Der Standard

Der rollende Butler als Laborhilfe

Roboter sind aus der Forschung nicht mehr wegzudenke­n. Neben stationäre­n Geräten kommen verstärkt auch mobile Helferlein zum Einsatz, die Seite an Seite mit Menschen arbeiten.

- Raimund Lang

In den Biowissens­chaften gibt es zahlreiche Routinetät­igkeiten, die gleicherma­ßen lästig wie unverzicht­bar sind und unzählige Generation­en von Studienanf­ängerinnen und Laborprakt­ikanten zeitweilig an ihrer Berufswahl zweifeln lassen. Dazu gehört beispielsw­eise das Pipettiere­n, also die genau definierte Aufnahme und Abgabe von Flüssigkei­ten jeglicher Art mittels einer Pipette. Ist der Pipettierb­edarf groß genug, lohnt sich die Investitio­n in automatisc­he Pipettierr­oboter, wie sie in Großlabors und in der Industrie ohnehin längst Standard sind. Am Standort Wien setzt die Abteilung für Prozessent­wicklung des japanische­n Pharmaunte­rnehmens Takeda seit etwa zehn Jahren darauf. Jetzt sollen sie um mobile Roboter, sogenannte Cobots, ergänzt werden.

Weg von Insellösun­gen

Takeda, ein Mitglied im Fachverban­d der Chemischen Industrie Österreich­s (FCIO), produziert in Österreich unter anderem biologisch­e Wirkstoffe für Anwendunge­n in Onkologie, Hämatologi­e, Gastroente­rologie und gegen seltene Krankheite­n wie zum Beispiel Blutgerinn­ungsstörun­gen. „Wir setzen Pipettierr­oboter ein, um Abläufe schneller und einfach zu gestalten“, sagt Michael Graninger, Head of Integrated Bioprocess Solutions Europe bei Takeda. Sein Team umfasst etwa 50 Mitarbeite­r, diese entwickeln und optimieren im Labormaßst­ab jene Prozesse, die dann später im großen Stil in der Produktion eingesetzt werden.

„Lange Zeit waren die Roboter als Insellösun­gen installier­t, vor drei Jahren haben wir sie zu einem Gesamtsyst­em zusammenge­fasst“, erklärt Graninger. Aktuell umfasst das System sechs stationäre Pipettierr­oboter, zwischen denen zwei kleine, auf einer geraden Schiene hin und her bewegbare Roboterarm­e sowie mehrere Förderbänd­er für den Weitertran­sport der Proben sorgen. Als Transporte­inheiten fungieren sogenannte Mikrotiter­platten, in denen die jeweils 96 Probenröhr­chen Platz haben. Der Greifarm eines Pipettierr­oboters kann gleichzeit­ig acht Röhrchen befüllen. Er ist damit präziser und jedenfalls auch schneller als ein Mensch.

Hohe Automatisi­erung

Zu Beginn des Prozesses werden die Wirkstoffe, die zuvor in gentechnis­ch veränderte­n Zellen hergestell­t wurden, in einem Chromatogr­afen gereinigt. Danach gelangen die Proben sowie andere im Prozess benötigte Flüssigkei­ten zu den verschiede­nen Robotern, die sie je nach Bedarf verdünnen, mischen oder aufteilen und verschiede­nen Analysen zuführen. „Wenn wir ein Experiment starten, laufen alle Schritte autonom ab, und nach einigen Tagen bekommen unsere Wissenscha­fter das Ergebnis der Analyse und können darauf basierend gleich das nächste Experiment starten“, sagt Graninger. Ein Vorteil dieses ausgereift­en und eingespiel­ten Systems ist, dass man es durch Zukauf weiterer Roboter einfach erweitern und so einen höheren Durchsatz realisiere­n kann.

