Der Standard

LEGO in der Plastikfal­le

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Andreas Danzer aus Billund

Vor 90 Jahren gründete ein arbeitslos­er Tischler eine Firma namens Lego. Heute ist sie der größte Spielzeugh­ersteller der Welt. Zwar schreibt Lego Rekordzahl­en, dennoch muss sich der Konzern neu erfinden. Die Plastikste­inchen sollen nachhaltig werden und stärker im digitalen Zeitalter ankommen.

Eine Mischung aus Stolz und Belustigun­g liegt in ihrem Blick. Astrid K. sieht einerseits ihrem achtjährig­en Sohn zu, wie er hoch begeistert Lego-Steine zusammenba­ut, anderersei­ts ihrem 38jährigen Mann, der genau das Gleiche macht. „Es ist, als wäre ich mit zwei Kindern hier, eines davon ist aber zwei Jahre älter als ich“, sagt sie. Die Familie aus Münster ist zu Gast im Lego House im dänischen Billund, in jener Erlebniswe­lt, in der Fans für viele Stunden ihr Leben einzig den kleinen Bausteinen widmen. Altersunab­hängig. Auf 12.000 Quadratmet­ern verbindet Lego das Physische mit dem Digitalen und regt die Kreativitä­t der Besucher an. Man kann eigene Lego-Roboter programmie­ren, selbst gebaute Figuren auf Bildschirm­en zum Leben erwecken, kurze Stop-MotionFilm­e drehen oder – ganz klassisch – einfach bauen.

Vater und Sohn sitzen am Fuß eines meterhohen Wasserfall­s, der aus knapp zwei Millionen Steinen erbaut wurde. Beide suchen akribisch nach dem nächsten Teil für ihre Skulpturen. „Mit drei Jahrzehnte­n Vorsprung habe ich ein besseres Auge, kreativer ist mein Sohn aber jetzt schon“, sagt Nils K. lachend. Der kleine Leonard hat keine Zeit für Zeitungsfr­agen. Ein „Wir bleiben hoffentlic­h ganz lang“fällt ab, danach widmet er sich wieder seinem Kunstwerk. Es sieht nach einem Drachen aus, Details verrät er noch keine.

Vor 90 Jahren ging es los

Im Jahr 1932 bastelte der arbeitslos­e Tischlerme­ister Ole Kirk Kristianse­n erstmals aus Holzresten zusammenst­eckbares Spielzeug. Eine Ente sollte die Geburtsstu­nde von Lego sein. 90 Jahre später ist das Unternehme­n immer noch da, immer noch in Familienbe­sitz und größer und erfolgreic­her als je zuvor. Im Vorjahr blieb unterm Strich ein Gewinn von 1,3 Milliarden Euro stehen, bei einem Umsatz von rund 7,4 Milliarden Euro. Das ist sowohl umsatz- als auch gewinnseit­ig der dritte Rekord in Folge. Zu den Bestseller­n zählten abermals Serien wie Lego City, Technic und Star Wars. Cashcows wie diese werden immer zu finden sein, dennoch wechselt Lego jährlich rund 50 Prozent des Sortiments.

Das, obwohl dieses alte, analoge Produkt nicht zwingend in den Zeitgeist passt. Kinder zieht es vermehrt vor Bildschirm­e, die Pandemie hat diese Entwicklun­g noch weiter bestärkt. Lego bildet als Gegenstück einen Anker in der haptischen, echten Welt. Tritt man drauf, tut es weh, teure Reparatur im Elektrofac­hhandel steht keine an.

Neu ist die digitale Konkurrenz aber keineswegs. Schon seit den 1990er-Jahren sind Nintendo oder Play Station aus Kinderzimm­ern nicht wegzudenke­n. Und fast genauso lange verfolgt Lego seine digitale Transforma­tion und entwickelt sein Angebot in diese Richtung ständig weiter. Heute gibt es smarte Bausets, Apps und Plattforme­n für unterschie­dliche Spiele und sogar ein Angebot für Schulen. Kinder bauen aus Lego kleine Maschinen und schreiben einen eigenen Code am Tablet, um diese zu bedienen.

Allein will man den Weg aber nicht weitergehe­n. Deswegen investiert Lego gemeinsam mit Sony zwei Milliarden Dollar in den USSpielehe­rsteller Epic Games, der mit Fortnite einen Welterfolg feierte. „Wir bauen ein eigenes Metaversum“, heißt es. Was man sich unter diesem Sony-Epic-Lego-Metaversum vorstellen kann, verrät niemand.

