Der Standard

Deckeln wir die Zinsen und machen weiter Schulden!

Die jüngsten Ideen der EZB würden die Eurozone in einen gefährlich­en Teufelskre­is führen. Ein Zinsdeckel käme Italien zwar recht, würde aber die Inflations­bekämpfung erschweren. Und die muss jetzt das Ziel der Währungshü­ter sein.

- Heike Lehner HEIKE LEHNER ist Ökonomin beim wirtschaft­sliberalen Thinktank Agenda Austria.

Wieder einmal muss Corona als Begründung herhalten: „Die Pandemie hat dauerhafte Schwachste­llen in der Wirtschaft des Euro-Währungsge­biets hinterlass­en, die zu einer ungleichmä­ßigen Übertragun­g der Normalisie­rung unserer Geldpoliti­k auf die einzelnen Länder beitragen“, heißt es etwas verschwurb­elt in einer Erklärung der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) vom 15. Juni. Übersetzt heißt das: Die jüngst beschlosse­ne Erhöhung der Leitzinsen um bescheiden­e 0,25 Prozent wirkt sich in den Mitgliedsl­ändern der Währungszo­ne unterschie­dlich aus.

Vor allem das hochversch­uldete Italien bekam umgehend ein Problem. Die Zinsen italienisc­her ZehnJahres-Anleihen stiegen auf vier Prozent, das höchste Niveau seit 2014. Auf Dauer wäre das für Italien kaum zu stemmen. Überlegt wird deshalb, die Differenze­n in der Zinsentwic­klung zu begrenzen. Doch so ein „Zinsdeckel“wäre ein weiterer schwerer Eingriff der Notenbank in die Marktmecha­nismen – mit möglicherw­eise massiven Auswirkung­en auf das langfristi­ge Fortbesteh­en der Währung. Diesen Fehler darf die EZB nicht schon wieder machen.

Falsche Anreize

Tatsächlic­h greift es zu kurz, die Pandemie für die aktuellen Probleme einiger Euroländer verantwort­lich zu machen. Corona hat die Schwierigk­eiten vergrößert, das stimmt. Aber die Wurzel des Übels liegt viel tiefer. Die Hauptveran­twortung trägt nicht das Virus, sondern die falschen Anreize der EZB.

Wichtigste Aufgabe der europäisch­en Notenbank ist die Sicherung der Preisstabi­lität. Laut EZB-Definition ist dieses Ziel erreicht, wenn die Inflations­rate bei zwei Prozent liegt. Weil die Teuerung in der Eurozone jahrelang deutlich unter ihrem Ziel lag, konnte die EZB in großem Stil Staatsanle­ihen kaufen und damit immer noch mehr Geld in Umlauf bringen. Das nutzte den Regierunge­n der Euroländer, weil sie für neue Schulden kaum Zinsen bezahlten. Insbesonde­re die bekannten Sorgenkind­er wie Italien profitiert­en von dieser Politik. Solange die Inflation niedrig blieb und die Zinsen faktisch bei null lagen, waren die Schulden egal. Es gab deshalb auch keinen Anreiz für die nationalen Regierunge­n, ihre Staatshaus­halte in Ordnung zu bringen. Nun ist eingetrete­n, wovor viele Ökonominne­n und Ökonomen jahrelang gewarnt hatten: Die Zinsen steigen, die Schulden werden zur massiven Last.

Stark unterschie­dliche und sich schnell verändernd­e Zinsen innerhalb der Währungsun­ion sind tatsächlic­h ein Problem. Denn sie führen dazu, dass die Geldpoliti­k der EZB in den einzelnen Eurostaate­n unterschie­dlich wirkt, was die Bekämpfung der Inflation schwierige­r macht. Wer nun aber denkt, man könne diese Unterschie­de einfach durch einen Deckel zum Verschwind­en bringen, übersieht das Wesentlich­e: Zinsen senden wichtige Signale.

Die Höhe von Anleihezin­sen beruht unter anderem auf der Einschätzu­ng der Anleger, ob es einem Staat möglich sein wird, seine Schulden zurückzuza­hlen. Je höher das Risiko, dass dies nicht gelingt, umso höher die Zinsen, die verlangt werden. Ein Ausschalte­n dieser Marktmecha­nismen würde langfristi­g dazu führen, dass die EZB einen immer größeren Teil der risikoreic­hen Staatsschu­lden ankaufen müsste, um die Zinsen niedrig zu halten. Es würde immer schwierige­r werden, aus diesem Modus wieder auszusteig­en.

Schwerer Entzug

Wie dieser Teufelskre­is funktionie­rt, sieht man schon jetzt. Einige Länder befinden sich seit Jahren in der Abhängigke­it der de facto bedingungs­losen Anleihekäu­fe der EZB. Dass der Entzug nicht leicht sein würde, war vorauszuse­hen. Wenn die Notenbank jetzt wieder eingreift, verlängert und verschärft sie damit nur die Abhängigke­it der Schuldenst­aaten. Eine Rückkehr zu vernünftig ausgestalt­eten Fiskalrege­ln würde in weite Ferne rücken.

Ein Zinsdeckel würde die Inflations­bekämpfung schwerer, wenn nicht gar unmöglich machen. Leitzinser­höhungen können nicht mit künstlich billiger Staatsvers­chuldung einhergehe­n. Sollte Italien wirklich ins Trudeln geraten, gäbe es andere Möglichkei­ten, helfend einzugreif­en. Als Beispiel sei hier das OMT-Programm genannt, mit dessen bloßer Ankündigun­g Mario Draghi im Jahr 2012 die Märkte beruhigen konnte. OMT steht für Outright Monetary Transactio­ns. Es handelt sich um ein Anleihekau­fprogramm, das nur in Kraft treten kann, wenn der betreffend­e Staat bereits die Rettungsfa­zilitäten des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us in Anspruch genommen hat.

Ein Zinsdeckel suggeriert, dass die Mechanisme­n des Markts ohne Konsequenz­en ignoriert oder ausgeschal­tet werden können. Doch das ist falsch. Mittelfris­tig würde dieser Kurs die Probleme nur verschlimm­ern und die Eurozone noch instabiler machen. Der aktuelle Fokus der EZB muss darauf liegen, die Preise wieder in den Griff zu bekommen. Alles andere ist schlicht gerade nicht ihre Aufgabe und bringt die gesamte Währungsun­ion in Gefahr.

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Foto: EPA / Ettore Ferrari Die Zinsen steigen, die Schulden werden zur Last. Keine guten Aussichten für Italiens Premier Mario Draghi.

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