Schwarze Wolken am türkisen Himmel
Nicht genug, dass sich die Bundes-ÖVP in ärgste Turbulenzen hineinmanövriert hat – auch in den Landesorganisationen der Volkspartei ist einiges in Bewegung: Rückzüge, Umbauten und traditionelle Abseitspositionen sind zu bewältigen.
Bevor sich Sebastian Kurz 2017 in der ÖVP die ganze Macht von den Ländern aushändigen ließ, war die Bundespartei quasi ein geduldeter Planet der mächtigen Landesparteien. Für eine kurze Zeit war die ganze Macht beim Kanzler und Parteichef in Wien – bis die türkis-gewendete Bundes-ÖVP bekanntermaßen implodierte. Ab da wähnten sich die Landesorganisationen der Volkspartei wieder in alter Stärke. Doch jetzt ist auch im türkisen Hinterland Unruhe ausgebrochen. Die Gemengelage ist diffus. Was bedeuten die aktuellen Umwälzungen in den Ländern für die ÖVP im Bund? Immerhin stellt sie aktuell sechs Landeshauptleute, in vier Ländern durchgehend seit 1945.
Eines davon ist Niederösterreich. Im „schwarzen Kernland“scheint die ÖVP-Welt noch in Ordnung. Landeshauptfrau Johanna MiklLeitner regiert seit 2018 – nach Langzeitlandesvater Erwin Pröll – mit absoluter Mehrheit. 2023 werden die Karten neu gemischt. Platz eins ist für die ÖVP zwar nicht gefährdet, Umfragen deuten aber auf einen Verlust der „Absoluten“hin.
Tirol ist – wie Vorarlberg, wo Landeshauptmann Markus Wallner eine gesundheitlich bedingte Auszeit einlegt (siehe Seite 2) – ebenfalls seit 1945 in schwarzer Hand. Günther Platter, einer der Wortführer der schwarzen „Westachse“, verkündete unlängst überraschend seinen Rückzug und leitete vorgezogene Landtagswahlen am 25. September in die Wege. Da droht den Tiroler Schwarzen – eine Umfärbung auf Türkis hat Platter trotz treuer KurzGefolgschaft nie zugelassen – ein Absturz von 44,3 auf 30 Prozent. Ein historischer Tiefststand, den sich Platter nicht antun wollte. Zeitgleich mit ihm zieht sich auch Bildungslandesrätin Beate Palfrader aus der Landespolitik zurück.
In der Steiermark steht die Volkspartei vergleichsweise stabil da – dank der seit Jahren friedlichen Koexistenz mit der SPÖ, die Hermann Schützenhöfer den Landeshauptmannsessel überließ. Dieser tritt, wie geplant, Mitte der Regierungsperiode zurück und übergibt Anfang Juli an Christopher Drexler. Spannend wird, ob der erfahrene und für ÖVP-Verhältnisse liberale, aber als wenig leutselig geltende bisherige Landesrat in zwei Jahren auch gewählt wird. Sonst könnte der Ball womöglich an die SPÖ gehen.
In Oberösterreich hingegen sitzt Thomas Stelzer fest im Landeschefsessel und meistert mit der schwarzen Landespartei durchaus gekonnt den schmalen Grat zwischen lokaler Eigenständigkeit und wohldosierter Bundesnähe. Da zuletzt die See im Bund deutlich rauer wurde, ging man ob der Enns deutlich auf Distanz und inszeniert sich aktuell demonstrativ als Oberösterreich-Partei. Nicht zuletzt das Proporzsystem verschaffte Stelzers ÖVP die maximale Machtfülle im Land: Für knapp 37 Prozent der Stimmen gab es fünf der neun Landesratssitze.
Auch in Salzburg, das im April 2023 wählt, ist die ÖVP stabil am Ruder. Erste Umfragen wiesen Landeshauptmann Wilfried Haslauer sogar ein Stimmenplus aus, die aktuellste Umfrage der Salzburger Nachrichten Ende Mai sah jedoch den Höhenflug gestoppt. Mit 34 Prozent würde die ÖVP, die 2018 37,8 Prozent erhielt und seither mit Grünen und Neos koaliert, drei Prozentpunkte verlieren. Mit ein Grund dafür dürfte das lokale Corona-Management sein.
In Wien – traditionell ein hartes Pflaster für die ÖVP – sucht die Volkspartei seit dem Abgang von Ex-Finanzminister Gernot Blümel als Landesparteichef Tritt. Doch das will (unter dem neuen Obmann Karl Mahrer) alles andere als gelingen. Zwar konnten die Türkisen 2020 in der Bundeshauptstadt ihren Stimmanteil auf 20,4 Prozent mehr als verdoppeln, mittlerweile sind sie jedoch deutlich abgerutscht: Laut einer Umfrage des Stadtsenders W24 von Ende April würden nur elf Prozent der Wiener Wahlbevölkerung für Türkis stimmen. Das ist gefährlich nahe am historisch schlechtesten Ergebnis (9,2 Prozent) bei der Wahl 2015.
Auch Kärnten ist für die ÖVP historisch wahltechnisch ein schwieriges Land. Zwar ist man in einer Koalition mit der SPÖ unter Landeshauptmann Peter Kaiser und stellt zwei Landesräte – Landesparteichef Martin Gruber kann in den Ressorts Verkehr und Land- und Forstwirtschaft gestalten. Bei der Wahl 2023 muss die ÖVP aber mit Stagnation rechnen: Platz drei und um die 14 Prozent. Aktuell belastet der Streit um den Klagenfurter Flughafen das Kärntner Koalitionsklima.
Im traditionell roten Burgenland spielt die ÖVP schon lange keine tragende Rolle mehr. Seit der hemdsärmelige Polizist und Ex-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil vom Eisenstädter Landhaus aus nicht nur die rechte Flanke der SPÖ absichert, sondern auch medienwirksam die Grenzen des Burgenlands, haben sich die Perspektiven für die Konservativen nicht eben gebessert. Nachdem „Dosko“2020 die SPÖ-Absolute zurückgeholt hatte, trat der türkise Spitzenkandidat und Eisenstädter Bürgermeister Thomas Steiner als Landesparteichef zurück. Ihm folgte Christian Sagartz, der für die ÖVP auch im EU-Parlament sitzt. Er hat bis 2025, wenn im Burgenland planmäßig wieder gewählt wird, Zeit, die Landes-VP bestmöglich dafür zu rüsten. (nim, tschi, ars, cms, mro, ruep, rach)