Der Standard

Prozess gegen reuigen Hasspredig­er

Zum dritten Mal steht ein früher als „Abu Tejmar“bekannter 40-jähriger Serbe wegen Terrorunte­rstützung vor Gericht. Zu 20 Jahren Haft wurde er bereits verurteilt, nun droht ihm lebenslang­e Haft.

- Michael Möseneder

Einst war Mirsad O. als „Abu Tejmar“bekannt – der 40-Jährige predigte in dubiosen Moscheen Radikales und warb Kämpfer für den selbsterna­nnten „Islamische­n Staat“an. 2016 wurde er deshalb bereits zu 20 Jahren Haft verurteilt, in einem weiteren Prozess wurde ein Schuldspru­ch ohne Strafe gefällt. Nun sitzt der Serbe mit zwei Mitangekla­gten zum dritten Mal wegen Terrorunte­rstützung vor einem Geschworen­engericht, wieder geht es um eine Zusatzstra­fe – die Alternativ­en für die Laienricht­erinnen und Laienricht­er sind entweder ein neuerliche­r Schuldspru­ch ohne Strafe oder die Verhängung einer lebenslang­en Haft.

Der von Leonhard Kregcjk verteidigt­e O. bekennt sich schuldig, will sonst aber keine Angaben machen. Erst am vorletzten Verhandlun­gstag nutzt er nach Ende des Beweisverf­ahrens die Chance, sich in seinem Schlusswor­t etwas ausführlic­her zu äußern. „Ich habe mich verändert“, beteuert der Angeklagte und gesteht auch unumwunden zu, „Fehler“gemacht zu haben. Er wisse, dass er nach Verbüßung der Haft ausreisen müsse und von seiner Familie getrennt werde, auch das sei eine Art Strafe. Aber: „Ich bin froh, dass meine Familie in Österreich leben kann“, betont er, dass er einem Staatsgebi­lde mit religiösen Grundregel­n nicht mehr nachtrauer­t.

Staatliche­s Desinteres­se

Aber ist dem früheren Prediger zu trauen? Ja, sagt ein Mitarbeite­r des Vereins Derad, der sich mit der Deradikali­sierung islamistis­cher Straftäter beschäftig­t. „Ich betreue O. seit 2016, als er in Untersuchu­ngshaft gesessen ist“, erinnert er sich. Aus seiner Sicht habe der Angeklagte sich tatsächlic­h von dem Weltbild abgewandt. O. sei sogar bereit gewesen, ein Video aufzunehme­n, in dem er seine früheren radikalen Aussagen – die noch immer im Internet auffindbar sind – widerruft, berichtet

der Zeuge. Allein, die staatliche­n Stellen hätten bisher kein Interesse daran gezeigt. „Oft sind die Kommunikat­ionswege lang, und man bekommt lange keine Antwort“, bedauert der Derad-Mitarbeite­r.

Der Vorsitzend­e, der im Frühjahr 2019 den späteren Wien-Attentäter verurteilt hat, ist nachvollzi­ehbarerwei­se vorsichtig und will vom Zeugen wissen, ob man einen derartigen Sinneswand­el nicht auch vorspielen könne.

„Natürlich gibt es Klienten, die sich verstellen“, gibt der Befragte sich keiner Illusion hin. Allerdings habe Derad im vergangene­n Jahr 130 Personen betreut, dadurch sammle man viel Erfahrung. „Etwas Vorspielen funktionie­rt eine Zeitlang, aber nicht über siebeneinh­alb Jahre“, ist der Zeuge überzeugt. Der noch etwas anderes anmerkt: „Über den Wien-Attentäter gab es nie einen positiven Bericht von uns“, hält er fest.

Der Zweitangek­lagte, ein 27-jähriger Österreich­er, der sich seit sieben Jahren wöchentlic­h bei der Polizei melden muss, um auf freiem Fuß zu bleiben, bekennt sich teilweise schuldig. Auch er habe sich vollständi­g von der islamistis­chen Ideologie distanzier­t, versichert seine Verteidige­rin Anna Mair. Er selbst sagt zu den Geschworen­en: „Ich möchte mich für meine eigene Dummheit entschuldi­gen.“Er sei zum Tatzeitpun­kt 2014 und 2015 noch jung gewesen: „Wäre ich nicht in diese Kreise gekommen, wäre es wahrschein­lich das Drogenmili­eu geworden“, mutmaßt der Familienva­ter. Seine Verteidige­rin kritisiert auch die federführe­nde Staatsanwa­ltschaft Graz: Die Verfahrens­dauer sei ungebührli­ch lang – tatsächlic­h waren die Erhebungen bereits 2016 abgeschlos­sen, eine Anklage wurde aber erst vier Jahre später eingebrach­t.

Viele Gerüchte

Nur der Drittangek­lagte, ein Afghane, zu dem zwei unterschie­dliche Geburtsdat­en existieren, bekennt sich nicht schuldig. Auch er soll in einer radikalen Moschee gepredigt und versucht haben, einen Kredit zur Terrorfina­nzierung aufzunehme­n. In dem sechstägig­en Verfahren habe sich aber herausgest­ellt, dass von 30 Zeugen keiner die angebliche­n Hasspredig­ten gehört habe, moniert sein Verteidige­r. Tatsächlic­h gäbe es nur einen Belastungs­zeugen, der über Gerüchte gesprochen habe. Das geplante Darlehen sei für einen Autokauf gedacht gewesen, da die Raten aber zu hoch gewesen seien, habe der Drittangek­lagte darauf verzichtet.

Aufgrund der rechtlich diffizilen Beurteilun­g der 21 an die Geschworen­en gestellten Fragen nutzt der Vorsitzend­e die Möglichkei­t, bei der mehrstündi­gen Beratung der Geschworen­en diesen mit seiner Expertise zur Seite zu stehen. Das Urteil stand zu Redaktions­schluss noch aus.

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Drei zumindest ehemalige Anhänger der Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“müssen sich vor einem Geschworen­engericht verantwort­en.

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