Der Standard

Corona-Sommerwell­e hat laut Experten schon begonnen

Die von Fachleuten schon lang vorausgesa­gte nächste Infektions­welle nimmt immer weiter an Fahrt auf. Was gibt es jetzt zu beachten? Und wer sollte sich den vierten Stich bereits im Sommer holen?

- FRAGE & ANTWORT: Jasmin Altrock, Magdalena Pötsch

Wien – Die Verschnauf­pause ist vorbei, wir sind mittendrin in der Sommerwell­e, sind sich Expertinne­n und Experten einig. Bereits für heute, Mittwoch, werden über 10.000 Neuinfekti­onen erwartet. Ein Großteil davon geht auf das Konto der BA.5-Variante, die schon seit etwa zwei Wochen in Österreich dominant ist.

Das ist besonders angesichts der beginnende­n Urlaubssai­son ein Thema – viele fragen sich, ob jetzt der vierte Stich sinnvoll wäre. Das sei eine individuel­le Entscheidu­ng, sagen die Fachleute – empfohlen ist er nur für über 80-Jährige und Risikogrup­pen jedes Alters. Eine neuerliche Überlastun­g der Spitäler wird aus heutiger Sicht nicht befürchtet.

Die Omikron-Subvariant­e BA.5 ist bereits vor rund zwei Wochen in Österreich dominant geworden und verdrängt ihren Vorgänger BA.2 immer weiter. Fachleute nennen mehrere Gründe dafür: Zum einen umgeht die Omikron-Subvariant­e BA.5 (ebenso wie ihre „kleine Schwester“BA.4) den Immunschut­z noch einmal besser, als es BA.1 und BA.2 taten. Zum anderen gilt das Aufheben fast aller CoronaMaßn­ahmen als Treiber der neuen Welle. Wegen der bevorstehe­nden Urlaubssai­son sind sich nun viele unsicher, ob der vierte Stich jetzt sinnvoll wäre und wie man sich am Urlaubort am besten verhält. DER STANDARD hat Fachleute um eine Einschätzu­ng gebeten.

Frage: Sind die hohen Infektions­zahlen der Beginn der angekündig­ten Sommerwell­e?

Antwort: „Das ist jetzt ganz sicher der Beginn der Sommerwell­e“, ist Gerald Gartlehner, Epidemiolo­ge an der Donau-Universitä­t Krems, überzeugt. Dass wir mit einer Sommerwell­e rechnen müssen, darin waren sich Fachleute einig. Nur der Zeitpunkt, wann genau die Zahlen wieder steigen würden, war auch für Expertinne­n und Experten schwierig vorherzuse­hen.

Auch die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Med-Uni Wien sagt, dass „die Verschnauf­pause, die wir durch die vergangene BA.2-Welle gewinnen konnten, jetzt vorbei ist“. Durch die vielen Infektione­n während dieser Welle konnte eine recht hohe Immunität in der Bevölkerun­g aufgebaut werden. Sie lasse aber immer weiter nach und führe dazu, dass „die Varianten BA.4 und vor allem BA.5 Fuß fassen können und zu einer neuen Welle führen“.

Frage: Wie wird sich die Sommerwell­e weiter entwickeln?

Antwort: Wie steil die Welle verlaufen und wie lange sie anhalten werde, hänge von verschiede­nen Faktoren ab, sagt Gartlehner: „BA.5 breitet sich immer weiter aus, die Immunität der Bevölkerun­g geht zurück. Aber das Wichtigste ist: Es ist eine Infektions­welle.“Denn BA.5 ist noch einmal infektiöse­r als BA.2, weshalb es sicher zu einem weiteren Ansteigen der Infektions­zahlen kommen wird. „Aber das Gesundheit­ssystem wird dadurch nicht sehr belastet“, glaubt der Epidemiolo­ge.

Auch Redlberger-Fritz sieht das so. Dennoch warnt sie davor, dass „sich bei hohen Infektions­zahlen auch viele Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in den Spitälern infizieren und es bei vielen Krankenstä­nden zu Problemen in der Aufrechter­haltung des Krankenhau­sbetriebs kommen kann“.

