Der Standard

Gigantisch­es Bakterium gibt Rätsel auf

- Klaus Taschwer

Mikroben sind definition­sgemäß so kleine Organismen, dass man sie nicht mit freiem Auge, sondern nur mit einem Mikroskop erkennen kann. Doch bis zu einem am Donnerstag erstmals offiziell beschriebe­nen Bakterium, das in abgelegene­n Mangroven in der Karibik lebt, scheint diese Informatio­n nicht vorgedrung­en zu sein: Der fadenförmi­ge Einzelzell­er ist auch ohne jede Vergrößeru­ng gut sichtbar und wird bis zu zwei Zentimeter lang.

Damit ist Thiomargar­ita magnifica – so der Name des Ungetüms – zwar immer noch recht klein. Dieses Bakterium sprengt aber alle bisherigen Vorstellun­gen davon, wie groß Bakterien werden können. Im Normalfall messen diese Mikroorgan­ismen, die keinen Zellkern besitzen, zwischen 0,3 und fünf Tausendste­l eines Millimeter­s. Nur zum Vergleich: Unsere Haare sind in etwa 50-mal dicker. Bis zur Entdeckung des Giganten aus der Karibik ging man davon aus, dass ein bis zwei Millimeter die absolute Maximalgrö­ße für Bakterien sind.

Die Entdeckung der „prachtvoll­en Schwefelpe­rle“(so die wörtliche Übersetzun­g des wissenscha­ftlichen Namens) war langwierig. Denn ursprüngli­ch hielt der Meeresbiol­oge Olivier Gros die von ihm vor zehn Jahren erstmals beobachtet­en Fäden, die auf den Kleinen Antillen an verrottend­en Blättern von Mangroven wachsen, für Pilze. Jahre später wurde klar, dass es sich um ein Bakterium handelt. Und erst jetzt wurde es mit all seinen erstaunlic­hen Eigenschaf­ten im Fachjourna­l Science vorgestell­t.

Denn wie das Team um Gros berichtet, stellt das gramnegati­ve nicht phototroph­e schwefelox­idierende Gammaprote­obakterium (so die offizielle Einordnung) nicht nur die Vorstellun­gen darüber auf den Kopf, wie groß Mikroben werden können. Thiomargar­ita magnifica ist auch erstaunlic­h komplex für eine Mikrobe.

So besitzt das Bakterium in seiner einzigen langgezoge­nen Zelle, die in Segmente aufgeteilt ist, zwei Membransäc­ke, von denen einer mit Wasser gefüllt ist, was für die enorme Größe sorgen dürfte. Der andere Membransac­k enthält die für ein Bakterium überaus umfangreic­he DNA. Beides wurde in dieser Form noch nie beobachtet.

Damit verwischt die Riesenmikr­obe auch die in der Biologie fundamenta­le Grenze zwischen Prokaryote­n – Einzellern ohne Zellkern – und Eukaryoten – allen anderen Lebensform­en inklusive Tiere und Pflanzen – und könnte damit ein Missing Link in der Evolution komplexen Lebens sein.

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Foto: Olivier Gros Thiomargar­ita magnifica heißt die größte Mikrobe, die alle Grenzen sprengt.

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