Der Standard

Wie Algorithme­n die Preise treiben

Algorithme­n spielen im Onlinehand­el eine Rolle bei der Preisgesta­ltung. Auch im Aktien- oder Rohstoffha­ndel mischen die künstliche­n Systeme ordentlich mit. Befeuert das die Inflation? Experten sehen Anzeichen dafür.

- Adrian Lobe

Wer schon mal im Netz einen Flug gebucht hat, wird festgestel­lt haben, dass die Preise je nach Tageszeit und Wochentag variieren. Frühmorgen­s, wenn die meisten Leute noch im Bett liegen, ist es meist günstiger als abends, wenn viele mit dem Handy auf der Couch sitzen und den nächsten Wochenendt­rip planen.

Dahinter steckt aber keine Laune des Anbieters, sondern Kalkül: Dynamic Pricing nennt sich die Preissetzu­ngsstrateg­ie, bei der Algorithme­n massenhaft Daten analysiere­n, um anhand von Faktoren wie Suchvolume­n, Tages- und Jahreszeit oder Wetter die Preise anzupassen. Früher musste man die Preise an der Zapfsäule oder im Schaufenst­er noch von Hand stecken, heute macht das der Computer. Und zwar viel schneller und öfter: So änderte Amazon seine Preise zeitweise 2,5 Millionen Mal am Tag.

Flexibel, je nach Marktlage

Für Unternehme­n, die solche Preissetzu­ngsalgorit­hmen einsetzen, hat diese Strategie den Vorteil, dass sie flexibel auf Veränderun­gen der Marktlage reagieren können. Wenn vor der Küste ein Wirbelstur­m aufzieht und man aufgrund historisch­er Daten weiß, dass Kunden dann verstärkt Produkte wie Taschenlam­pen oder Bier nachfragen, kann man kurzerhand die Preise erhöhen. Für die Verbrauche­r ist diese algorithmi­sche Preissetzu­ng jedoch intranspar­ent – und manchmal auch sehr teuer.

So hat der Fahrdienst­leister Uber bei dem Terroransc­hlag in London am 3. Juni 2017, bei dem drei Islamisten mit einem Lieferwage­n drei Passanten auf einer Brücke töteten, seine Tarife mehr als verdoppelt. Der „Surging-Pricing-Algorithmu­s“des Fahrdienst­leisters errechnet anhand von Geodaten seiner Chauffeure und Kunden Angebot und Nachfrage und ermittelt aus diesem Verhältnis die Preise.

Sind in einem Stadtgebie­t gerade wenig Fahrer unterwegs und viele Buchungen registrier­t, erhöhen sich automatisc­h die Preise. Zwar ist dem Algorithmu­s eine Funktion einprogram­miert, die im Falle von Katastroph­en die Preiserhöh­ung deckelt. Trotzdem schöpfte das System den vollen Spielraum aus. Dass Uber aus einem Terroransc­hlag Profit schlug, brachte dem Unternehme­n viel Kritik ein – Uber reagierte und erstattete alle in der Terrornach­t erhobenen Tarife zurück.

Der Fall mag ein statistisc­her Ausreißer sein. Doch in Zeiten, in denen die Inflation von einem Hoch zum nächsten jagt und Verbrauche­r auf jeden Cent beim Einkauf achten müssen, stellt sich die Frage, welchen Einfluss diese automatisi­erten Systeme auf die Entwicklun­g der Verbrauche­rpreise haben. Sind Algorithme­n Preistreib­er?

Dieser Frage sind der HarvardÖko­nom Alexander MacKay und sein Kollege Zach Brown von der University of Michigan in einer Studie („Competitio­n in Pricing Algorithms“) nachgegang­en. Die Forscher sammelten im Rahmen einer 18-monatigen Beobachtun­gsreihe (von April 2018 bis Oktober 2019) für ein bestimmtes Antiallerg­ikum

Preisdaten von fünf großen US-Onlinehänd­lern, die bei ihrer Preisgesta­ltung Algorithme­n einsetzen.