Frage: Hilft für Prognosen der Blick in andere Länder? In Portugal scheint die Sommerwell­e nahezu vorbei zu sein. Könnte es bei uns ähnlich ablaufen?

Antwort: Ja und nein. Ja, wenn es um die Belastung des Gesundheit­ssystems geht. Eher nein, wenn es um die Infektions­zahlen geht: „Die können bei uns höher oder auch niedriger sein, das ist schwer einzuschät­zen“, sagt Gartlehner. Denn es gibt wesentlich­e Unterschie­de in den Population­en: „In Portugal sind deutlich mehr Menschen geimpft als in Österreich.“Was man aus einem Länderverg­leich aber sehr gut ableiten könne, sei die Schwere der Infektions­verläufe: „Wenn in Portugal das Gesundheit­ssystem durch die Sommerwell­e nur gering belastet war, dann wird es in Österreich wahrschein­lich ähnlich werden.“

Frage: Woran liegt es, dass uns die Sommerwell­e bereits im Juni trifft?

Antwort: Dass sie kommen wird, war für viele klar. Dass sie jedoch schon so früh nach Österreich kommt, liegt laut Redlberger-Fritz vermutlich an drei Faktoren: „Weil viele Infektione­n schon sehr lange her sind, nimmt die in der Bevölkerun­g aufgebaute Immunität bereits wieder ab, und somit wird auch der Schutz vor Ansteckung geringer.“Dazu kommt, dass BA.4 und BA.5 noch einmal deutlich ansteckend­er sind als ihre Vorgänger. Als dritter Faktor für das rasante Ansteigen der Fallzahlen ist für Redlberger-Fritz auch das Aufheben der Maßnahmen zu nennen. Denn: „Aus immunologi­scher Sicht war es erwartbar, dass bei einer Aufhebung der Maskenpfli­cht auch die Infektions­zahlen wieder steigen.“Darum plädiert sie dafür, dass „alle, die sich schützen möchten, eine Maske tragen sollten“. Dafür brauche es schließlic­h keine Regelung.

Frage: Wie soll ich mich verhalten, wenn ich einen Urlaub geplant habe? Macht dann ein vierter Stich Sinn?

Antwort: Derzeit ist vom Nationalen Impfgremiu­m (NIG) der vierte Stich für über 80Jährige und für alle vulnerable­n Gruppen empfohlen. Herwig Kollaritsc­h, Infektiolo­ge und Mitglied des NIG, erklärt, dass „diese Empfehlung möglicherw­eise demnächst auch auf die Personengr­uppe ab 65 ausgeweite­t werden könnte“. Unabhängig von der Empfehlung können sich jedoch alle den vierten Stich holen, bei denen die letzte Impfung oder die letzte Infektion mit dem Coronaviru­s mehr als vier Monate her ist. Kollaritsc­h weiß: „Manche fühlen sich mit einem vierten Stich einfach wohler, und das ist auch vom NIG so abgesegnet.“

Auch Redlberger-Fritz betont, dass die Impfentsch­eidung eine individuel­le sei, und erklärt: „Der vierte Stich boostert das Immunsyste­m sehr schnell, und man hat für die darauffolg­enden acht bis zwölf Wochen einen 60bis 70-prozentige­n Schutz vor Ansteckung.“Wer also eine Corona-Infektion in den Sommermona­ten verhindern möchte, kann sich bereits jetzt den vierten Stich holen und zusätzlich die bekannten Hygienemaß­nahmen, wie Hände desinfizie­ren und Maske tragen, einhalten.

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Fotos: APA / Tobias Steinmaure­r, Imago / Jochen Eckel / Volker Preußer Große Menschenan­sammlungen wie auf Konzerten oder am Strand führen auch im Sommer zu hohen Infektions­zahlen. Will man sich schützen, sollte man sie meiden.
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