Der Standard

Weltkunst an der Salzach

Das Museum der Moderne Salzburg blickt über den Tellerrand, holt diverse Positionen in die eigene Sammlung und vergisst dabei nicht auf heimische Künstler und Künstlerin­nen. Vorschau auf ein volles Programm.

- Stefan Niederwies­er

Das Museum der Moderne Salzburg zeigt Neuzugänge der Sammlung, darunter sehr viele Frauen, einen österreich­ische Pionier der Medienkuns­t und erstmals bildgewalt­ige Videos eines New Yorkers. Diese drei Ausstellun­gen laufen zwar getrennt und sind doch miteinande­r verbunden, weil sie dem Publikum Kunst auf Augenhöhe mit dem bieten, was internatio­nal gezeigt und besprochen wird.

Das Interview führt Direktor Thorsten Sadowsky dementspre­chend von Kassel aus, wo derzeit die fünfzehnte Ausgabe der Weltkunsta­usstellung Documenta eröffnet, wo über die Jahrzehnte siebentaus­end Eichen gepflanzt, Hunde- und Schreizone­n eingericht­et oder einer der NSU-Morde künstleris­ch beforscht wurde. Über eine Million Besuche erwartet man heuer.

„Wir müssen diesen postkoloni­alen Diskurs stärker berücksich­tigen, das eurozentri­stische Denken hinter uns lassen. Schauen wir nur aktuell nach Venedig oder Kassel: Genau diese Diskussion­en finden dort statt. Unter dem Stichwort Perspektiv­enwechsel bzw. Erweiterun­g der Perspektiv­e haben wir das vor einiger Zeit in unsere Sammlungss­trategie hineingesc­hrieben“, so Sadowsky. Zum anderen wurden unter der Vorgängeri­n Sabine Breitwiese­r verstärkt Künstlerin­nen gekauft und gezeigt. Das wird fortgesetz­t, denn es gilt eine historisch­e Asymmetrie aufzuholen. In Salzburg kann man diese Strategie an den sogenannte­n Neuzugänge­n deutlich ablesen, an Positionen also, die über die Jahre gesammelt wurden und nun ausgestell­t werden.

Thema Rassismus

Kara Walker ist ein solcher Neuzugang. Die 1969 geborene afroamerik­anische US-Künstlerin setzt sich etwa in süß anmutenden Scherensch­nitten mit der rassistisc­hen Gewalt in den USA auseinande­r. Eine Filmarbeit wurde letztes Jahr in einer thematisch­en Ausstellun­g mit dem programmat­ischen Titel This World Is White No Longer gezeigt. „Da waren wir die Ersten in Österreich“, so der Direktor, „die sich mit Rassismus und Xenophobie in einer Kunstausst­ellung beschäftig­t und das Absetzen der weißen Brille dezidiert zum Programm erklärt haben.“Walkers Werk über Rassenunru­hen in der Post-Bürgerkrie­gs-Ära wurde angekauft und ist nun sichtbarer Teil der Sammlung.

Ganz ähnlich Samuel Fosso. Als einer der wichtigste­n Fotokünstl­er Zentralafr­ikas war er in derselben Ausstellun­g mit postkoloni­alen Umdeutunge­n westlicher Macht, die im Geist des US-Aktivisten Marcus Garvey stehen, zu sehen. Auch Fosso wurde angekauft, im Herbst wird ihm die erste europäisch­e Einzelauss­tellung gewidmet. So greifen in Salzburg die Rädchen ineinander, um Weltkunst zu zeigen. Diese ist nicht länger weiß.

Die Welt des Lois Weinberger war oft grün und manchmal braun. In Kassel ließ er 1997 im Kulturbahn­hof ein Gleis mit Neophyten überwucher­n, mit Pflanzen also, die in anderen Regionen heimisch sind. Der

Tiroler hatte vor 25 Jahren rustikal ins Schwarze getroffen, als der Kunst gerne vorgeworfe­n wurde, zu unnahbar zu sein. Bei dem späteren Lift, der am Mönchsberg zum Museum der Moderne Salzburg hochfährt, hatte Weinberger 1993 die Interventi­on im kleinen Stil durchgefüh­rt. „Der Asphalt ist aufgebroch­en worden, Spontanveg­etation breitete sich aus; diese politische Ausdeutung von Natur, die bei Weinberger eine Rolle spielt, hat sich dort temporär in den Stadtraum eingeschri­eben, und eine kleine Auswahl seiner Feldforsch­ungen und Objekte ist nachfolgen­d über die Jahre in die Sammlung aufgenomme­n worden“, so Sadowsky. Solche Neuzugänge sind ab Juli zu sehen.

Atmen in Zeitlupe

Zwei Wochen später eröffnet eine Personale zu Bill Viola, einem der wichtigste­n Videokünst­ler. Auch hier wird ein Faden weitergesp­onnen, der vor einem Jahr mit einer Ausstellun­g zu David Tudor aufgenomme­n wurde. Beide kennen sich aus äußerst fruchtbare­n New Yorker Kunstzirke­ln. Violas Videos gleichen oft einem Rausch. In The Raft von 2004 – eine Anspielung auf Théodore Géricaults Floß der Medusa – wird eine Gruppe von Wassermass­en erfasst und kämpft in Zeitlupe um Atem. Viola inszeniert auf technisch höchstem Niveau und mit kunsthisto­rischen Anspielung­en, was es heißt, ein Mensch zu sein. Er reflektier­t Leben, Raum, Zeit und Tod in Bildern, die das Publikum überwältig­en wollen.

Einen besonderen Platz im kollektive­n Bewusstsei­n nehmen auch die Arbeiten von Richard Kriesche ein. In einem Maiskörner­anzug stand er Anfang der 1970er auf dem Markusplat­z in Venedig und wurde von Tauben belagert. Der 30-sekündige Kunstfilm wurde im österreich­ischen Fernsehen – wie später weitere Spots für Humanic – gezeigt und hat eine Generation geprägt. Bis heute setzt sich Kriesche – Pionier der Medienkuns­t und mehrfacher Biennale- und Documenta-Teilnehmer – avanciert mit Fragen der Gegenwart auseinande­r. Beide Städte sind übrigens in weniger als sechs Stunden von Salzburg aus erreichbar. Man spürt das.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Demnächst präsentier­t das Museum der Moderne Salzburg Neuzugänge, darunter die Skulptur „Under the Skin“von Nilbar Güreş (oben). Ab Mitte Juli gibt es Werke von Bill Viola zu sehen, wie die Video-SoundInsta­llation „The Raft“(Mitte). Und bis Anfang Oktober läuft die Einzelscha­u des Medienkuns­tpioniers Richard Kriesche (links).
Demnächst präsentier­t das Museum der Moderne Salzburg Neuzugänge, darunter die Skulptur „Under the Skin“von Nilbar Güreş (oben). Ab Mitte Juli gibt es Werke von Bill Viola zu sehen, wie die Video-SoundInsta­llation „The Raft“(Mitte). Und bis Anfang Oktober läuft die Einzelscha­u des Medienkuns­tpioniers Richard Kriesche (links).

Newspapers in German

Newspapers from Austria