Der Standard

„Die Speicher müssten randvoll sein“

Ex-Energiereg­ulator Walter Boltz sagt, Österreich müsse sich auf einen totalen Gasliefers­topp im Spätsommer einstellen.

- INTERVIEW: Günther Strobl WALTER BOLTZ (Jahrgang 1953) war von 2001 bis 2016 Leiter der Energiereg­ulierungsb­ehörde E-Control. Jetzt ist er als Strategieb­erater im Bereich Energie tätig.

Der Ex-Chef der EControl, Walter Boltz, geht mit der Regierung hart ins Gericht. Das Ausmaß der Krise sei nicht erkannt oder sei verdrängt worden. In seiner Zeit als Leiter der Regulierun­gsbehörde habe er mehrmals vor der großen Abhängigke­it von russischem Gas gewarnt, sei aber nicht gehört worden.

Standard: Der nächste Winter scheint noch fern, kommt aber gewiss. Fraglich ist, ob und in welcher Menge dann noch Gas aus Russland kommt. Was sagt Ihr Bauchgefüh­l?

Boltz: Ein bisschen Gas wird wohl noch kommen. Wir müssen unsere Planungen aber darauf einstellen, dass ab August oder September die Gaslieferu­ngen stoppen.

Standard: Sie meinen Totalausfa­ll? Boltz: Vielleicht gibt es ein paar Ausnahmen, dass etwa die Türkei, Serbien und Ungarn noch Gas bekommen, die Liebkinder von Russland, sonst aber kaum noch wer.

Standard: Auch nicht Österreich? Boltz: Auch wenn wir keine Waffen in die Ukraine schicken, glaube ich nicht, dass eine Ausnahme gemacht wird. Mitgehange­n, mitgefange­n. Das Handeln Russlands wird auch stark davon abhängen, wie Europa auf diese Provokatio­n reagiert.

Standard: Was meinen Sie damit? Boltz: Je geschlosse­ner die EU gegenüber Moskau auftritt, desto eher werden die Russen weiter Gas liefern. Je mehr die Front aber bröckelt, desto mehr wird Moskau motiviert, die Schrauben noch fester zu ziehen in der Hoffnung, den einen oder anderen EU-Mitgliedss­taat doch auf seine Seite zu bringen.

Standard: Die Geschichte von fehlenden Ersatzteil­en als Grund für die verringert­en Gaslieferu­ngen über Nord Stream 1 haben Sie nie geglaubt? Boltz: Nein, das ist Schwachsin­n. Wartungsar­beiten im Sommer sind nichts Besonderes. Dass diese Wartung aber genau dann zu technische­n Problemen führt, wenn vier Regierungs­chefs der EU (Deutschlan­ds Olaf Scholz, Frankreich­s Emmanuel Macron, Mario Draghi aus Italien und Klaus Iohannis aus Rumänien, Anm.) in Kiew sind, an den Zufall glaubt wirklich nur das Christkind.

Standard: Was könnte die Ratio dahinter sein? Russland ist auf Einnahmen aus dem Gasverkauf angewiesen. Und mit dem Getöse ist es Moskau zumindest vorerst gelungen, die Preise wieder nach oben zu schnalzen. Boltz: Ich glaube, die ultimative Zielsetzun­g Moskaus ist es, die europäisch­e Einheitsfr­ont zu sprengen, Waffenlief­erungen an die Ukraine zu verhindern und die Sanktionen weg-, zumindest keine neuen aufgebrumm­t zu bekommen. Solange die Russen glauben, dies durch einen Lieferstop­p zu erreichen, ist es ihnen sicher wert, dass sie ein, zwei Monate auf Gaserlöse verzichten. Wenn sie hingegen den Eindruck haben, es tut sich nichts, wird für sie die finanziell­e Komponente wichtiger.

Standard: Unsere Speicher sind zu knapp 43 Prozent gefüllt. Das ist nicht nichts, aber offenbar zu wenig, um über den Winter zu kommen.

Boltz: Die Speicher müssten randvoll sein. Wir haben zwar etwas Eigenerzeu­gung

in Österreich, so um die 900 Millionen Kubikmeter im Jahr, ein bisschen etwas wird man auch am europäisch­en Markt bekommen. Beim Gas in den Speichern weiß man allerdings nicht, wer der Inhaber ist. Es ist nicht gesagt, dass Händler das eingespeic­herte Gas für Kunden in Österreich nutzen. Möglicherw­eise verkaufen sie es um viel Geld anderswohi­n.

Standard: Mit der Energielen­kung, die dann wohl in Kraft treten würde, gäbe es dann schon Instrument­e, Gasexporte zu untersagen, oder?

Boltz: Diese Option gibt es, die muss man dann aber tatsächlic­h ziehen, mal sehen.

Standard: Man hat den Eindruck, die deutsche Regierung ist besorgter als die österreich­ische?

Boltz: Ich habe das Gefühl, dass die deutsche Regierung das Problem ernster nimmt und seriöser an die Probleme herangeht. In Österreich war man bis vor ein, zwei Wochen eher beschwicht­igend unterwegs – im Sinne von „Wir sind die guten Kleinen, uns wird schon nichts passieren“.

Standard: Weil man am Prinzip Hoffnung hängt, kurzfristi­g keine Alternativ­en zu russischem Gas sieht? Boltz: Die Deutschen haben auch nicht so wahnsinnig viele Alternativ­en, haben sich aber von Tag eins an wesentlich mehr bemüht. Sie haben das Problem analysiert und Maßnahmen gesetzt. Das beginnt bei Trivialitä­ten wie einem Sparaufruf. Warum Energiemin­isterin Leonore Gewessler nicht schon im März einen Appell an die Konsumente­n und Konsumenti­nnen gerichtet hat, ist mir unerklärli­ch.

Standard: Aus Angst vor der Reaktion der Wählerinne­n und Wähler? Boltz: Ein Aufruf zum Energiespa­ren sollte doch für eine Grüne nicht rufschädig­end sein, denke ich.

Standard: Sehen Sie bei sich selbst Versäumnis­se? Schließlic­h waren Sie viele Jahre Chef der E-Control. Boltz: Ich habe mehrmals auf den hohen Anteil von russischem Gas hingewiese­n und gesagt, dass das ungesund ist. In der Politik hat man das nicht so gerne gehört. Vielleicht hätte ich lauter schreien sollen.

 ?? Foto: privat ?? Boltz: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass ab Herbst die Gaslieferu­ngen stoppen.“
Foto: privat Boltz: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass ab Herbst die Gaslieferu­ngen stoppen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria