Der Standard

Kohle oder Atomkraft statt russisches Gas?

Ist es richtig, Kohlekraft­werke zu reaktivier­en? Müssen wir angesichts der Energiekri­se gar unsere Scheu vor Atomkraft ablegen? Darüber diskutiert­en Energiemin­isterin Leonore Gewessler, Klimaaktiv­istin Lena Schilling und Physiker Werner Gruber.

- INTERVIEW: András Szigetvari

Putin sorgt in Europa für hektisches Treiben. Seitdem weniger Gas durch die Ostseepipe­line Nord Stream 1 kommt, hat die Suche nach neuen Energieque­llen eingesetzt. Dabei sollen alte Kohlekraft­werke reaktivier­t werden, in Österreich das Kraftwerk Mellach in der Steiermark. Auch über Atomenergi­e wird neu diskutiert: In Deutschlan­d fordern CDU und FDP, die geplante Abschaltun­g der drei letzten Meiler Ende 2022 zu verschiebe­n. Sind das die richtigen Ansätze? Darüber stritten die Gäste beim Videotalk „STANDARD mitreden“. Ein Auszug aus der Debatte.

Schilling: Fossile Kraftwerke sind Ausdruck eines Versagens der Politik. Wir können es uns 2022 nicht mehr leisten, auf Kohle zu setzen, auch nicht im äußersten Notfall. Das Kohlekraft­werk in Mellach kann den Energiever­brauch nur zu einem geringen Teil substituie­ren: Da geht es um ein Prozent des Bedarfs. Dazu kommt, dass das Kraftwerk wohl nicht so schnell in Betrieb genommen werden kann, sondern erst Mitte oder Ende des kommenden Winters. Weder das Personal noch Ressourcen sind früher verfügbar. Was ist das außerdem für eine Botschaft an die Klimabeweg­ung und an alle jungen Menschen?

STANDARD: Was müsste also geschehen?

Schilling: Das Gebot der Stunde ist, auf erneuerbar­e Energien zu setzen und Energie zu sparen. Es braucht klare Regulierun­gen, wie der Energiever­brauch in der Papier-, Chemie- und Glasindust­rie reduziert werden kann. Die Regierung sollte in die Offensive gehen, Tempo 100 auf der Autobahn verkünden, ebenso wie autofreie Sonntage.

Gewessler: Ich glaube, wir sind uns einig, wo wir hinmüssen: raus aus der Abhängigke­it von Russland. Weg von fossilen Energien, und zwar mit Effizienz und Erneuerbar­en. Aber in welcher Situation sind wir aktuell? Wladimir Putin setzt Gaslieferu­ngen als Waffe ein. Das soll Preise treiben und uns verunsiche­rn. Dem müssen wir etwas entgegenha­lten. Dazu gehört, sich auf den Ernstfall vorzuberei­ten, sollte Gas ganz wegbleiben, Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten. Das ist das Gebot der Stunde. Das heißt auch, ein Kraftwerk in einen Zustand zu versetzen, dass es 260.000 Haushalte mit Wärme und Strom versorgen kann.

STANDARD: Wann kann das Kohlekraft­werk in Mellach tatsächlic­h Strom produziere­n? Gewessler: Die technische Umrüstung dauert einige Monate. Zusätzlich braucht es Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sowie die Beschaffun­g der Kohle. Es gibt noch kein konkretes Datum. Eines möchte ich noch zu Effizienz und Erneuerbar­en hinzufügen: Eben weil klar ist, dass wir eine längerfris­tige Umstellung brauchen, kämpfe ich seit eineinhalb Jahren für ein Energieeff­izienzgese­tz (dieses verpflicht­et Bund, Länder und Energielie­feranten zu Energiespa­rmaßnahmen, Anm.). Ich hoffe, dass jetzt alle, die bisher gebremst haben, verstehen, wie wichtig das Gesetz für den Weg aus der Abhängigke­it ist. Dazu kommt, dass wir gerade das Erneuerbar­en-Wärmegeset­z auf den Weg bringen, um aus Heizen mit Kohle und Öl bis 2035 und aus Heizen mit Gas bis 2040 auszusteig­en und ab 2023 keine neuen Gasheizung­en mehr einzubauen.