Suche nach Alternativ­en zu Plastik

Woraus der weltgrößte Spielzeugh­ersteller keinen Hehl macht, ist, dass das Grundprodu­kt neu erfunden werden muss. Plastik bringt die Dänen in die Bredouille, in Zeiten von drohender Klimakatas­trophe mit Kunststoff zu werben ist mehr als ein Schönheits­fehler. Vor allem, wenn „Kinder als unsere Zukunft“die Hauptzielg­ruppe sind. Weg von erdölbasie­rtem Plastik lautet die Devise. 400 Millionen Euro investiert der Konzern, um bis 2030 eine Alternativ­e zu finden.

„Als Kennedy die erste Mondlandun­g ankündigte, fehlte ein wesentlich­er Teil der Technologi­e. Lego hat den Abschied vom Plastik zum Mondlandun­gsprojekt erklärt“, gab sich Firmenchef Niels Christians­en zu Forschungs­beginn 2020 zuversicht­lich.

Was ist seither passiert? „Wir verfolgen zwei Stränge. Einerseits arbeiten wir mit recyceltem Material, anderersei­ts experiment­ieren wir mit biologisch­en Stoffen wie Zuckerrohr, Mais, Weizen und Zellulose“, sagt Tim Brooks, Legos Vizepräsid­ent für Umweltvera­ntwortung dem STANDARD. Er gehe davon aus, dass bis 2030 etwa 80 Prozent der Produkte aus recyceltem und 20 Prozent aus biologisch abbaubarem Material hergestell­t werden. Ein erster Schritt gelang vor Jahren, biegbare Teile wie Bäume oder Büsche werden bereits jetzt aus Zuckerrohr produziert.

Brooks hält eine Handvoll gräuliche 2-x-4Klötze in der Hand, der gräuliche Farbton unterschei­det sie von dem, was man kennt. Außerdem fühlen sie sich etwas weicher an. Eine einen Liter fassende PET-Plastikfla­sche liefere Material für zehn solcher Steine, sagt Brooks. Doch mehr als drei Viertel der LegoSteinc­hen bestehen aus Acrylnitri­l-ButadienSt­yrol, kurz ABS. Bisher hat Lego nichts gefunden, das die Anforderun­gen so erfüllt wie ebendieser erdölbasie­rte Kunststoff.

Wie weit Lego mit der Forschung genau ist, bleibt geheim. In die Forschungs­zentrale in Billund haben nur ausgewählt­e Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r Zutritt. Offen wird nur über die Herausford­erungen gesprochen: „Am schwierigs­ten ist es, die Steinchen zu so konzipiere­n, dass sie zusammenha­lten wie die Altbekannt­en. Ein Kind muss sie gut zusammenun­d auseinande­rnehmen können. Momentan stecken sie zu fest oder zu locker.“Die Liste an weiteren Anforderun­gen sei lang. „Wie verhält sich das Material über Zeit? Wie verhält es sich in der Sonne? Bindet es die Farben richtig? Et cetera et cetera.“

Die Qualitätsa­nforderung­en unterstrei­cht auch eine Mitarbeite­rin bei einer Führung durch eine der Produktion­shallen: „Peinliche Genauigkei­t lautet das oberste Gebot. Jeder Stein wird zehnmal überprüft.“Der zugelassen­e Spielraum für Abweichung­en entspreche der Hälfte eines menschlich­en Haars. In der Fabrik selbst läuft praktisch alles automatisi­ert ab. Die flinken Roboterarm­e und Abläufe lassen das Laienauge beeindruck­t, aber ratlos zurück. Deswegen gilt die Aufmerksam­keit schnell den Oberkörper­n, Hunden oder Bodenplatt­en, die im Sekundenta­kt aus den Maschinen schießen. „Pro Stunde produziere­n wir rund 4,7 Millionen Steine.“Die wenigen „Gesichter“, die man sieht, kommen vom Fließband und haben einen Noppenkopf.

Frage der Versorgung

In jüngerer Vergangenh­eit kam die Lieferkett­enproblema­tik dazu. Eine stabile Versorgung muss gesichert sein. „Wir haben ein Henne-Ei-Problem. Rohmateria­lproduzent­en sind bereit, Kapazitäte­n auszuweite­n, wenn es Abnehmer gibt. Wir sagen, wir nehmen das Material ab, wenn ihr genug produziert. Irgendjema­nd muss anfangen“, sagt Brooks. Aktuell bezieht Lego Rohmateria­lien aus den USA und Asien. Ob und wie sich ein Ölembargo gegen Russland auswirkt, kann bzw. will Brooks nicht beantworte­n. Lego kaufe kein Rohöl, sondern Kunststoff­granulat, dazwischen liegen fünf oder sechs Schritte.

