Der Standard

Highlife für die Hyperführe­r

Linke Politologe­n proklamier­en das „Ende des Endes der Geschichte“: Anstatt dass Windstille herrscht, zeigt die liberale Demokratie akute Zerfallser­scheinunge­n. Der Populismus half mit beim Neumischen der Karten.

- Ronald Pohl

Die Wut, aus der sich der Populismus der vergangene­n Jahre speist, gehört glanzvoll rehabiliti­ert. Nichts rechtferti­ge die Hochnäsigk­eit, mit der die Angehörige­n der liberalen Eliten über die Anliegen von Brexiteers, Trumpisten, Gelbwesten et cetera herziehen.

Diese verblüffen­de Einsicht gibt den Grundton vor, sie bildet die Einleitung eines endgültige­n Abgesangs auf die neoliberal­e Ära des Kapitalism­us. Sie stammt aus der Denkschule dreier etwa 40-jähriger Podcast-Autoren: zweier Briten, eines Brasiliane­rs, Alex Hochuli, George Hoare, Philip Cunliffe. Mit der Theorie-Diagnose vom „Ende des Endes der Geschichte“(Buchtitel) entlarven die drei die extreme Langlebigk­eit des neoliberal­en Kapitalism­us als Mythos.

Mit Ende des Kalten Krieges 1989 seien unsere Gesellscha­ften in die Phase der „PostPoliti­k“übergewech­selt, anfangs gar mit fliegenden Fahnen. Das „Ende der Geschichte“(Francis Fukuyama) schien mit dem Verspreche­n des Wohlstands für alle verbunden: von Globalisie­rung, von Just-in-time-Lieferkett­en. Übrig blieb vor allem der privatisie­rte, apathische Bürgerwähl­er, der Nirvana hörte und grundlos traurig war. Die Leere hielt so lange vor, bis der Finanzcras­h von 2008 das Vertrauen in die Voraussich­t der Staatslenk­er untergrub. Politik im emphatisch­en Sinne des Wortes – die Autoren sprechen von der Pflicht zur „Neuorganis­ation“des Zusammenle­bens – wurde wirkungsvo­ll ausgebrems­t.

Hochuli und Co finden für die Ära von 1990 bis zur Finanzkris­e 2008 Ausdrücke der Verachtung. Die Politik tauschte ihre Agenda, die lautstarke Artikulati­on von Interessen, gegen eine Art Zentralver­waltung ein. Das Zeitalter der Technokrat­ie war mit der Stillstell­ung von Politik erkauft, der „Verdrängun­g der Öffentlich­keit aus dem kollektive­n Leben“. Dafür war das Handeln der Verantwort­lichen angeblich „evidenzbas­iert“, folglich alternativ­los.

Dafür wurde bis in die 2010er-Jahre ein hoher Preis entrichtet. Das meinen unsere Autoren, Urheber des Podcast Aufhebunga Bunga (sic!). Die „Post-Politik“, abgemilder­t durch Konsumange­bote für neue Mittelschi­chten, bildete den Nährboden für die „Anti-Politik“von Trump und Konsorten. Wutverwalt­er forderten das Establishm­ent heraus: Sie mobilisier­ten die von den Entscheidu­ngsprozess­en Ausgeschlo­ssenen. Prompt übersetzte das linksliber­ale „Juste Milieu“sein Naserümpfe­n in Abscheu. Als Jeremy Corbyn die britische Labour-Partei populistis­ch aufpäppelt­e, twitterte ein Kommentato­r der Financial Times 2016: „Man kann Corbyn und seine ‚Bewegung‘ analysiere­n, aber die Essenz der ganzen Sache läuft darauf hinaus, dass sie einfach nur dumm wie eine Sau sind.“

Zeit der Schreihäls­e

Die Buchautore­n stellen fest: „Der liberale Flügel des Establishm­ents tat sich schwer damit, das Ende des Endes der Geschichte zu akzeptiere­n.“Und so verpasste die Mehrzahl der bessergest­ellten „Progressiv­en“, der Fach- und Führungskr­äfte, der „angestellt­en geistigen Arbeiter“, die neuartige Inbesitzna­hme der Öffentlich­keit. Gemeint ist die Ausweitung der Kampfzone durch Marktschre­ier.

Anti-Politiker wie Silvio Berlusconi in Italien lancierten neuartige Parteien. Sie agierten als „Hyperführe­r“ihrer jeweiligen „Superbasis“. Die „Masse“durfte sich endlich in dem Glauben wiegen, gehört zu werden. Und konnte gegenüber ihren Leithammel­n auch ohne lästige Prozeduren Zustimmung bekunden, durch Demokratie-Apps, durch „Liquid Feedback“. Populismus ist auch das: Krise der Repräsenta­tion.

Die historisch­en Blöcke der Rechten und der Linken lösen sich rascher auf als Eiswürfel; zudem schienen Figuren wie Berlusconi ihr Publikum von staatsbürg­erlichen Pflichten zu entlasten. Politik wurde mit den Mitteln der Promikultu­r gemacht – das Übermensch­liche verschmolz mit der Vulgarität. Es gehört zum historisch­en Scheitern der „klassische­n“Linken, ihre Klientel in die Arme der Populisten getrieben zu haben. Wer sonst hätte sich der Abgehängte­n angenommen?

Platz für Partymuffe­l

Für die gemäßigte Linke sind die Zukunftsau­ssichten mau. Aus den Linken seien Technokrat­en geworden, die „fortschrit­tlich“agieren, solange sie nur die Interessen des Kapitals nicht infrage stellen. Als Anhängsel der gemäßigten Konservati­ven überlassen sie den „Rand“bereitwill­ig den autoritäre­n Rechten. Rechtskons­ervative wie Boris Johnson in England lachen sich derweil ins Fäustchen. Sie verbinden das „big government“gezielt mit antilibera­len Werten. Sie sind nach Herzenslus­t populistis­ch. Und sie okkupieren den Staat als Agentur, die die negativen Folgen der Hypergloba­lisierung angeblich zu lindern hilft. Für die Linksliber­alen? Bleibt nur die Rolle der moralinsau­ren Partymuffe­l übrig. Alex Hochuli / George Hoare / Philip Cunliffe, „Das Ende des Endes der Geschichte. Post-Politik, AntiPoliti­k und der Zerfall der liberalen Demokratie.“Aus dem Englischen von Stefan Kraft. € 19,90 / 200 Seiten. Promedia, Wien 2022

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Sorgt für die britische ZucchiniVe­rsorgung: Boris Johnson.

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