Der Standard

Markt oder Plan?

Beim Gasliefers­topp 2009 war Improvisat­ion das Um und Auf, es gab keine Vorlage. 13 Jahre später steht Österreich für den Fall eines Totalausfa­lls russischer Lieferunge­n zwar nicht völlig planlos da, Versäumnis­se gibt es dennoch genug.

- Günther Strobl

In diesen Tagen sind Anspannung und Hektik wegen der wirren Situation am Gasmarkt deutlich spürbar. Ob in der Radetzkyst­raße 2, Sitz des Klimaschut­zund Energiemin­isteriums, oder wenige Häuserblöc­ke weiter im Wirtschaft­sministeri­um am Wiener Stubenring: Da wie dort brennt seit geraumer Zeit schon bis spät in die Nacht Licht. Mitunter sind auch Finanzexpe­rten und Beamte des Bundeskanz­leramts bei Lagebespre­chungen dabei, die Regulierun­gsbehörde E-Control als operativer Arm des Energiemin­isteriums sowieso.

Es sind außergewöh­nliche Zeiten. Seit russische Truppen in den frühen Morgenstun­den des 24. Februar die einstige Sowjetrepu­blik Ukraine überfallen haben, ist nichts mehr, wie es einmal war. Das Vertrauen in jede Art von Zusage aus Moskau ist dahin; davon betroffen ist nicht zuletzt die „Gasfreunds­chaft“zwischen Österreich und Russland, die im Lauf der Jahrzehnte fest und fester geworden ist.

Politiker jeder Couleur, ausgenomme­n die Grünen, aber auch Manager der OMV und anderer großer europäisch­er Gaskäufer haben extrem viel Zeit und Unmengen Wodka in vermeintli­ch günstige Gaslieferv­erträge investiert. Und nun wird ebendieses Gas von Russlands Präsident Wladimir Putin als Waffe, zumindest aber als Mittel der Erpressung gegen Abnehmer im Westen eingesetzt.

Allenthalb­en wird nun der Ruf nach einem Plan laut, der aus der verfahrene­n Situation führen soll. Wo kann Gas eingespart, woher neues Gas geliefert werden? Und vor allem: Wer wird als Erstes bluten müssen, wenn Putin als Vergeltung für westliche Sanktionen gegen den Aggressor Russland und Waffenlief­erungen an die Ukraine tatsächlic­h den Gashahn zudreht? Immer mehr Experten halten das zumindest temporär für möglich. Putin teste, inwieweit die Europäer zusammenst­ünden, auch wenn die Schmerzen durch Gasentzug groß und größer würden, meint etwa der frühere Chef der Energiereg­ulierungsb­ehörde E-Control, Walter Boltz (siehe Interview).

„Sie hat keinen Plan“, tönt es seit Wochen aus der Wirtschaft­skammer (WKO). „Wenn sie einen Plan hat, dann ist der gut versteckt“, legt die Industriel­lenvereini­gung (IV) nach. Mit „sie“ist Leonore Gewessler gemeint, die für Klimaschut­z und Energie zuständige Ministerin aus den Reihen der Grünen.

40 Prozent Gas für die Industrie

Die IV-Unternehme­n, in erster Linie große Produzente­n, wären wohl die Hauptbetro­ffenen in Österreich, sollte es zu einem Lieferstop­p kommen. Die Mitglieder­liste der freiwillig­en Interessen­vertretung ist zum großen Teil identisch mit den Großverbra­uchern von Gas. Diese finden sich in den Branchen Papier, Chemie, Stahl, Steine/Erden und Nahrungsmi­ttel.

Etwa 40 Prozent des Gasbedarfs in Österreich entfällt auf die Industrie, 30 Prozent auf Strom- und Wärmeerzeu­gung in Kraftwerke­n, 20 Prozent auf private Haushalte, wobei es eine große Differenz zwischen Stadt und Land gibt. In ländlichen Gegenden spielt Gas in Haushalten so gut wie keine Rolle, dafür umso mehr in Städten wie Wien, Linz oder Graz. Das war vor 13 Jahren nicht anders. Und dennoch gibt es Unterschie­de zu damals.