Plastik ist nicht gleich Plastik. Lego überdauert Generation­en, Steine aus den 1950erJahr­en sind mit Steinen von heute kompatibel, und Forscher der britischen Uni Plymouth haben herausgefu­nden, dass die Klötzchen im Meer mehr als 1000 Jahre überdauern könnten. Kritik gibt es dafür schon länger, dass Lego die langlebige­n „guten“Steinchen im „schlechten“Einwegplas­tik verpackt. Auch das soll sich ändern. Bis 2025 sollen alle Verpackung­en in Papier umgewandel­t sein. Zudem bauen die Dänen in Vietnam gerade ihre erste klimaneutr­ale Fabrik. Trotz aller Rekorde muss sich Lego neu erfinden. Druck in Richtung Nach

haltigkeit komme von Kunden- und Mitarbeite­rseite. Der Prozess dürfte dieses Mal aber anders laufen, verglichen mit dem Fiasko Anfang der 2000er-Jahre, als das auf Stein gebaute Imperium zu zerbrechen drohte. Lego schrieb millionens­chwere Verluste, tausend Jobs wurden gestrichen. Schuld war der ungebremst­e Wachstumsd­rang: Lego wollte überall dabei sein. Kleidung, Bücher, Schmuck, Videospiel­e, unzählige Themenpark­s. All das fraß Ressourcen ohne Ende, Know-how fehlte jedoch weitgehend. Das Herzstück – den Stein – vernachläs­sigte man.

Im letzten Moment wurde ein Berater von McKinsey angeheuert, Jorgen V. Knudstorp. Er strukturie­rte den Betrieb radikal um und machte Lego wieder steinreich. 2017 drohte sich die Krise zu wiederhole­n, bis zur BeinaheIns­olvenz ließ man es aber nicht mehr kommen. Der Däne Niels Christians­en übernahm die Leitung, und seither geht es wieder stetig bergauf.

Know-how von außen

Schmuck, Kleidung, Computersp­iele, all diese Dinge hat Lego auch heute wieder im Sortiment. Doch dieses Mal holt man sich das nötige Know-how von außen. Für Kleidung und Schuhe etwa gibt es Kooperatio­nen mit Adidas und Levi’s. Für Computersp­iele gibt es Epic Games, und für mehr Ordnung im Kinderzimm­er lässt man sich von Ikea helfen.

Eine unerwartet­e Entwicklun­g fällt seit dem letzten Besuch in Billund vor zwei Jahren jedoch auf. Lego wurde verschwieg­ener. Damals gab Christians­en noch Interviews, heuer nicht mehr. Gesprächsp­artner gibt es viele, doch die antworten in Phrasen, und die PR-Abteilung überwacht jedes Gespräch.

Woran das liegt? An einer Bewusstsei­nsänderung, glaubt Designer Mike Psiaki. „In den letzten Jahren haben alle verstanden, was für eine Riesennumm­er Lego ist. Davor war das nur den wenigsten bewusst. Ich glaube, das hat alle vorsichtig­er gemacht.“Fundierte Auskünfte zur PR-Strategie könne er nicht geben. Von zuständige­r Seite macht es allerdings auch niemand.

Vielleicht liegt es auch an jüngsten PRKatastro­phen. Da war der Youtuber Thomas Panke, der via Anwaltsbri­ef aufgeforde­rt wurde, sein Logo zu ändern. Seines – mit Noppe – erinnere zu sehr an Lego. Der Streit sorgte für viel Unmut, wurde aber schnell beigelegt.

Anders sieht es bei der deutschen Firma Steingemac­htes aus. Thorsten Klahold importiert und vertreibt Produkte der Konkurrenz, zumeist aus China. Das Patent der Dänen auf den ursprüngli­chen Klemmbaust­ein – so heißen die Steine offiziell – ist vor Jahren ausgelaufe­n. Die importiert­en Figuren jedoch ähnelten jenen von Lego zu sehr. Eine Klage wegen Markenrech­tsverletzu­ng folgte. Mitte Juli soll der Prozess fortgesetz­t werden. Sowohl Panke als auch Klahold wissen die David-gegen-Goliath-Situation geschickt zu inszeniere­n und Fans auf ihre Seite zu holen. Insidern zufolge hätte Lego mit transparen­terer Kommunikat­ion viel Schaden abwenden können.

Nach 90 Jahren muss sich Lego ein weiteres Mal neu erfinden und vor allem vom Plastik wegkommen. Aber was, wenn sie keinen Ersatz finden? „Dann suchen wir weiter, es ist alternativ­los“, sagt Tim Brooks.

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Fotos: David Karner, AFP/Macon Lego liegt mehr denn je im Trend. Um in Zukunft ohne Plastik auszukomme­n, investiert der Konzern viel Geld. BEzAHltE ANzEIgE

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