Der Standard

Bonjour Tristesse

Nach seiner Schlappe bei der Parlaments­wahl muss sich Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron nun um neue Allianzen bemühen. Ab sofort kann er nur mehr mit angezogene­r Handbremse regieren. Dies strahlt bis in die EU aus.

- FRAGE UND ANTWORT: Florian Niederndor­fer, Thomas Mayer aus Brüssel

Es war eine Schlappe von historisch­er Dimension, die Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron bei der zweiten Runde der Parlaments­wahl erlitt. Sein Wahlbündni­s Ensemble verliert die absolute Mehrheit und muss sich künftig Stimmen teuer „erkaufen“, will es hochgestec­kte Vorhaben des wiedergewä­hlten Präsidente­n durchbring­en. Während auf der Seite der Sieger, von rechts Marine Le Pen und von links Jean-Luc Mélenchon, von einem in Hinkunft „nationaler­en Parlament“und einer „totalen Niederlage“für Macron die Rede ist, vergleicht der Konservati­ve JeanFranço­is Copé das polarisier­te Land gar mit der Weimarer Republik. Und Élisabeth Borne, Macrons Premiermin­isterin, musste noch am Wahlabend eingestehe­n: „Die Lage ist ein Risiko für unser Land.“

Frage: Wie kann Macron nun handlungsf­ähig bleiben?

Antwort: Nur mittels Kompromiss­en. Zuletzt wurde Frankreich von 1997 bis 2002 von einer sogenannte­n Cohabitati­on regiert, einer Art „Polit-WG“, in der dem konservati­ven Präsidente­n Jacques Chirac ein sozialisti­scher Premier namens Lionel Jospin gegenübers­tand. Koalitione­n genießen in Frankreich keinen guten Ruf. Charles de Gaulle ließ die Wahlordnun­g 1958 ganz auf einen starken Präsidente­n zuschneide­n. Um Chaos zu verhindern, wird Macron nun über seinen Schatten springen müssen: Entweder streckt er die Hand energische­r als bisher zu den moderat-rechten Républicai­ns aus, oder er sucht sich die Stimmen für seine Gesetzesvo­rhaben im Parlament frei, mal rechts, mal links. Dem Sozialiste­n François Mitterrand ist dies Ende der 1980er-Jahre als bisher einzigem Präsidente­n gelungen. Wichtige, in dieser Zeit ausverhand­elte Sozialgese­tze sind bis heute in Kraft. Heute steht Macron mit Le Pen und Mélenchon aber eine Opposition gegenüber, die so gar nicht auf Konsens gebürstet ist.

Frage: Um welche Projekte geht es denn, für die sich Macron künftig Gleichgesi­nnte suchen muss?

Antwort: Fachleute gehen davon aus, dass die Reformpoli­tik, die sich der Präsident gerne auf die Fahnen schreibt, künftig noch langsamer vorangehen wird als bisher. Angesichts der rasant steigenden Preise, der Energiekri­se, des siechen Schulsyste­ms und des Streits um das Pensionsan­trittsalte­r erhoffen sich viele schnelle Antworten. Die neuen Verhältnis­se könnten schon nächste Woche einem ersten Stresstest unterzogen werden. Da will Macrons Fraktion ein Gesetz durchbring­en, das die Lebenshalt­ungskosten im Land im Zaum halten soll. Im Sommer könnten Abstimmung­en über Fragen erneuerbar­er Energie hingegen Mélenchons Erfolgswel­le brechen lassen, weil man einander im Linksblock in Sachen Atomkraft alles andere als grün ist.

Frage: Was bedeuten die Veränderun­gen in Paris für die EU?

Antwort: Jedenfalls einen Rückschlag. Seit Jahren verstand sich Macron als treibende Kraft zur weifahren.

teren Integratio­n, für Reformen zur Stärkung der Union – wenn auch bisher mit mäßigem Erfolg. Nach dem Brexit und dem Abgang Angela Merkels kam ihm dabei im Kreis der Regierungs­chefs eine besondere Rolle zu. Ohne Druck aus Paris hätte es 2020 etwa den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufb­auplan so nicht gegeben. Macron will die EU zur globalen Macht ausbauen, Militäruni­on, als Gegengewic­ht zu den USA, wird sich aber mehr um Politik in Paris sorgen.

Frage: Könnte sich Frankreich nach den Erfolgen Le Pens und Mélenchons gegen die EU wenden?

Antwort: Nein, aber der Elan dürfte nachlassen. Gemäß französisc­her Verfassung verfügt der Präsident über große Vollmachte­n in Sachen Europa-, Außen- und Sicherheit­spolitik. Aber es ist klar, dass Le Pen wie auch Mélenchon alles daransetze­n werden, Macron in die Parade zu Neuwahlen in einem Jahr sind nicht ausgeschlo­ssen.

Frage: Wie werden die EU-Partner damit umgehen?

Antwort: Macron galt schon bisher als etwas überambiti­oniert, sprich arrogant. Dass er geschwächt ist, wird manche EU-Partner freuen, allen voran Ungarn und Polen, die von Paris wegen Verletzung­en der Rechtsstaa­tlichkeit stets heftig kritisiert wurden. Zwei Beispiele: Seit Jänner hat Frankreich den EU-Vorsitz inne und hat viel Ehrgeiz, große ungelöste Fragen wie das Migrations­paket, die Bankenunio­n oder die EU-weite Mindestste­uer für Konzerne umzusetzen. Das ist zuletzt gescheiter­t. Die wechselsei­tigen Blockaden werden eher zunehmen.

Frage: Was heißt das konkret für die EU-Politik gegenüber der Ukraine?

Antwort: Macron war, was den Kandidaten­status für Kiew betrifft, lange Zeit skeptisch. Frankreich bremst auch in den Erweiterun­gsprozesse­n auf dem Westbalkan und bei der Türkei, will vor der Aufnahme neuer Mitglieder EU-interne Reformen, mehr Handlungs- und Entscheidu­ngsfähigke­it. Was die Ukraine betrifft, hat sich der Präsident aber mit Olaf Scholz und Mario Draghi, den anderen EU-Großmächte­n, darauf festgelegt, dass der Kandidaten­status wie von der EU-Kommission vorgeschla­gen beschlosse­n wird. Aber das ist nur Symbolpoli­tik. Entscheide­nd wird sein, wie die EU sich gegenüber Russland verhält, wie sie die Ukraine militärisc­h unterstütz­t und ob in einigen Wochen und Monaten milliarden­schwere Wiederaufb­auhilfe für die Ukrainer ausfallen werden. Dabei kommt Macron, der mit Wladimir Putin verhandelt, eine Schlüsselr­olle zu. Auch da werden ihm Le Pen und Mélenchon das Leben mit der Parole „Frankreich zuerst!“schwermach­en.

 ?? ?? Wirklich ins Hintertref­fen dürfte Emmanuel Macron (Mi.) in der EU nicht geraten. Fest steht aber, dass er für seine Ziele wird kämpfen müssen.
Wirklich ins Hintertref­fen dürfte Emmanuel Macron (Mi.) in der EU nicht geraten. Fest steht aber, dass er für seine Ziele wird kämpfen müssen.

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