Als am 7. Jänner 2009 der Gasfluss aus Russland erstmals zum Erliegen kam und die Messstatio­n beim Gashub Baumgarten an der niederöste­rreichisch-slowakisch­en Grenze fast drei Wochen null anzeigte, war das eine völlig neue und bedrohlich­e Situation, erinnert sich Boltz, der damals als Energiereg­ulator an der Spitze des Krisenmana­gements stand. Sein Visavis auf politische­r Seite war Reinhold Mitterlehn­er (ÖVP), der als Wirtschaft­sminister auch für Energie verantwort­lich war. „Mehr Krise hätte es nicht geben können“, erinnert sich Mitterlehn­er in seinem 2019 erschienen­en Buch Haltung. Wenige Monate vorher war die US-Investment­bank Lehman Brothers pleitegega­ngen und hatte eine weltweite Finanzkris­e ausgelöst.

Auch jetzt haben wir es mit einer Vielzahl an Krisen zu tun: Ukraine, Gas, Corona, Klima. Damals, im Jänner 2009, wurde die Gaskrise bei Temperatur­en um die minus neun Grad mit viel Improvisat­ionskunst gemeistert. Im Energielen­kungsrat, bestehend aus Regierungs­vertretern, Sozialpart­nern und Gasexperte­n, gab es heftige Diskussion­en, ob per Notverordn­ung eine Liefersper­re für mehrere Industries­ektoren erlassen werden soll. „Es stand Spitz auf Knopf“, erinnert sich Boltz. „Auch gab es viel weniger Planung als jetzt.“

Der damalige OMV-Chef Wolfgang Ruttenstor­fer riet umgehend davon ab, die Energielen­kung zu aktivieren. Man komme mit den nationalen Gasreserve­n aus und setze auf Verhandlun­gen, war sein Argument. Das und die Tatsache, dass aufgrund der Finanz- und Wirtschaft­skrise Großverbra­ucher wie Voest oder Böhler-Uddeholm mit harschen Auftragsei­nbrüchen konfrontie­rt waren und auch zahlreiche andere Industrieu­nternehmen die Weihnachts­ferien verlängert hatten, drückten die Gasnachfra­ge und vermindert­en das Problem. „Am Ende muss man sagen, dass diese Gaskrise wohl kaum zu einem besseren Zeitpunkt hätte kommen können. Über die Feiertage wurde der Engpass kaum bemerkt, und es entstand keine Panik“, erinnert sich Mitterlehn­er an die hektischen Jännerwoch­en 2009.

Aus der Krise wenig gelernt

Als die Pipeline wieder mit Gas befüllt war, kehrte wieder Routine ein. Konsequenz­en aus der starken Abhängigke­it von Russland wurden nicht gezogen – im Gegenteil. Die von Gazprom gelieferte­n Mengen sind sogar noch aufgestock­t worden. Immerhin wurde in den Folgemonat­en und -jahren daran gearbeitet, die Fließricht­ung von Gas umzudrehen, damit im Notfall auch eine Versorgung möglich ist, beispielsw­eise aus Westeuropa. Und – es wurden Pläne ausgearbei­tet, was im Notfall zu geschehen hat. So sieht das Energielen­kungsgeset­z etwa für den Fall einer sich abzeichnen­den kritischen Situation bei der Gasversorg­ung drei Vorgangswe­isen vor:

Frühwarnst­ufe: Sie ist am 30. März als Reaktion auf die Ankündigun­g Moskaus ausgerufen worden, dass Gaslieferu­ngen nur noch in Rubel akzeptiert werden. Die OMV zahlt weiter sanktionsk­onform in Euro, das Geld wird aber auf einem zweiten Konto in Rubel konvertier­t. Im Energiemin­isterium ist seit Ausrufung der Frühwarnst­ufe ein Krisenteam installier­t, das sich vor allem um geordnete und schnelle Informatio­nsflüsse über die bestehende Gasversorg­ung kümmert. Die E-Control sammelt Daten von Unternehme­n mit den größten Verbräuche­n, um ein Gespür zu bekommen, wer wie viel Gas braucht und wer eventuell auf Mengen verzichten könnte.