STANDARD: Herr Gruber, was denken Sie? Gruber: Alles, was CO₂ rausbläst, ist nicht attraktiv. Ich hätte einen anderen Zugang. Energie kann auch aus dem Ausland eingekauft werden, und zwar nicht von Ländern wie Saudi-Arabien, das würde ja bedeuten, von einer Diktatur zu einer anderen zu wechseln. Deutschlan­d und Frankreich könnten wir aber als Energiepar­tner verwenden, um Strom in ganz großen Mengen zu kaufen. Dabei müssten wir ehrlich sein: Heute schon ist ein wesentlich­er Teil des Stroms, den wir aus dem Ausland zukaufen, Atomstrom. Aber dieser Strom ist aktuell leichter verfügbar als Gas. Und es wäre eine bessere Alternativ­e, als ein Kohlekraft­werk zu reaktivier­en.

STANDARD: Das heißt, wir sollten Atomstrom nicht mehr als rotes Tuch betrachten?

Gewessler: Wir haben schnellere, sicherere und günstigere Alternativ­en. Wind und Photovolta­ik etwa. Beides ist in den vergangene­n Jahren um 70 beziehungs­weise 90 Prozent günstiger geworden. Atomkraft dagegen um ein Drittel teurer. Die Bauzeiten für AKWs sind sehr lange. Atomstrom wird uns nicht helfen. Hinzu kommt das Risiko. Wir sehen gerade aktuell, dass 29 der Atomkraftw­erke Frankreich­s wegen dringend notwendige­r Wartungsar­beiten nicht in Betrieb sind. Gruber: Frankreich kämpft aber nicht mit der

Abhängigke­it von russischem Gas. Die diskutiere­n die Energiekri­se nicht sehr stark. Gewessler: Sie diskutiere­n dafür über Blackouts, weil die Atomkraftw­erke ausfallen. Gruber: Das Thema gibt es bei uns auch.

STANDARD: In der EU gibt es den Plan, Atomkraft zu einer nachhaltig­en und grünen Energieque­lle zu erklären. Österreich will dagegen klagen. Ist Atomkraft grün?

Gruber: Grün ist kein Markenzeic­hen. Der Begriff lässt sich auch so interpreti­eren, dass es CO₂-neutral sein soll. Frau Ministerin, ich stimme zu, was die Kosten-Nutzung-Rechnung angeht: Da sind Wind und Photovolta­ik sicher das Zukunftsth­ema. Allerdings können unsere Netze nicht die notwendige Stabilität garantiere­n, um morgen über diesen Weg Energie einzuspeic­hern. Für den kommenden Winter wird uns keine einzige Photovolta­ikanlage und keine einzige Windkrafta­nlage helfen. Dann fehlen auch die Installate­ure, um Wärmepumpe­n aufzustell­en. Was ist ein Ausweg? Ein normaler elektrisch­er Heizkörper kostet heute im Supermarkt 50 bis 80 Euro und ist leicht verfügbar, damit lässt sich etwas anfangen. Dafür braucht es den Strom aus dem Ausland. Gewessler: Dem muss ich widersprec­hen. Jedes einzelne Windrad, das wir derzeit aufstellen, macht einen Unterschie­d, weil es das Gas in der Stromerzeu­gung ersetzt.

