Wie das Böse entsteht
Die Realität, in der wir uns befinden, ist extrem herausfordernd. Man hat ein schmerzendes Bedürfnis zu verstehen, was und warum es gerade passiert. Ich möchte zwei Bücher des Historikers Timothy Snyder empfehlen, der für mich einer der wichtigsten Aufklärer unserer Zeit ist: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin (C. H. Beck, erweiterte Auflage, € 35,–, 2022) und Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand (C. H. Beck, € 10,30, 2022). Das eine Buch beschreibt die zwei schlimmsten Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa – und was sie unter anderem auch im Land, aus dem ich komme, angerichtet haben. Das zweite Buch stellt die Schritte dar, die man umsetzen muss, um eine neue Diktatur nicht mehr zuzulassen. Wenn man in der Erforschung der Realität über die Geschichtslektüre hinausgehen möchte, würde ich zu Büchern über Psychopathologie raten, denn ich bin der Überzeugung, dass jeder Krieg im Kern der menschlichen Natur liegt. Wo entstehen Gewalt und das Böse? Warum gibt es Täter und Opfer? Ist das Böse eine Störung? Eine von vielen möglichen Anpassungen und somit ganz normal? So behauptet es zumindest die renommierte Gestalttherapeutin Elinor Greenberg in ihrem Buch Borderline und Narzissmus: Wie Menschen nach Liebe und Bewunderung streben (Kösel, € 30,90, 2021). Denn ja, alle wollen geliebt und bewundert werden, dafür sind sie leider manchmal auch bereit zu töten. Dr. Greenberg beharrt darauf, dass die Verhaltensmuster geändert werden können. Das glaube ich auch, nicht zuletzt, weil ich auf die Hoffnung der Menschlichkeit nicht endgültig verzichten möchte.
Tanja Maljartschuk, geboren 1983 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine, lebt als Schriftstellerin in Wien. 2018 wurde sie für den Text „Frösche im Meer“mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet.