Der Standard

Wie die USA Chinas Einfluss entgegenwi­rken können

China könnte ein von den Vereinigte­n Staaten hinterlass­enes Sicherheit­svakuum im Nahen Osten schnell ausfüllen, wird gewarnt. Doch wie groß ist das Interesse Chinas an dieser Region überhaupt?

- Minxin Pei Übersetzun­g: Sandra Pontow MINXIN PEI ist Professor of Government am Claremont McKenna College und Non-Resident Senior Fellow beim German Marshall Fund of the United States.

Wenn US-Präsident Joe Biden nächsten Monat in den Nahen Osten reist, werden seine Gastgeber – insbesonde­re Saudi-Arabien – wohl versuchen, ihn dazu zu bringen, sich wieder stärker in der Region zu engagieren. Sie könnten den Standpunkt vertreten, dass ein strategisc­her Rückzug China die Möglichkei­t geben würde, seinen eigenen regionalen Einfluss auszuweite­n. Doch die Realität ist nicht so einfach.

Als bedeutende­r Produzent fossiler Brennstoff­e ist der Nahe Osten zweifellos wichtig für die USA. Tatsächlic­h sind es die sehr hohen Energiepre­ise, die Biden zu dem Versuch zwingen, seine Beziehunge­n zu Saudi-Arabien zu kitten. Bis vor kurzem mied er den Kronprinze­n und De-facto-Herrscher des Landes Mohammed bin Salman wegen seiner mutmaßlich­en Rolle bei der Ermordung des saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi in der Türkei im Jahr 2018.

Bidens Kehrtwende macht deutlich, wie groß der Einfluss SaudiArabi­ens ist. Und das Königreich dürfte ihn nutzen, um die USA zur Aufrechter­haltung ihres militärisc­hen Engagement­s im Nahen Osten zu drängen. Warnungen – die Israel wiederhole­n dürfte –, dass China jedes von den USA hinterlass­ene Sicherheit­svakuum schnell ausfüllen wird, scheinen die Argumente des Königreich­s zu stärken.

Es ist jedoch unwahrsche­inlich, dass China eine militärisc­he Präsenz im Nahen Osten aufbaut, nicht zuletzt, weil seine wichtigste­n Partner in der Region – Ägypten, Iran, Irak, Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate – miteinande­r verfeindet sind. So sind Iran und Saudi-Arabien zwar bereit, mit denselben Akteuren Geschäfte zu machen, doch keines der beiden Länder würde gute Beziehunge­n zu einem Land unterhalte­n, das mit seinem Hauptrival­en eine substanzie­lle Sicherheit­sbeziehung pflegt.

Zögerliche­s China

Chinas Zögern, seine Sicherheit­sinteresse­n im Nahen Osten voranzubri­ngen, deutet darauf hin, dass es sich dessen sehr wohl bewusst ist. Selbst im Falle des Iran, der als Stellvertr­eter in Chinas strategisc­her Rivalität mit den USA dienen könnte, hat China Schritte vermieden, die seine Beziehunge­n zu Saudi-Arabien und den anderen Golfstaate­n gefährden könnten. So hat es, anders als Russland, davon abgesehen, moderne Waffen an den Iran zu liefern.

Selbst wenn China über mehr strategisc­hen Handlungss­pielraum im Nahen Osten verfügen würde, dürfte es seine strategisc­he Präsenz dort nicht wesentlich erweitern, da es die Region nicht als entscheide­nd für seine Sicherheit betrachtet. Zwar stammt fast die Hälfte der chinesisch­en Ölimporte aus dem Nahen Osten, doch der wichtigste Schauplatz im sich entfaltend­en kalten Krieg zwischen den USA und China ist Ost- und Südostasie­n. China möchte seine begrenzten Ressourcen ebenso wenig wie die USA im Nahen Osten einsetzen.

Vor diesem Hintergrun­d dürfte China weiterhin auf diplomatis­che und wirtschaft­liche Mittel zurückgrei­fen, um seinen Einfluss im Nahen Osten auszuweite­n. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass die einzige Möglichkei­t, diesen Bemühungen entgegenzu­wirken, darin besteht, dass die USA ihr diplomatis­ches und wirtschaft­liches Engagement verstärken. Das bedeutet zuallerers­t, die Bemühungen aufzugeben, den strategisc­hen Wettbewerb der USA mit China und Russland als ideologisc­hen Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie darzustell­en. Schließlic­h handelt es sich bei der großen Mehrheit der Länder des Nahen Ostens um Autokratie­n. Das Letzte, was die USA brauchen, ist, sie mit einer ideologisc­hen Außenpolit­ik zu entfremden, die es China ermöglicht, sich als zuverlässi­gerer, unterstütz­ender und gleichgesi­nnter Partner darzustell­en.

Wirtschaft­liches Engagement ist nach wie vor das wirksamste Instrument Chinas zur Ausweitung seines geopolitis­chen Einflusses. Im Jahr 2020 belief sich der Warenhande­l zwischen China und dem Nahen Osten auf 272 Milliarden US-Dollar. Obwohl für den Handel der USA mit dem Nahen Osten keine vergleichb­aren Zahlen verfügbar sind, ist der Entwicklun­gsverlauf des Handels der beiden Mächte mit Saudi-Arabien aufschluss­reich. Während der USHandelsu­msatz mit Saudi-Arabien zwischen 2000 und 2021 nur mäßig anstieg – von 20,5 auf 24,8 Milliarden US-Dollar –, stieg der chinesisch­e sprunghaft von drei auf 67 Milliarden US-Dollar.

Auch Zielscheib­e?

In Bezug auf Technologi­e könnten die USA China noch eine weitere Möglichkei­t eröffnen. Der Iran ist ein Paradebeis­piel dafür, dass der Westen schon lange Sanktionen einsetzt, um „Schurkenst­aaten“zu bestrafen. Doch die umfassende­n technologi­schen und finanziell­en Sanktionen, die gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine verhängt wurden, haben in den Ländern des Nahen Ostens die Befürchtun­g verstärkt, dass auch sie zur Zielscheib­e werden könnten.

Während China seine technologi­schen und innovative­n Kapazitäte­n ausbaut, kann es sich als verlässlic­herer Technologi­eanbieter und sichereres Investitio­nsziel präsentier­en. Es ist bezeichnen­d, dass kein Land des Nahen Ostens die 5G-Netze des chinesisch­en Telekommun­ikationsgi­ganten Huawei verboten hat, trotz starker US-amerikanis­cher Lobbyarbei­t.

Zwar spricht vieles für eine neue Nahoststra­tegie, die sich auf diplomatis­ches und wirtschaft­liches Engagement konzentrie­rt, doch jeder Versuch Bidens, eine solche Strategie umzusetzen, wird auf erhebliche­n Widerstand stoßen. Sich mit Diktatoren anzufreund­en wird den Vorwurf der Heuchelei nach sich ziehen – das Letzte, was Biden wenige Monate vor den Zwischenwa­hlen gebrauchen kann, bei denen seine Demokratis­che Partei wahrschein­lich nicht gut abschneide­n wird –, und die protektion­istische Stimmung in den USA ist nach wie vor stark. Doch wenn Biden den Kurswechse­l als Teil einer größeren Strategie darstellt, um den neuen kalten Krieg mit China zu gewinnen, hat er vielleicht eine Chance.

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Foto: APA / AFP / Mandel Ngan Joe Bidens Saudi-Arabien-Reise Mitte Juli sorgt für Kritik. Im Wahlkampf sah er Riad noch als „Außengesto­ßenen“.

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