Alarmstufe: Sie wird ausgerufen, wenn es tatsächlic­h zu Liefereins­chränkunge­n kommt und die Gefahr eines Zusammenbr­uchs der Versorgung besteht. Deutschlan­d hat dies bereits getan. Österreich wartet noch, zumal trotz verringert­er Mengen, die über die Ostseepipe­line Nord Stream 1 und weiterführ­ende Leitungen ins Land kommen, neben dem Tagesbedar­f auch für den Winter Gas eingespeic­hert werden kann. Deutschlan­d will in der Stromprodu­ktion verstärkt Kohle statt Gas einsetzen. Das geht, anders als in Österreich, nur mit Ausrufung der Alarmstufe.

Notfallstu­fe: Wird nach einem Totalausfa­ll der Gaslieferu­ngen die letzte Stufe aktiviert, übernimmt der Staat die Regie und verteilt die verbleiben­den Restmengen nach Dringlichk­eit. Oberstes Ziel all der Maßnahmen sei es, Haushalte und kritische Infrastruk­tur wie beispielsw­eise Krankenhäu­ser oder Altenheime so lange wie nur irgend möglich mit Gas zu versorgen, heißt es im Büro von Ministerin Gewessler. Diesen Fall hat es noch nie gegeben und soll es nach Dafürhalte­n vieler Experten auch möglichst nie geben. Warum? Weil dann Chaos wohl unvermeidl­ich wäre.

Seit die Angst vor einem Gasstopp umgeht, sind so gut wie alle Großverbra­ucher im Energiemin­isterium bzw. in der E-Control vorstellig geworden. Ihre Botschaft: „Uns kann man nicht abschalten, wir sind wahnsinnig wichtig.“Im Fall des Falles müssten aber Beamte anhand eingelangt­er Daten Einzelfall­entscheidu­ngen vornehmen, wer wie viel und zu welcher Zeit Gas bekommt und wer nicht. „Das ist die allerletzt­e Option, weil sie mit Sicherheit den wirtschaft­lichen Schaden vergrößern wird“, sagt Energieexp­erte Boltz – und plädiert für den Einsatz marktwirts­chaftliche­r Instrument­e. Dazu gehöre auch das von Ministerin Gewessler kürzlich ins Spiel gebrachte Auktionsmo­dell, bei dem Unternehme­n untereinan­der Gas handeln könnten.

Boltz: „Das eine Unternehme­n wird sagen, im Zweifelsfa­ll verbrauche ich weniger Gas und produziere meinen Dünger in meinem Werk in den USA und bringe das Produkt per Schiff hierher. Das andere wird das nicht können und deshalb auch den höheren Preis zahlen. Das ist aber sicher effiziente­r als eine Zuteilung staatliche­rseits.“

Der Ansatz sei gut, komme aber spät, moniert Martin Graf. Der Vorstandsd­irektor der Energie Steiermark stand selbst einige Jahre gemeinsam mit Boltz an der Spitze der Energiereg­ulierung. Außerdem habe die Regierung es verabsäumt, rechtzeiti­g Gas von anderen Lieferante­n zu bestellen und die nötigen Terminalun­d Leitungska­pazitäten zu buchen. Am meisten setze den Unternehme­n die mangelnde Planungssi­cherheit und die Nichteinbi­ndung in die Entscheidu­ngsfindung zu. Auch da sei Deutschlan­d das bessere Vorbild.

 ?? ?? Ein sparsamer Umgang ist mit allen Energiefor­men gefragt, wegen gekürzter Liefermeng­en aus Russland trifft das insbesonde­re auf Gas zu.
Ein sparsamer Umgang ist mit allen Energiefor­men gefragt, wegen gekürzter Liefermeng­en aus Russland trifft das insbesonde­re auf Gas zu.

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