Pionierleistung
Die schwierige Wahl fiel auf Brigitte Schwaigers Roman Wie kommt das Salz ins Meer (Haymon, Neuauflage, € 9,95, 2021). Nicht nur, weil man die Autorin posthum gar nicht genug rehabilitieren kann – haben doch der Literaturbetrieb und seine akademischen, medialen und wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zu ihrer Zermürbung beigetragen. Sondern auch, weil sie sich mehr getraut hat als die folgenden Generationen schreibender Frauen – mich eingeschlossen. Das Politische im Privaten so schamlos aufzudecken – biografisch, sprachlich, körperlich – war eine Pionierleistung, die sie, allem Erfolg zum Trotz, teuer bezahlt hat. Sie hat ihre Elterngeneration entlarvt und vor den Kopf gestoßen; sie hat die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen seziert, die Literaturkritik gereizt und sie hat „Frauendings“(wie illegale Abtreibungen und Missbrauch) literarisiert – Themen, mit denen man damals als Schriftstellerin mit einem nassen Fetzen von der Bühne gejagt wurde. Der große Erfolg ist früh gelungen, aber seine Konsequenzen – Angststörungen, Beziehungsabbrüche, Suizid – haben sie nicht alt werden lassen. Ihre Sprache hat mich aufgeweckt, auf eine magische Art. „Woher weiß die, was ich denke?“, dachte ich damals, als ich es mit 16 las. Endlich hatte Literatur was mit mir zu tun! Ich lese es immer wieder, mit Bewunderung, Lust und Staunen, aber auch mit Grauen im Hinterkopf: Seiner Zeit voraus zu sein kann nicht weniger als das Leben kosten.
Gertraud Klemm, geboren 1971, lebt in Pfaffstätten, NÖ. 2014 gewann sie in Klagenfurt mit dem Text „Ujjayist“den Publikumspreis.