Der Standard

Haus der Traum

- Martin Putschögl, Bernadette Redl, Franziska Zoidl

Corona hat die Immobilien­preise weiter angeheizt. Dann kam der Ukraine-Krieg, und bestimmte Baustoffe wurden knapp und damit teurer. Nun steigen die Zinsen. Auf dem Weg zum Eigentum gibt es derzeit so viele Herausford­erungen wie noch nie. Im August kommt eine weitere Hürde dazu.

Ein vorgezogen­es Erbe in Form eines Grundstück­s, 2500 Quadratmet­er in einer Vorarlberg­er Stadtgemei­nde. Nur das Haus fehlte noch. Also ließen sich Maria und Stefan S., die in Wien leben, Ende 2020 von einer Baufirma ein Angebot machen. Ihre gerade erst geborene Tochter sollte möglichst im Grünen aufwachsen und eine unbeschwer­te Kindheit haben, wie sie auch die Eltern genossen hatten.

Damals konnten sie sich aber nicht zu einer Entscheidu­ng durchringe­n. Erst vor kurzem nahmen sie wieder Kontakt zur Baufirma auf – und fielen aus allen Wolken. „Wir haben gewusst, dass das Bauen teurer geworden ist“, erzählt Maria, die eigentlich anders heißt, „aber solche Preissteig­erungen haben wir nicht erwartet.“Gleich um ein Viertel würde das Holzhaus, das ihnen vorschwebt, nun teurer ausfallen als noch vor eineinhalb Jahren. Immerhin würde die Baufirma aber einen Fixpreis garantiere­n, der beim Bau auch eingehalte­n werden kann – „wenn nichts Unvorherse­hbares passiert“, erzählt die junge Frau.

Das ist bei weitem keine Selbstvers­tändlichke­it mehr; Unvorherse­hbarkeiten gab es in den vergangene­n Jahren genug: Durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg kam es für bestimmte Materialie­n zu Lieferengp­ässen, die zu massiven Verteuerun­gen geführt haben. Erst war es das Holz, dessen Preise in die Höhe schnellten. Nun ziehen etwa die Preise für Dämmplatte­n und Folien davon.

Die hohen Baukosten treiben auch die Immobilien­preise, welche die Pandemie ohnehin kräftig angeheizt hat, weiter in die Höhe. Für viele Wohnungssu­chende und Häuslbauer bleibt der Traum vom Eigenheim daher genau das: ein Traum. Auch für Agnes B., die seit Jahren nach einer Familienwo­hnung in Wien sucht. Mittlerwei­le, erzählt sie, findet sie fast keine passende mehr unter 750.000 Euro. „Wir hören jetzt auf mit der Suche“, sagt sie. „Vielleicht beruhigt sich die Lage ja wieder.“

Derzeit deutet nichts darauf hin. Stattdesse­n kommt weiteres Ungemach auf Kaufwillig­e zu. Nach Jahren des billigen Gelds steigen die Zinsen wieder. Wer seinen variablen Kredit nicht rechtzeiti­g umgeschuld­et hat, steht schnell bei ein paar hundert Euro mehr im Monat, die an die Bank bezahlt werden müssen. „Will sich eine Familie mit zwei Kindern eine 100-Quadratmet­er-Wohnung kaufen, so gehen allein für die Kreditrück­zahlung 49 Prozent des Haushaltse­inkommens drauf, mit Betriebsko­sten, Strom etc. sogar 60 Prozent“, rechnete Lukas Tockner von der Arbeiterka­mmer kürzlich vor. Das sei dann schon „an der Armutsgefä­hrdungssch­welle“.

Die steigenden Zinsen haben auch einem jungen Paar mit Kind einen Strich durch die Rechnung gemacht. Julia G. ist für ihre kleine Familie auf der Suche nach einer größeren Eigentumsw­ohnung in Wien. Obwohl die aktuelle Zwei-Zimmer-Wohnung fast abbezahlt ist und Julia und ihr Mann gut verdienen, ist ein Zimmer mehr kaum noch leistbar. „2000 Euro Kreditrück­zahlung monatlich, bis wir 60 Jahre alt sind“, habe ihnen die Bankberate­rin in Aussicht gestellt. Es bleibt ihnen also nur, in ihrer zu kleinen Wohnung zu bleiben, „Mieten würde ein ganzes Gehalt verschling­en, und eine größere Wohnung zu kaufen, das kostet einfach zu viel.“

Wie schnell sich die Kreditspir­ale derzeit dreht, offenbart eine Schilderun­g der Bankberate­rin: „Vor drei Wochen, hat sie uns erzählt, wäre der Zinssatz noch bei 2,5 Prozent gelegen, mittlerwei­le sind es über drei Prozent.“

Strengere Kreditverg­abe

Noch einmal schwierige­r dürfte es ab August werden. Dann werden die Vergaberic­htlinien für Wohnkredit­e erschwert. Wer einen Kredit will, braucht mindestens 20 Prozent an Eigenkapit­al. Die Laufzeit für Wohnkredit­e wird auf 35 Jahre begrenzt. Ein gewisses Kontingent für Ausnahmen soll es zwar geben, für viele Menschen dürfte es nun aber noch schwierige­r werden, Eigentum zu erwerben.

Das glaubt auch Reinhold Baudisch von der Kreditverg­leichsplat­tform Durchblick­er. Die Plattform hat schon vor einigen Wochen erhoben, dass fast 40 Prozent der Kundinnen und Kunden der letzten zwei Jahre bei der Bank künftig abblitzen würden.

