Der Standard

Eine toxische Beziehung

Mit einem ambitionie­rten Programm will die EU-Kommission den Pestizidei­nsatz in Europa bis zum Jahr 2030 halbieren. Einige Mitgliedss­taaten stellen sich jedoch quer – unter anderem Österreich.

- Alicia Prager, Nico Schmidt, Harald Schumann, Investigat­e Europe Dieser Artikel entstand in Kooperatio­n mit dem Journalist­enteam Investigat­e Europe, das gemeinsam Themen von länderüber­greifender Relevanz recherchie­rt (investigat­e-europe.eu/de).

Selten ist ein Gesetzesvo­rschlag so umstritten wie jener, den die EU-Kommission am Mittwoch vorgelegt hat. Die drei Kommissare, die da auf dem Podium im Brüsseler Berlaymont-Gebäude standen, hatten viele Monate gefeilscht und verhandelt – und sich hitzige Diskussion­en dazu geliefert, was Russlands Krieg gegen die Ukraine für die Ernährungs­sicherheit bedeutet. „Einige sehen den Krieg als perfekte Ausrede, um beim Artenschut­z auf die Bremse zu steigen“, eröffnete schließlic­h der Vize-Kommission­spräsident Frans Timmermans die viele Monate verzögerte Präsentati­on des neuen Pestizidge­setzes. Es sieht vor, den Pestizidei­nsatz in Europa bis 2030 zu halbieren.

Eigentlich war das Paket, Teil der sogenannte­n Farm-to-Fork-Strategie, bereits für März angekündig­t gewesen, doch dann begann Russland seinen Krieg – und es wurde verschoben. Die Ernährungs­sicherheit sei in Gefahr, so das Argument, das Agrarverbä­nde sowie einige Mitgliedss­taaten nutzen. Der Krieg bedeute zwar enorme Risiken für die Ernährungs­sicherheit in Afrika und dem Nahen Osten, sagt Timmermans im Gespräch mit dem Journalist­enkollekti­v Investigat­e Europe: „Aber diese Probleme zu nutzen, um Farm to Fork aufzugeben, würde heißen, die langfristi­ge Gesundheit und Überlebens­fähigkeit unserer Landwirtsc­haft aus sehr kurzfristi­gen Interessen zu zerstören.“

„Maßgeschne­iderte Lösungen“

So eindringli­ch Timmermans’ Appell, so groß sind auch die Bedenken, die einige Mitgliedss­taaten anmelden: darunter auch Österreich. Als einziges Land stellte sich Österreich im Dezember 2020 im Rat gegen den Plan, das Pestizidre­duktionszi­el im Green Deal anzukündig­en, wie EU-Ratsdokume­nte zeigen, die den Organisati­onen Global 2000 und PAN Europe vorliegen.

Bei einem Gipfeltref­fen im März, nach Beginn des Ukraine-Kriegs, forderte die damalige Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger (ÖVP): „Jetzt wäre es sehr wichtig, die Produktion zu intensivie­ren.“Frans Timmermans hingegen verteidigt die neuen Ziele: 20 Prozent der Nahrungsmi­ttel in Europa würden im Müll landen. Und zwei Drittel des Getreides werde als Tierfutter genutzt.

Trotzdem meldete Österreich Anfang Juni an, es seien „weitere Diskussion­en erforderli­ch“– die österreich­ische Unterschri­ft fand sich dazu auf einem Positionsp­apier, das unter anderem auch Polen und Ungarn zeichneten. Die Länder seien bereit, sich an der Suche nach „maßgeschne­iderten Lösungen“für die einzelnen Mitgliedss­taaten zu beteiligen, doch die Ernährungs­sicherheit müsse garantiert sein. „Das kommt einer Forderung nach Verschiebu­ng oder Zurücknahm­e gleich“, kritisiert­e Helmut Burtscher-Schaden, Biochemike­r bei Global 2000: „Unter Köstinger hat sich Österreich an die Spitze einer Gruppe überwiegen­d osteuropäi­scher Staaten gehievt, die verbindlic­he Ziele zur Reduktion von Pestiziden und zum Schutz von Bestäubern lautstark ablehnten.“

Eine der Forderunge­n aus dem Positionsp­apier der Kritiker schien der Kommission jedoch schon sinnvoll: Die Ausgangssi­tuation der jeweiligen Staaten müsse besser berücksich­tigt werden, statt für jedes Land dasselbe 50-Prozent-Ziel vorzuschre­iben. Das sei sehr zu begrüßen, heißt es dazu aus dem österreich­ischen Landwirtsc­haftsminis­terium, nunmehr unter Norbert Totschnig (ÖVP).