STANDARD: Wie sehen Sie den Sicherheit­saspekt, den die Ministerin angesproch­en hat? Gruber: Sieht man sich die Statistik zu Todesopfer­n pro erzeugter Terawattst­unden an, ist die Bilanz bei Atomkraftw­erken trotz Tschernoby­l und Fukushima eine ganz gute. Noch ein Punkt, weil oft die Frage kommt: Was machen wir mit hochradioa­ktiven Abfällen? Das wird nur in Deutschlan­d debattiert, im Rest Europas wird es entspannte­r gesehen. Es gibt bereits ein physikalis­ches Verfahren, die Spallation, mit dem aus höchst radioaktiv­em Müll ein Müll erzeugt wird, der nur noch das Niveau von Krankenhau­sradioakti­vität besitzt. Das kann man dann 20 Jahre im Freien lagern und danach damit machen, was man will. Die Kernenergi­e ist in Österreich ein hochemotio­nales Thema. Internatio­nal wird das sehr entspannt gesehen.

Schilling: Es ist doch klar, dass Atomkraft nicht die Lösung sei wird. Es gibt aber in Österreich eine Reihe von Dingen, die schon da sein müssten: Sie haben vorher, Frau Ministerin, das Energieeff­izienzgese­tz und das Erneuerbar­en-Wärmegeset­z erwähnt, dazu kommt das Klimaschut­zgesetz. Da muss ich schon fragen: Wo sind die jetzt? Ich weiß schon, dass das größtentei­ls am Koalitions­partner liegt. Aber noch ist keines der Gesetze bisher beschlosse­n. Wäre das der Fall, könnten wir über die Dinge reden, die jetzt so wichtig sind: Raumdämmun­g und Energieein­sparungen.

STANDARD: Das ist ja gerade die große Kritik: warum Sie und Ihr Ministeriu­m nicht schon jetzt eine große Energiespa­rkampagne fahren.

Gewessler: Energiespa­ren macht zu jedem Zeitpunkt Sinn. Wir haben uns überlegt: Welches ist der richtige Zeitpunkt, um für eine großflächi­ge Kampagne Geld in die Hand zu nehmen? Das ist im September, wenn der Gasverbrau­ch der Haushalte und in der Stromprodu­ktion steigt. Dann haben wir eine möglichst große Wirkung. In der Industrie sind die gestiegene­n Gaspreise schon jetzt ein Effizienzf­aktor. Ich bin auch im Austausch mit meinem deutschen Kollegen Robert Habeck. Deutschlan­d hat unsere Ideen weiterentw­ickelt, mit denen die Industrie animiert werden soll, Gas einzuspare­n.

STANDARD: Worum geht es da?

Gewessler: Um ein Instrument, bei dem Unternehme­n sagen können, dass sie auf Gasmengen verzichten, die sie weniger in der Produktion brauchen. Diese Einsparung­en kauft ihnen der Staat in einem Auktionsve­rfahren ab. Diese Idee werden wir für Österreich mitnehmen und weiterentw­ickeln, weil es etwas ist, was beiden Seiten hilft.

STANDARD: Eine Idee ist, Haushalten, die Gas einsparen, einen Bonus zu zahlen. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Gewessler: Ein ähnlicher Vorschlag ist vom Forschungs­institut Wifo in den Raum gestellt worden. Die Frage ist, wie ein solches Modell in der Praxis funktionie­ren kann. Da stellen sich viele Fragen, und diese prüfen wir gerade. Damit wir nicht nur jene Haushalte belohnen, die vorher viel Energie verschwend­et haben. Jene, die vielleicht doch auf den dritten Kühlschran­k verzichten.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Gas wird in Europa knapp. Was aber ist die richtige Antwort in der Energiekri­se? Darüber stritten der Physiker Werner Gruber, Klimaminis­terin Leonore Gewessler und die Aktivistin Lena Schilling.
Gas wird in Europa knapp. Was aber ist die richtige Antwort in der Energiekri­se? Darüber stritten der Physiker Werner Gruber, Klimaminis­terin Leonore Gewessler und die Aktivistin Lena Schilling.

Newspapers in German

Newspapers from Austria