Meuchelmörderische Zivilisation
Aphra Behn galt zu ihrer Zeit (1640–1689) in England als gefeierte Theaterautorin, die von den Tantiemen ihrer Werke auch leben konnte. Eine bemerkenswerte Sache! Dennoch ist ihr OEuvre heute kaum bekannt. Behns wildes Schreiben, unkonventionell und tabubrechend (ihr Gedicht The Disappointment handelt vom weiblichen Nichtorgasmus), hat dennoch immer wieder ansprechende Übertragungen ins Deutsche hervorgebracht. So auch nun von ihrem Roman Oroonoko, der neu im Unionsverlag erschienen ist.
Er erzählt vom versklavten Prinzen Oroonoko und seiner Braut, beide PoC, die in den Mühlen der Kolonialgewalt und einer maroden Zivilgesellschaft buchstäblich vor die Hunde gehen. Behn recherchierte die Geschichte im südamerikanischen Surinam, einer damals britischen Kolonie, wo sie, Spross einer zu Kolonialisten aufgestiegenen Barbiersfamilie, in ihren frühen Jahren lebte. Der Roman schildert, wie verderblich patriarchale und ehrgesteuerte Herrschaftsmodelle wirken und wie weit ein einzelnes Individuum seine Prinzipien verteidigen kann. Plot: Aufgrund einer Intrige seines Großvaters, der die Braut des Enkels für den eigenen Harem beansprucht, landen Oroonoko und Imoinda in der Versklavung.
Die Gratwanderung zwischen Leibeigenschaft und königlichem Selbstverständnis, die Korrumpiertheit von Entscheidungsträgern und die Angst voneinander abhängiger Personen spinnen das Geflecht einer fragilen, meuchelmörderischen Zivilisation. Behn erzählt geschmeidig und kraftvoll, so heillos mitfühlend wie auch hemmungslos sachlich. Man könnte sagen: Jane Austen goes Splatter, denn hier werden aus Liebe wahrlich Eingeweide herausgerissen: Frauenmord, erweiterter Suizid, Besitzdenken – alles da. Drei Essays sind dem Band beigefügt, unter anderem gibt Vita Sackville-West Einblick in die Wirkungsgeschichte des Romans sowie in Behns Biografie – sie war auch Spionin.
Aphra Behn, „Oroonoko oder Der königliche Sklave“. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Althoetmar-Smarczyk und Susanne Höbel.
€ 24,70 / 256 Seiten. Unionsverlag, Zürich 2022