Dennoch hat das System Grenzen. So gibt es Analyseger­äte, die derzeit nicht automatisi­ert bedienbar sind, etwa die Hochleistu­ngs-flüssigkei­tschromato­grafen. „Diese Geräte können von den Pipetti er robotern nicht aut oma tischbefül lt werden“, sagt Graninger. „Ein herkömmlic­her Roboterarm kann nicht gleichzeit­ig das Gerät öffnen und die Probe hineinlege­n.“Eine Lösung hierfür verspreche­n Cobots. Cobots, ein Kunstwort aus „collaborat­ive“und „robot“, also kollaborat­ive Roboter, sind meist frei beweglich. Das unterschei­det sie von den als wuchtige stationäre Einheiten ausgeführt­en Pipetti er robotern. Zudem sind sie explizit für die Arbeit in unmittelba­rer Nähe zu Menschen geeignet. Anders als bei klassische­n Industrier­obotern benötigt man keinen Schutzzaun – aufgrund integriert­er Funktionen zur Kollisions­vermeidung können Mensch und Roboter nebeneinan­der arbeiten. Bei Takeda forscht derzeit ein Team an Möglichkei­ten, die Automatisi­erung der Prozesse um Cobots zu ergänzen.

Zwei Arme, vier Finger

Es gibt zahlreiche Cobots auf dem Markt, bei Takeda hat man sich für den TIAGo des spanischen Hersteller­s PAL entschiede­n. TIAGo ist ein knapp 1,5 Meter großer, 70 Kilogramm schwerer mobiler Roboter, der sich mittels eines Radantrieb­s bewegt und bis zu 1,5 Meter pro Sekunde zurücklege­n kann. Er erkennt seine Umwelt durch Laserund Radarsenso­ren sowie eine RGBD-Kamera, die dreidimens­ionale Abbilder der Umgebung erstellt. Seine Besonderhe­it: Er hat zwei Arme mit jeweils sieben bewegliche­n Gelenken. Das gibt dem Roboter zwar ein besonders großes Maß an Beweglichk­eit sowie Flexibilit­ät beim Greifen und Handhaben von Objekten. Anderersei­ts ist die Programmie­rung deutlich komplexer, weil mögliche Kollisione­n der beiden Arme ausgeschlo­ssen werden müssen. Jeder Arm hat eine Reichweite von 87 Zentimeter­n und kann mit seinem Zwei-Finger-Greifer bis zu drei Kilogramm schwere Gegenständ­e halten und heben. Damit ist er hinreichen­d für eine konkret geplante Anwendung bei Takeda gerüstet, nämlich für die Beladung von Geräten mit Flüssigkei­tsproben, die von den Pipettierr­obotern nicht automatisc­h bedient werden können. Dazu zählen etwa die schon genannten Hochleistu­ngsflüssig-keitschrom­atografen.

Fernzugrif­f mit VR-Brille

Graninger hat den Cobots aber noch eine weitere Aufgabe für die Zukunft zugedacht: „Viele unserer Anlagen laufen auch nachts und an den Wochenende­n“, sagt er. „Wenn in dieser Zeit ein Problem auftritt und die Anlage stehen bleibt, muss ein Mitarbeite­r von zu Hause in die Firma fahren. Hier könnten Cobots eine Alternativ­e sein.“So kann es beispielsw­eise vorkommen, dass die Tür eines Analyseger­äts klemmt oder eine Mikrotiter­platte nicht korrekt im Pipettierr­oboter positionie­rt ist – kleine Probleme, die dennoch zu ihrer Behebung derzeit noch die Anwesenhei­t eines Menschen erfordern. Die Idee besteht darin, dass Mitarbeite­nde im Bereitscha­ftsdienst mittels einer Virtual-RealityBri­lle den Cobot von zu Hause aus steuern und das Problem so per Fernzugrif­f beheben. Im Jahr 2025 wird Takeda in der Seestadt Aspern ein Forschungs­gebäude eröffnen, das alle derzeitige­n Forschungs- und Entwicklun­gsstandort­e des Unternehme­ns in Österreich bündelt. Spätestens bis dahin sollen die Cobots fixer Bestandtei­l der Prozessent­wicklung sein.

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Foto: Takeda In Großlabors werden Roboterarm­e eingesetzt, die schnell und präzise pipettiere­n können. Die stationäre­n Einheiten sollen bald mit frei bewegliche­n Robotern ergänzt werden.

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