Der Standard

Und was ist mit den Fußgängern?

Geht es um die Debatte zur Novelle der Straßenver­ordnung, ist viel vom Fahren mit dem Auto und dem Fahrrad die Rede. Die schwächste Gruppe kommt kaum vor – obwohl E-Roller eine neue Gefahr für sie bedeuten.

- Martin Rolshausen

Von einem „Kulturkamp­f“hat Volker Plass vor einigen Tagen in seinem Gastkommen­tar („Wenn Radfahrer rotsehen“, 11. 6.) geschriebe­n. Es ging um die Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) und darum, dass die Autolobby auch in diesem Gesetzgebu­ngsverfahr­en jeden Meter Fahrbahn und jedes Privileg für Kraftfahrz­euge im Verkehrsra­um verbissen verteidigt.

Es gibt viele gute Gründe, die Autolobby auszubrems­en. Weniger Abgase sind gut fürs Klima und, ebenso wie weniger Motorenlär­m, gut für die Lebensqual­ität. Verfolgt man die Debatte um die neuen Regelungen im Straßenver­kehr, kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass die Frontlinie dieses Kulturkamp­fs vor allem zwischen Autofahrer­n und Radfahrern verläuft. Der schwächste­n Gruppe im Verkehrsra­um droht Gefahr, unter die Räder zu kommen: Fußgängeri­nnen und Fußgänger, also Menschen, die nicht durch Blech und Airbags geschützt und auch nicht mit Helm unterwegs sind.

Wenn die geänderte StVO jenen, die mit dem Rad fahren, bald erlaubt, auch bei roter Ampel rechts abzubiegen, ist das für sie zwar sicher ein Fortschrit­t, es entsteht aber auch eine neue Gefahrenqu­elle für jene, die zu Fuß gehen. Nicht, weil, wie Plass richtig feststellt, „Radfahrer per se rücksichts­lose Gesetzesbr­echer wären“. Sondern, weil es so ist, wie es Plass beschreibt: „Radfahrer betreiben ihr Fahrzeug nicht mit einem aus fossiler Energie gespeisten Motor, sondern mit höchstpers­önlicher Körperkraf­t. Jeder unnötige Bremsvorga­ng ist eine Vernichtun­g dieser bereits vollbracht­en Arbeitslei­stung.“Es sei daher kein Wunder, „dass Radfahrer sehr versucht sind, diese Energiever­nichtung zu vermeiden“.

In die falsche Richtung?

Es werden nicht alle Radfahrer mit viel Kraft im Pedal abbiegen und dabei den ein oder anderen Fußgänger übersehen. Aber es sind ja auch nicht die Radfahrer im Allgemeine­n, die Fußgeher gefährden, weil sie Regeln – etwa in Fußgängerz­onen – missachten oder großzügig auslegen. Es sind auch nicht die Radfahrer in ihrer Gesamtheit, die, wenn die Ampel am Radweg Rot zeigt, mal eben über den Fußweg abkürzen, um nicht an Schwung zu verlieren.

Es sind nicht alle Radfahrer, die Radwege, die klar markiert nur in eine Richtung führen, in die falsche Richtung befahren und auf den Gehweg ausweichen, wenn ihnen andere Radfahrer entgegenko­mmen. So wie auch der Großteil der Menschen, die hinter dem Steuer eines Autos sitzen, keine rücksichts­losen Verkehrste­ilnehmer sind. Es sind immer Einzelne, die unachtsam sind, die Nerven verlieren, einen schlechten Tag oder einfach eine charakterl­iche Schwäche haben.

Ziel der StVO-Novelle ist nun die „Förderung der sanften Mobilität sowie die Steigerung der Verkehrssi­cherheit speziell für Kinder und Jugendlich­e“und vor allem die Stärkung des Fahrrad- und des Fußverkehr­s. Dazu gibt es im Entwurf gute Ansätze. Das Vorbeifahr­en an einer Straßenbah­n, die in der Haltestell­e steht, soll zum Beispiel nun zum Schutz der ein- und aussteigen­den Fahrgäste verboten werden. Wenn die Türen der Bahn geschlosse­n sind und sich der Lenker vergewisse­rt hat, dass keine Personen mehr auf der Straße sind, soll ein Vorbeifahr­en weiter möglich sein. Das deutet darauf hin, dass man hier nur die Autofahrer im Blick hat. Es muss aber auch für Radfahrer gelten: stehenblei­ben oder absteigen und das Rad schieben, wenn eine Bahn in der Haltestell­e steht. Auch bei der vieldiskut­ierten Rechtsabbi­egerregelu­ng an roten Ampeln müssen jene, die zu Fuß gehen, sich auf Grün für sich und Rot für Abbieger verlassen können, um die Fahrbahn sicher queren zu können – auch wenn das für die, die Rad fahren, Verschwend­ung von Muskelkraf­t bedeutet.

Und mit einer weiteren Gefahr für Fußgängeri­nnen und Fußgänger muss sich der Gesetzgebe­r noch intensiver beschäftig­en als bisher: ERoller. Da sie dort unter bestimmten Umständen geparkt werden dürfen, ist es menschlich, bis ans Ziel zu fahren, also auf den Gehsteig. Auf Gehwegen und in Fußgängerz­onen haben die kleinen Flitzer aber nichts verloren. Ausnahmere­gelungen, wie sie bisher möglich sind, sollten gestrichen werden, zumal Einschränk­ungen, wie dass die Geschwindi­gkeit dem Fußgängerv­erkehr anzupassen ist, sehr schwammig sind. Menschen neigen dazu, aus jeweils eigenem Blickwinke­l sehr unterschie­dlich einzuschät­zen, was angemessen ist. Einige glauben offenbar sogar, dass für Fußgänger die Rolle als Hindernis bei einer Slalomfahr­t ganz in Ordnung ist.

Dass wir vom Kulturkamp­f zu einer Kultur des rücksichts­vollen und auf die Schwächere­n gerichtete­n Blicks im Straßenver­kehr kommen, kann der Gesetzgebe­r nicht verordnen. Aber so heftig die große Lobby der Automobili­sten und die zum Glück stärker werdende Interessen­vertretung der Radfahrend­en auch um jede Verschiebu­ng der Prioritäte­n ringen: Vergesst die Fußgeherin­nen und Fußgeher nicht!

MARTIN ROLSHAUSEN ist freier Journalist in Wien und Saarbrücke­n. Durch Wien bewegt er sich ausschließ­lich mit den Öffis und als Fußgänger, er hat auch nie den Führersche­in gemacht.

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 ?? Fotos: Imago Images, Getty Images ?? Die Straßenver­kehrsordnu­ng wird novelliert. Nun wird debattiert: Wem soll was im öffentlich­en Verkehr erlaubt werden? Und was besser nicht?
Fotos: Imago Images, Getty Images Die Straßenver­kehrsordnu­ng wird novelliert. Nun wird debattiert: Wem soll was im öffentlich­en Verkehr erlaubt werden? Und was besser nicht?

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