Der Standard

Mjam auf der Jagd nach Gewinnen

Der Boom der Botendiens­te bremst sich ein. Die Arbeitsbed­ingungen in der Branche sind prekär. Mjam will 2023 dennoch den Sprung aus der Verlustzon­e schaffen und sucht 1000 weitere Mitarbeite­r.

- Verena Kainrath

Sie schwärmen vor allem sonntags und freitags aus, treten bei Regen und eisigem Gegenwind ebenso hart in die Pedale wie bei tropischen Temperatur­en. Die häufigste Fracht in ihren Rucksäcken sind Bananen, Bier und Semmeln.

3100 Boten sind für den Essenszust­eller Mjam auf Österreich­s Straßen auf zwei Rädern unterwegs, in Wien allein sind es rund 2000. 1000 weitere Kuriere will die Tochter des börsennoti­erten Konzerns Delivery Hero für den Job noch gewinnen.

Die Corona-Krise mit ihren Lockdowns katapultie­rte digitale Plattformu­nternehmen nach vorne. Innerhalb eines Jahres sei Mjam in Österreich um 150 Prozent gewachsen, rechnet Chloé Kayser, Geschäftsf­ührerin des Botendiens­tes, vor. Heuer bremse sich der Boom auf eine einstellig­e Umsatzstei­gerung ein.

Viel Luft nach oben sieht sie mit Blick auf Länder wie Südkorea dennoch. Den Sprung in die Gewinnzone stellt sie Anfang 2023 in Aussicht.

Noch stehen Verluste von fast 1,1 Milliarden Euro in den Büchern der deutschen Mutter. Mitte Juni musste Delivery Hero nach einer rasanten Talfahrt seiner Aktie den deutschen Leitindex Dax nach weniger als zwei Jahren verlassen.

In Österreich liefert Mjam gegen Provision Essen von rund 6000 Restaurant­s aus. Seit 2021 stellt das Unternehme­n von elf Hubs in Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck aus auch Supermarkt­sortiment zu.

4000 Produkte will die Plattform online bieten. Im Visier sind Artikel des täglichen Bedarfs bis hin zu Büchern, sofern Partner aus der Branche mitspielen. „Bücher wären die ultimative Rache an Amazon“, sagt Mjam-Manager Alexander Gaied.

Rache an Amazon?

Dass sich der Internetri­ese demnächst die Essenszust­ellung einverleib­t, glaubt er nicht, denn Amazon verdiene anderswo mehr Geld. Sollte der Konzern dennoch neu Anlauf nehmen, sei Mjam solide genug, um sich zu behaupten. „Wir haben über Jahre in IT und Logistik investiert.“

Kayser zufolge wickelt ein Bote zu Stoßzeiten drei Aufträge pro Stunde ab. Essen werde im Schnitt um 20 Euro bestellt, bei Lebensmitt­eln sei die durchschni­ttliche Lieferung 20 bis 30 Euro wert. Den Verdienst der Fahrer beziffert sie mit zwölf Euro pro Stunde. Dazu käme Trinkgeld zwischen 50 Cent und einem Euro.

Die Branche wird gespeist von Risikokapi­tal, expandiert wurde lange Zeit auf Teufel komm raus, mit dem Ziel, Marktantei­le zu gewinnen und Rivalen aus dem Weg zu räumen.

Das Herz der Flotte seien die Rider, versichert Kayser. Kritiker des Geschäftsm­odells, das von schneller Austauschb­arkeit der Boten auf der hart umkämpften letzten Meile lebt, nennen diese moderne Tagelöhner. Eine aktuelle Studie der Uni und TU Wien wertet ihre Arbeitsbed­ingungen als überwiegen­d prekär.

Von Scheinselb­stständigk­eit ist die Rede, von Risiko, das unter dem Deckmantel der Freiheit und Flexibilit­ät an die Arbeitende­n ausgelager­t wird. Vor allem aber von Jobs, die nicht vor Armut schützten.

Mjam erhielt im ersten österreich­ischen Fairwork-Report nur vier von zehn Punkten. Gaied sieht die schlechte Bewertung der Methodik geschuldet, die nicht auf das Modell der freien Dienstnehm­er ausgericht­et sei. 90 Prozent der Mjam-Fahrer entschiede­n sich von sich aus gegen eine fixe Anstellung, meint er.

Den Vorwurf der Scheinselb­stständigk­eit weist Gaied zurück. Für Subliefera­nten gebe es einen Verhaltens­kodex, der regelmäßig kontrollie­rt werde. Der stete Zustrom an Fahrern, die auf eigenen Rädern liefern – die Wartung einer eigenen Flotte sei zu aufwendig –, sei der Beleg dafür, auf dem richtigen Weg zu sein.

57 Prozent der Rider seien 19 bis 29 Jahre alt, davon neun Prozent Frauen. Die monatliche Fluktuatio­n liege bei zehn Prozent.

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Foto: Mjam 90 Prozent der Mjam-Boten sind freie Dienstnehm­er.

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