Was genau wird da halbiert?

Schließlic­h habe Österreich die chemischsy­nthetische­n Wirkstoffm­engen im Zehnjahres­vergleich bereits um 22 Prozent gesenkt – das sei mehr als der EU-Durchschni­tt. Gelungen sei das vor allem, weil bereits ganze 26 Prozent der Landwirtsc­haft bio sei, im EU-Schnitt sind es rund zehn Prozent. Entspreche­nd will die Kommission jetzt das Pestizidzi­el gewichten. Je nachdem, wie groß der Pestizidei­nsatz in einem Land heute sei, müsse es bis 2030 um 40, 50 oder 60 Prozent reduzieren.

Hier liegt allerdings auch der Punkt aus dem Gesetzesen­twurf, über den wohl in den kommenden Monaten am meisten gestritten werden wird: nämlich die Frage, was denn eigentlich genau halbiert werden soll. Die Kommission schlägt dazu eine Rechnung vor, wonach „harmlose“, „reguläre“und „schädliche­re“Pestizide je unterschie­dlich gewichtet werden und dann daraus die zu halbierend­e Menge berechnet wird.

Der Generalsek­retär der österreich­ischen Landwirtsc­haftskamme­r, Ferdinand Lembacher, nennt diesen Mengenansa­tz „undifferen­ziert“. „Auch die angedachte Risikobewe­rtung ändert nichts daran, dass manche Pflanzensc­hutzmittel bereits mit wenigen Gramm ihre Wirkung erreichen und andere erst mit vielen Kilogramm. Die Angabe der Masse sagt nichts über ein allfällige­s Risiko aus.“

Was genau der Indikator für die heute in Österreich eingesetzt­en Mengen bedeutet, ist nicht klar – das werde derzeit geprüft, so das Landwirtsc­haftsminis­terium. Denn die Daten dazu, welche Pflanzensc­hutzmittel wo und in welchen Mengen eingesetzt werden, sind bislang nicht zugänglich. Zwar steigt der erfasste Absatz von Pflanzensc­hutzmittel­n – aber diese Daten sind irreführen­d, weil sie auch harmlose Stoffe enthalten, wie sie etwa im Biolandbau eingesetzt werden. „Anders als in Deutschlan­d, wo ein Gerichtsur­teil Klarheit geschaffen hat, betrachtet Österreich­s Landwirtsc­haftsminis­terium diese Verkaufsza­hlen als vertraulic­he Daten und weigert sich daher, sie zu veröffentl­ichen“, sagt Burtscher-Schaden von Global 2000. Einem EU-Gesetz, das zur elektronis­chen Übermittlu­ng dieser Daten verpflicht­en soll, müssen die Mitgliedss­taaten noch final zustimmen.

Zur Pestizidve­rordnung selbst starten jetzt die Verhandlun­gen mit Rat und Parlament. Bislang erklärte nur Deutschlan­d seine Unterstütz­ung für den Entwurf. Ob dieser also je umgesetzt wird, ist offen. Aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium heißt es dazu: Österreich begrüße den Vorschlag grundsätzl­ich. Doch die „nationalen Gegebenhei­ten und erbrachten Vorleistun­gen werden weiterhin zentrale Diskussion­spunkte bleiben“.

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Foto: APA / Hochmuth Elisabeth Köstinger votierte 2020 als Einzige gegen ein Pestizidre­duktionszi­el für die EU.
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Foto: Herman, Reuters Einige benutzen den UkraineKri­eg als Vorwand, sagt EU-Kommission­svize Frans Timmermans.
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Wie viel Pestizide sollen auf den Feldern der EU verspritzt werden dürfen? Viel weniger, findet die EU-Kommission.
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Insekten leiden besonders unter Pestiziden. Bis 2030 soll deren Einsatz halbiert werden.

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