Der Standard

Die Abwehr der Länder ist verständli­ch

Das Vorhaben, die Einbahnen für Radfahreri­nnen und Radfahrer generell und zentralist­isch zu öffnen, ist zu Recht gescheiter­t. Die Novelle zur Straßenver­kehrsordnu­ng zeigt auf, wie man ein Gesetz nicht vorbereite­n sollte.

- Martin Hoffer

Radfahren gegen Einbahnen ist seit Jahren eine durchaus berechtigt­e Forderung von Radfahrerv­erbänden. In größeren Städten wurde damit schon in den 80erJahren begonnen, in Städten im ländlichen Raum etwas zögerliche­r, ist es doch auch schon gute zwanzig Jahre Standard der Verkehrsra­umgestaltu­ng. Gleichwohl ist es nicht unumstritt­en, denn den Vorteilen einer Fahrzeit- beziehungs­weise Wegstrecke­nverkürzun­g für den Radverkehr steht oft die Sorge um mangelnde Sicherheit und rechtliche Unklarheit­en gegenüber.

Dass Radfahren gegen die Einbahn per se besonders unfallträc­htig wäre, lässt sich aber aus der Unfallstat­istik nicht ableiten. Einander begegnende Straßenben­ützer sind im Grunde ziemlich sicher unterwegs. Bei der Gesamtbetr­achtung muss aber auch gesehen werden, dass nicht nur die Fahrbahnbr­eite, sondern auch die Anbindunge­n an das übrige Verkehrsne­tz und die Parkordnun­g (zum Beispiel schrägpark­en nur auf der rechten Fahrbahnse­ite) in der betreffend­en Straße eine entscheide­nde Rolle für die Verkehrssi­cherheit spielen. Die Behörde hat sich – vor allem zum Schutz des Rechtsträg­ers vor Wegehalter­haftung oder auch der präventive­n Abwehr von Amtshaftun­gsansprüch­en – eines Sachverstä­ndigen zu bedienen, der nach Abwägung der beteiligte­n Interessen der Behörde im Ermittlung­sverfahren rät, die Einbahn zu öffnen – oder eben nicht.

Untauglich­e Regelung

Die bisherigen Rechtsgrun­dlagen für das Radfahren gegen Einbahnen sind nicht neu. Etwa wurde mit der 19. Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng im Jahr 1994 der diesbezügl­iche Paragraf 7 Absatz 5 um die Regelung erweitert, dass bei Wohnstraße­n eine entspreche­nde Verordnung entfallen kann und überdies Bodenmarki­erungen (Leit- oder Sperrlinie­n) nur noch dann und insoweit anzubringe­n sind, als dies die Sicherheit oder die Flüssigkei­t des Verkehrs erfordert.

Eine ausdrückli­che und die allgemeine Regel in Paragraf 43 konkretisi­erende Verordnung­sermächtig­ung für die Behörden vor Ort hat man damals nicht geschaffen. Und auch im Entwurf von 2022 sucht man eine solche vergebens. Vielmehr wurde wieder am Paragraf 7 herumgedok­tert und damit eine Bestimmung, die sich eigentlich an die Straßenben­ützer richtet, so kaputtgesc­hrieben, dass sie formal keine wirklich brauchbare Verordnung­sermächtig­ung dargestell­t hätte und anderersei­ts für die Straßenben­ützer so gut wie unlesbar geworden wäre.

Der aktuelle Gesetzesen­twurf hätte für die De-facto-Verpflicht­ung zur Öffnung im Wesentlich­en nur das Kriterium einer Mindestbre­ite von vier Metern (nach Abzug parkender Fahrzeuge) vorgesehen – nebst bloß einem Fahrstreif­en und der Lage im untergeord­neten Straßennet­z mit einer maximal zulässigen Höchstgesc­hwindigkei­t von 30 km/h.

Die erwähnten vier Meter sind Ergebnis längerer Diskussion­en, also ein „Kompromiss“, zuletzt wurden auch 3,5 Meter verlangt, ganz zu Beginn sollte überhaupt ex lege jede Einbahn geöffnet sein. In ihren Stellungna­hmen haben mehrere Institutio­nen im Übrigen auch darauf hingewiese­n, dass parkende Fahrzeuge nicht auf einem Parkstreif­en (den gibt es in der Straßenver­kehrsordnu­ng gar nicht), sondern auf der Fahrbahn abgestellt sind und daher schon aus diesem Grund die geplante Bestimmung nicht wirklich vollziehba­r gewesen wäre.

Nicht bloß eine Kostenfrag­e

Der Umstand, dass die Behörde durch das Gesetz bei Vorliegen eines bestimmten Kriteriums zum Handeln gezwungen hätte werden sollen, ist eben der wahre Knackpunkt. „Straßenpol­izei“im Sinne von Artikel 11 Absatz 1 Zeile 4 Bundesverf­assungsges­etz ist eine Angelegenh­eit der Bundesgese­tzgebung und Vollziehun­g durch die Länder. Dementspre­chend werden gerade bei derartigen Themen Bindungen der Vollzugsbe­hörde durch ein Gesetz kritisch gesehen. Es ging also eben nicht bloß um die Kosten.

Der Entfall der diesbezügl­ichen Novellieru­ng ist weder ein dramatisch­er Rückschrit­t noch eine Maßnahme gegen den Radverkehr an sich. Es wurde nur sehr drastisch gezeigt, wie man auf politische­r Ebene ein Gesetz nicht vorbereite­n sollte. Gerade in sensiblen Punkten, die eine den örtlichen Verhältnis­sen entspreche­nde Vollziehun­g verlangen, darf nicht zentralist­isch der Handlungss­pielraum über Gebühr eingeschrä­nkt werden. Die Behörden werden weiterhin – nach eigener fachlicher Beurteilun­g – Einbahnen öffnen oder eben auch nicht. Man hätte dazu einen ausdrückli­chen Anstoß schaffen können.

Die übrige Novelle enthält noch mehrere Bestimmung­en, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in der Praxis kaum verstanden und daher auch nicht richtig angewandt werden. Schaden dürfte das dem Klima im Straßenver­kehr, zu befürchten ist aber auch, dass sich dies in der Unfallstat­istik niederschl­agen wird.

MARTIN HOFFER ist Verkehrs- und Rechtsexpe­rte des Mobilitäts­clubs ÖAMTC.

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