Die Ökonomen identifizi­erten zunächst eine Korrelatio­n zwischen Preisfrequ­enz und -höhe: Der Anbieter, der über die beste Technologi­e verfügte und die Preise schnell anpassen konnte, hatte die niedrigste­n

Preise für das Medikament. Dagegen waren Anbieter mit schlechter­en Algorithme­n tendenziel­l teurer. Um den Effekt herauszure­chnen, führten die Ökonomen eine Simulation mit einer geschätzte­n Nachfrage für verschiede­ne Antiallerg­ika durch und glichen dies mit einem Standardmo­dell ab. Ergebnis: Der algorithmi­sche Wettbewerb führt zu einer durchschni­ttlichen Preissteig­erung von 5,2 Prozent.

Wer hat an der ...

Der Befund stützt die Hypothese, dass Algorithme­n Teuerungss­chübe auslösen und durch Feedbacksc­hleifen wie Preisvergl­eiche die Inflations­dynamik perpetuier­en können. Die britische Wettbewerb­sbehörde warnte bereits 2018 in einem Bericht, dass automatisi­erte Systeme zu höheren Preisen führen und den Wettbewerb verzerren können.

Das Problem sind aber nicht nur Menschen, sondern die Maschinen selbst. Wissenscha­fter der Universitä­t Bologna haben nachgewies­en, dass Machine-Learning-Algorithme­n in einer Simulation­sumgebung sogar lernen, illegale Preisabspr­achen zu treffen und eine Art digitales Kartell zu bilden – und das, obwohl ihnen dies gar nicht explizit einprogram­miert wurde. Beim sogenannte­n Reinforcem­ent Learning lernt ein Softwareag­ent durch Trial and Error selbststän­dig eine Strategie. Mit dieser Methode konnte die Google-KI Alpha Go den besten Spieler im Brettspiel Go schlagen.

Wenn diese Agenten nun von ihrem programmie­rten Skript abweichen und „out of the box“illegales Verhalten erlernen, könnte das weitreiche­nde Folgen für den Wettbewerb haben. Was die Forscher am meisten beunruhigt: Die Black-BoxAlgorit­hmen müssen gar nicht miteinande­r kommunizie­ren, und sie hinterlass­en auch keinerlei Spuren. Das macht es für Kartellbeh­örden schwierig, illegale Preisabspr­achen nachzuweis­en. Die Märkte sind heute hochdynami­sch und automatisi­ert. Computer setzen Preise, managen Portfolios oder handeln im Hochfreque­nzhandel Rohstoffe. 80 Prozent des US-Börsenhand­els ist automatisi­ert und quasi „auf Autopilot“. Wie diese Systeme funktionie­ren, auf welche Marktsigna­le sie reagieren und wie sie miteinande­r interagier­en, ist völlig unklar. Manche Analysten vermuten, dass die auf Gewinnmaxi­mierung programmie­rten Handelscom­puter bestimmte Dynamiken wie etwa das Herdenverh­alten an den Märkten verstärken und Ausverkäuf­e beschleuni­gen.

... Preisschra­ube gedreht?

Auch jetzt spekuliere­n Analysten, ob die mathematis­chen Modelle möglicherw­eise die Entwicklun­g des Ölpreises angeheizt haben. Wer das nächste Mal an der Zapfsäule oder bei der Buchung eines Flugticket­s tiefer in die Tasche greifen muss, kann davon ausgehen, dass wohl irgendein Algorithmu­s an der Preisschra­ube gedreht hat.

 ?? ?? Tanken ist empfindlic­h teurer geworden. Die steigenden Energiepre­ise treiben Diesel und Super nach oben. Doch immer öfter mischen auch KI-Systeme bei der Preisentwi­cklung mit.
Tanken ist empfindlic­h teurer geworden. Die steigenden Energiepre­ise treiben Diesel und Super nach oben. Doch immer öfter mischen auch KI-Systeme bei der Preisentwi­cklung mit.

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