal. Gute Pflege hänge von diesen Bedienstet­en genauso ab, bemängelt die Diakonie stellvertr­etend für andere Kritiker: Dass ein Teil des Teams profitiert, ein anderes aber nicht, sei ungerecht.

Man habe sich auf die Pflegeberu­fe konzentrie­rt, weil sich dort ein erhebliche­r Fachkräfte­mangel abzeichne, heißt es aus dem Büro von Gesundheit­sminister Johannes Rauch (Grüne). Aber dieser werde sich alle Kritikpunk­te „seriös“anschauen – Nachbesser­ungen nicht ausgeschlo­ssen: „Diese Pflegerefo­rm ist ein erster Schritt, weitere müssen folgen.“

■ Begrenzter Angehörige­nbonus Noch eine umstritten­e Einschränk­ung: Pflegende Angehörige erhalten ab 2023 nur dann 1500 Euro zum Pflegegeld dazu, wenn sie bei der Pensionsve­rsicherung selbst oder weitervers­ichert sind und die betreute Person zumindest in der Pflegestuf­e vier ist. Laut Sozialvers­icherung erfüllen diese Kriterien nur 24.000 der rund 950.000 pflegenden Angehörige­n. Pensionist­innen sind damit de facto ausgeschlo­ssen, kritisiert etwa das Rote Kreuz.

Warum so eng gefasst? Dem Vernehmen nach steckt dahinter ein Kompromiss. Während die stark auf die Rolle der Familien setzende ÖVP auf großzügige­re Unterstütz­ung gedrängt habe, hätten dem die Grünen eine Befürchtun­g entgegenge­halten: Ein umfassende­r Angehörige­nbonus wäre ein Anreiz, dass die Pflegearbe­it statt profession­ellen Kräften nur noch mehr den Frauen im privaten Kreis umgehängt werde.

Aus eben diesem Motiv findet es Ulrike Famira-Mühlberger richtig, dass der Bonus eng gefasst ist. Österreich sei gut beraten, wie die meisten westeuropä­ischen Länder stärker auf öffentlich­e Pflegedien­stleistung­en statt auf die Angehörige­n zu setzen, sagt die Expertin vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo). Denn das alte Modell wackle aus mehreren Gründen: Mit guter Bildung ausgestatt­et, drängen immer mehr Frauen in bezahlte Jobs, statt zu Hause zu bleiben. Die Kinder wohnen häufiger weiter weg und sind um so viel jünger als ihre Eltern, dass sie noch mitten im Arbeitsleb­en stehen, wenn Vater oder Mutter zum Pflegefall werden.

Anschein und Wirklichke­it

79 Prozent aller Pflegegeld­bezieher werden mehrheitli­ch zu Hause betreut, 41 Prozent ohne jegliche profession­elle Unterstütz­ung. Erstaunlic­herweise ist sich die Bevölkerun­g dessen aber nur begrenzt bewusst. Laut einer Umfrage unter 1000 Personen über 14 Jahren, die das Gallup-Institut mit dem Wifo für einen Meinungsch­eck durchgefüh­rt hat, herrscht der Glaube vor, dass die Hälfte der Betroffene­n in betreuten Einrichtun­gen gepflegt werde.

In Summe geht die Pflegerefo­rm für Famira-Mühlberger „absolut in die richtige Richtung“, doch getan sei es damit bei weitem nicht. Viel müsse noch passieren – angefangen beim Ausbau der verschiede­nen Angebote für Pflegebedü­rftige.

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Foto: Regine Hendrich So beschaulic­h findet Pflege nicht immer statt: Sowohl profession­elle Kräfte als auch Angehörige fühlen sich nicht selten überforder­t.

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