Weltkunst an der Salzach
Das Museum der Moderne Salzburg blickt über den Tellerrand, holt diverse Positionen in die eigene Sammlung und vergisst dabei nicht auf heimische Künstler und Künstlerinnen. Vorschau auf ein volles Programm.
Das Museum der Moderne Salzburg zeigt Neuzugänge der Sammlung, darunter sehr viele Frauen, einen österreichische Pionier der Medienkunst und erstmals bildgewaltige Videos eines New Yorkers. Diese drei Ausstellungen laufen zwar getrennt und sind doch miteinander verbunden, weil sie dem Publikum Kunst auf Augenhöhe mit dem bieten, was international gezeigt und besprochen wird.
Das Interview führt Direktor Thorsten Sadowsky dementsprechend von Kassel aus, wo derzeit die fünfzehnte Ausgabe der Weltkunstausstellung Documenta eröffnet, wo über die Jahrzehnte siebentausend Eichen gepflanzt, Hunde- und Schreizonen eingerichtet oder einer der NSU-Morde künstlerisch beforscht wurde. Über eine Million Besuche erwartet man heuer.
„Wir müssen diesen postkolonialen Diskurs stärker berücksichtigen, das eurozentristische Denken hinter uns lassen. Schauen wir nur aktuell nach Venedig oder Kassel: Genau diese Diskussionen finden dort statt. Unter dem Stichwort Perspektivenwechsel bzw. Erweiterung der Perspektive haben wir das vor einiger Zeit in unsere Sammlungsstrategie hineingeschrieben“, so Sadowsky. Zum anderen wurden unter der Vorgängerin Sabine Breitwieser verstärkt Künstlerinnen gekauft und gezeigt. Das wird fortgesetzt, denn es gilt eine historische Asymmetrie aufzuholen. In Salzburg kann man diese Strategie an den sogenannten Neuzugängen deutlich ablesen, an Positionen also, die über die Jahre gesammelt wurden und nun ausgestellt werden.
Thema Rassismus
Kara Walker ist ein solcher Neuzugang. Die 1969 geborene afroamerikanische US-Künstlerin setzt sich etwa in süß anmutenden Scherenschnitten mit der rassistischen Gewalt in den USA auseinander. Eine Filmarbeit wurde letztes Jahr in einer thematischen Ausstellung mit dem programmatischen Titel This World Is White No Longer gezeigt. „Da waren wir die Ersten in Österreich“, so der Direktor, „die sich mit Rassismus und Xenophobie in einer Kunstausstellung beschäftigt und das Absetzen der weißen Brille dezidiert zum Programm erklärt haben.“Walkers Werk über Rassenunruhen in der Post-Bürgerkriegs-Ära wurde angekauft und ist nun sichtbarer Teil der Sammlung.
Ganz ähnlich Samuel Fosso. Als einer der wichtigsten Fotokünstler Zentralafrikas war er in derselben Ausstellung mit postkolonialen Umdeutungen westlicher Macht, die im Geist des US-Aktivisten Marcus Garvey stehen, zu sehen. Auch Fosso wurde angekauft, im Herbst wird ihm die erste europäische Einzelausstellung gewidmet. So greifen in Salzburg die Rädchen ineinander, um Weltkunst zu zeigen. Diese ist nicht länger weiß.
Die Welt des Lois Weinberger war oft grün und manchmal braun. In Kassel ließ er 1997 im Kulturbahnhof ein Gleis mit Neophyten überwuchern, mit Pflanzen also, die in anderen Regionen heimisch sind. Der
Tiroler hatte vor 25 Jahren rustikal ins Schwarze getroffen, als der Kunst gerne vorgeworfen wurde, zu unnahbar zu sein. Bei dem späteren Lift, der am Mönchsberg zum Museum der Moderne Salzburg hochfährt, hatte Weinberger 1993 die Intervention im kleinen Stil durchgeführt. „Der Asphalt ist aufgebrochen worden, Spontanvegetation breitete sich aus; diese politische Ausdeutung von Natur, die bei Weinberger eine Rolle spielt, hat sich dort temporär in den Stadtraum eingeschrieben, und eine kleine Auswahl seiner Feldforschungen und Objekte ist nachfolgend über die Jahre in die Sammlung aufgenommen worden“, so Sadowsky. Solche Neuzugänge sind ab Juli zu sehen.
Atmen in Zeitlupe
Zwei Wochen später eröffnet eine Personale zu Bill Viola, einem der wichtigsten Videokünstler. Auch hier wird ein Faden weitergesponnen, der vor einem Jahr mit einer Ausstellung zu David Tudor aufgenommen wurde. Beide kennen sich aus äußerst fruchtbaren New Yorker Kunstzirkeln. Violas Videos gleichen oft einem Rausch. In The Raft von 2004 – eine Anspielung auf Théodore Géricaults Floß der Medusa – wird eine Gruppe von Wassermassen erfasst und kämpft in Zeitlupe um Atem. Viola inszeniert auf technisch höchstem Niveau und mit kunsthistorischen Anspielungen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Er reflektiert Leben, Raum, Zeit und Tod in Bildern, die das Publikum überwältigen wollen.
Einen besonderen Platz im kollektiven Bewusstsein nehmen auch die Arbeiten von Richard Kriesche ein. In einem Maiskörneranzug stand er Anfang der 1970er auf dem Markusplatz in Venedig und wurde von Tauben belagert. Der 30-sekündige Kunstfilm wurde im österreichischen Fernsehen – wie später weitere Spots für Humanic – gezeigt und hat eine Generation geprägt. Bis heute setzt sich Kriesche – Pionier der Medienkunst und mehrfacher Biennale- und Documenta-Teilnehmer – avanciert mit Fragen der Gegenwart auseinander. Beide Städte sind übrigens in weniger als sechs Stunden von Salzburg aus erreichbar. Man spürt das.