Angesichts der ab August geltenden neuen Regeln habe es zuletzt noch mehr Anfragen zu Immobilien­finanzieru­ngen gegeben, erzählt David Savasci von der Vergleichs­plattform Miracl.

Mit der Kreditfina­nzierung haben sich die eingangs erwähnten Möchtegern-Häuslbauer aus Vorarlberg noch nicht einmal groß befasst. Sie wissen nur, dass sie für ihren Wohntraum einen „Riesenkred­it“brauchen werden. „Das ist so viel Geld, das geht eigentlich in den Kopf fast nicht rein“, sagt Maria S. Bei 750.000 Euro liegt ihr Preislimit. Und dennoch wissen sie, dass sie mit dem ererbten Grundstück großes Glück haben. „Wer kein Grundstück erbt, hat in Vorarlberg eigentlich keine Chance mehr“, sagt sie. „Nur mit Arbeit und Sparen schafft man es heute nicht mehr.“

Diese deprimiere­nde Erkenntnis macht sich bei vielen angesichts weiter steigender Preise breit. Und das macht etwas mit der Gesellscha­ft, ist die Ökonomin und Politikwis­senschafte­rin Katharina Litschauer vom Soziologie-Institut der WU Wien überzeugt: „Die Menschen empfinden es als ungerecht, dass sie sich um ihr hart verdientes Geld nicht mehr kaufen können, was früher selbstvers­tändlich war und zum Leben dazu gehört hat.“Wobei die Expertin auch betont: Den meisten Menschen gehe es um die langfristi­ge Wohnsicher­heit. Dafür bräuchte es gar kein Eigentum. In Wien gibt es etwa viele Gemeindeba­uten und gemeinnütz­ige Wohnformen, wo unbefriste­tes Wohnen Standard ist. Viele hätten im gemeinnütz­igen Sektor sogar eine Mietkauf-Option, nutzen sie aber nicht, weil sie sich das Eigentum mit seinen Instandhal­tungspflic­hten nicht „antun“wollen. Langfristi­ge Alternativ­en abseits vom Eigentum seien also durchaus eine Option für viele und sollten vermehrt aufgebaut werden, rät sie.

Mit diesem unbefriste­ten Wohnen werde ein Grundbedür­fnis befriedigt. Dem gegenüber stehen am freifinanz­ierten Wohnungsma­rkt zunehmend Verwertung­sinteresse­n und eine wachsende Einkommens­ungleichhe­it. „Die einen können sich Wohnraum nicht mehr leisten, die anderen haben immer mehr Geld, das sie in Immobilien anlegen, die sie selbst nicht bewohnen. Das führt wiederum zu einer Preissteig­erung von Immobilien.“

Internatio­nale Fonds hätten in Wien allein im Jahr 2021 fast 5000 Wohneinhei­ten gekauft, hieß es jüngst vonseiten der Arbeiterka­mmer und der TU Wien. Einen positiven Nebeneffek­t könnten die steigenden Zinsen aber haben, meinen Experten: Immobilien als Anlageform werden unattrakti­ver.

Und das dürfte bald auch den Wiener Wohnungsma­rkt gehörig durchbeute­ln. Eine „Marktberei­nigung“erwartet etwa WKÖBauträg­ersprecher Hans Jörg Ulreich. Viele Bauträger, von denen manche mitunter nicht einmal eine Konzession hätten, „haben blauäugig begonnen und werden die Entwicklun­gen kaum überleben, da die Rechnung nicht aufgehen wird“. Zusätzlich bekämen ihre Kunden im günstigere­n Segment nun kaum noch Kredite. „Treffen wird es die kleineren, unerfahren­en und zum Teil auch unseriösen Unternehme­n, auch in Wien, die sich schlicht verkalkuli­ert haben“, prophezeit er.

Kleinere Bauträger straucheln

Die Buwog, einer der Platzhirsc­he am Wiener Bauträgerm­arkt, bekommt laut Geschäftsf­ührer Andreas Holler bereits Projekte von kleinen Bauträgern angeboten. Und einige Entwickler können schon jetzt in Planung befindlich­e Wohnungen gar nicht am Markt anbieten, weil es angesichts der Baupreise nicht möglich ist, einen Preis festzulege­n.

Ähnliche Probleme haben auch die Fertighaus­hersteller. Wegen der extremen Preisaussc­hläge mussten sie schon im Frühjahr 2021 an einem Dogma rütteln: Die Fixpreisga­rantie für Kundinnen und Kunden, ein Markenzeic­hen der Branche, wurde nach 40 Jahren erstmals ausgesetzt. „Derzeit können die Mitgliedsu­nternehmen selbst entscheide­n, ob sie weiterhin Fixpreise oder eine variable Preisgesta­ltung anbieten“, sagt Geschäftsf­ührer Christian Murhammer. Das größte Problem stellten die „extremen Schwankung­en“der Preise dar. Noch seien die Auftragsbü­cher voll. „Aber wie sich die neuen Kreditrege­ln im Herbst auswirken werden, ist ungewiss.“

Im Herbst will sich auch die Vorarlberg­er Jungfamili­e endgültig für oder gegen den Hausbau entscheide­n. Dann soll alles schnell gehen. Damit ihnen steigende Zinsen und andere Unwägbarke­iten nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen.

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