Beziehungen und andere Kampfzonen
Lust auf Berlin? Dann böte sich ein Trip mit Lauren Oyler an. Touristenprogramm liefert die Autorin zwar nicht. Dass Berlin so „chill“sei, erzählt die Hauptfigur in Fake Accounts ihren Freunden nur, um einer echten Antwort aus dem Weg zu gehen. Sie ist in die deutsche Hauptstadt gekommen, nachdem ihr Freund Felix bei einem Unfall gestorben ist. Zwar hatte sie überlegt, sich von ihm zu trennen, seit sie draufgekommen war, dass er auf Instagram Verschwörungstheorien verbreitete. Das hat sie entdeckt, als sie sein Handy wegen des Verdachts inspizierte, er träfe andere Frauen. Doch sein Tod nimmt sie mit. In Berlin hatte sie ihn kennengelernt. Später kommt ihr dieses sich in Felix verliebende Ich vor wie „eine meiner Freundinnen, die ständig in Liebesnöte geraten, deren Entscheidungsprozesse ich einfach nicht verstehe“. Warum sie noch mit ihm zusammen war, erklärt sie mit dem ökonomischen Modell „versunkener Kosten“.
Sightseeing und Clubs spielen in Fake Accounts also weniger eine Rolle als die Suche nach einer WG, die Krankenversicherung, die Ausländerbehörde und Onlinedating („ohne Quantität fand man keine Qualität“). Oyler (30) hat Witz. Scharf streift sie alle möglichen gegenwärtigen Themen wie „Privilegienscham“, sexuelle Identität, Partnerschaftskonstellationen, Selbstdarstellung auf Instagram. Politisch alert, nimmt ihre Heldin am Frauenprotestmarsch nach Donald Trumps Amtseinführung teil, kauft in poshen Läden überteuerte Lebensmittel. Generationenporträt, lautete immer wieder das Lob, und das Buch wurde zum Bestseller.
Als Angestellte eines Onlinemediums hat die Heldin zu vielem eine Meinung. Das hat sie mit der US-Autorin gemein, die in Yale studiert hat, später nach Berlin und New York zog. Dort hat Lauren Oyler Artikel über Gender und Identität geschrieben, inzwischen liefert sie Essays und Kritiken an The New Yorker oder die New York Times. Schnell erzählt, enthält Fake Accounts viele treffende Beobachtungen, auch wenn der Roman zum Ende hin etwas an Prägnanz verliert.
Lauren Oyler, „Fake Accounts“. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. € 24,70 / 368 Seiten. Berlin-Verlag, Berlin 2022