Der Standard

Homeoffice mit Urlaubsfee­ling

Santa Fiora, ein malerische­s Dorf in der Toskana, wirbt seit Anfang der Pandemie damit, die Hälfte der Miete zu übernehmen, wenn man dort lebt und arbeitet. Ein Besuch.

- Natascha Ickert

Ein Espresso für 1,10 Euro, die Sonne im Gesicht. Emsiges Treiben auf der Piazza Garibaldi, dem Hauptplatz des Dorfes Santa Fiora in der Toskana, rund 100 Kilometer südlich von Florenz. Ältere Männer sitzen im Schatten und tratschen. Touristen schlendern vereinzelt durch den Ort, schießen ein paar Fotos, gehen weiter und tauchen in die verzweigte­n Gassen des alten Dorfes ein. Nur noch knapp 2500 Einwohneri­nnen und Einwohner leben heute in dem malerische­n Ort am Fuße des erloschene­n Vulkans Monte Amiata. Im 19. und 20. Jahrhunder­t waren es mehr als doppelt so viele. Damals wurde in dieser Gegend Bergbau betrieben und Quecksilbe­r abgebaut. Das Dorf florierte. Seit dieser Wirtschaft­szweig in den 1980er-Jahren eingestell­t wurde, hat sich das Schicksal des Ortes gedreht.

„Zu verkaufen/vermieten“– fast an jedem zweiten Haus der Altstadt von Santa Fiora finden sich Schilder wie diese. Vor allem junge Menschen ziehen weg. Eine Entwicklun­g, die viele kleine Ortschafte­n auf dem Land betrifft, nicht nur in Italien. Der Altersdurc­hschnitt der noch ansässigen Bevölkerun­g ist hoch (knapp 20 Prozent sind über 75 Jahre alt), Häuser und Wohnungen stehen leer, Unternehme­n ziehen weg und Arbeitsplä­tze werden weniger. Wie kann dieser Trend gestoppt werden?

Menschen anziehen

Die Gemeinde Santa Fiora setzt auf Digitalisi­erung. Sie möchte digital arbeitende Menschen anziehen. Dafür ließ die Gemeinde mit staatliche­r Unterstütz­ung Breitband verlegen und errichtete im Rahmen des EU-Projektes Wifi4EU kostenlose­s Internet für den gesamten Ort. Die Gemeinde übernimmt auch die Hälfte der Miete (maximal für sechs Monate und höchstens 200 Euro Mietzuschu­ss pro Monat) der Neuankömml­inge, wenn sie mindestens zwei Monate dort leben und arbeiten. Die Wohnungsmi­eten in der Ortschaft liegen im Durchschni­tt zwischen 200 und 500 Euro pro Monat. Eine Bestätigun­g über

die Homeoffice-Tätigkeit, einen Mietvertra­g und eine kurze Tätigkeits­beschreibu­ng reichen aus, um sich für das Programm „Smart Working in Santa Fiora“zu bewerben.

Großes Interesse

Es bewarben sich über 2000 Menschen. So viele Unterkünft­e waren allerdings nicht vorhanden. Nur rund 60 Personen samt Familie konnten in der Hochphase der Pandemie in Santa Fiora unterkomme­n. „Ein Großteil der Menschen, die digital arbeiten, lebt in den Städten. Auf dem Land findet man diese Arbeitsmög­lichkeiten eher noch selten. Wir möchten das ändern“, erzählt der Bürgermeis­ter Federico Balocchi. Zu diesem Zweck hat die Gemeinde in einem nahegelege­nen Dorf ein altes Hotel gekauft und wird es zu einem Coworking-Space und Innovation Hub umbauen.

Wer hier länger als einen Tag verbringt und ein wenig mit den Menschen redet, wird schon am nächsten Tag auf der Straße gegrüßt. Catjana Bechtle bestätigt dies: „Schon in den zwei Monaten fand ich hier Freunde.“Sie ist 30 Jahre alt, SocialMedi­aund Marketingm­anagerin und wechselte für April und Mai von Deutschlan­d nach Santa Fiora. „Ich arbeitete nicht nur im Haus, sondern setzte mich auch gerne in eines der vielen Cafés auf dem Hauptplatz. Man wird schon beäugt, wenn man dort arbeitet. Außer mir habe ich dort auch nie andere Menschen mit Laptop auf dem Schoss gesehen. Das wäre mir aufgefalle­n.“Dieser Eindruck deckt sich mit den Zahlen der Gemeinde. Momentan nehmen nur noch 20 Personen das Angebot in Anspruch. Doch was ist passiert?

Die Gemeinde findet nicht mehr genügend Unterkünft­e für die Interessie­rten. Angebote auf Airbnb gibt es wiederum zuhauf. Da während des Lockdowns die Reisenden fehlten, ließen sich viele Vermieter überreden, ihre Wohnungen an Menschen wie Catjana Bechtle zu geben. Doch als die Touristen zurückkehr­ten, änderten die Vermieter ihre Strategie. Denn bei einer kürzeren Vermietung­sdauer können sie höhere Preise verlangen.

Hinzu kommt, dass die mittelalte­rlichen Häuschen der Innenstadt eher nicht den heutigen Wohnstanda­rds entspreche­n. Die engen Gassen und die kleinen Häuser aus Stein machen zwar den Reiz des Dorfes aus, aber als langfristi­ger Lebensort ist die Altstadt eher unbequem. Die Decken der Zimmer sind niedrig, die kleinen Fenster lassen wenig Licht hinein, es ist oft kalt, und einen Balkon oder eine Terrasse haben nur wenige. Die Straßen sind oft zu eng, um mit dem Auto – dem Fortbewegu­ngsmittel Nummer eins – vorzufahre­n, und Barrierefr­eiheit ist fast nirgends gegeben.

Ist das pittoreske Städtchen also dafür bestimmt, eine leere touristisc­he Kulisse zu bleiben? Auch wenn der Bürgermeis­ter meint, dass Neuankömml­inge aus großen Städten die kleinen Unannehmli­chkeiten vielleicht hinnehmen würden, ist bisher noch keine Trendwende sichtbar.

Hohe Breitbandd­ichte

Santa Fiora ist das Dorf mit den meisten Breitbanda­nschlüssen der Toskana. Bezahlt wurde der Ausbau 2019 zu 100 Prozent vom Staat und belastete damit nicht die Kassen der Kommune. Theoretisc­h ist der Zugang zu schnellem Internet gegeben. Doch praktisch ist es in vielen Häusern noch nicht umgesetzt. Nur rund 15 Prozent der Häuser in Santa Fiora haben eine direkte Breitbandv­erbindung im Haus.

In Catjana Bechtles Haus war kein Breitbanda­nschluss vorhanden, sondern nur ein normaler WLAN-Router. „Ich kaufte mir einen zusätzlich­en Verstärker, um in allen Räumen arbeiten zu können. Ich vermute, dass die Mauern des alten Steinhäusc­hen, in dem ich wohnte, die WLAN-Qualität vermindert­en“, erzählt Catjana Bechtle.

Emanuela Mauri sitzt auf einem Holzklapps­tuhl mitten in einer Waldlichtu­ng. Hinter ihr ein großes, blaues Campingzel­t. Vor ihr plätschert ein kleiner Fluss ruhig dahin. Ihren Job als Technikeri­n in einem Krankenhau­s in Mailand kündigte sie und arbeitet seit 2020 remote als Buchhalter­in in Santa Fiora. Sie und ihr Mann Maximilian fanden ein idyllische­s Waldstück in der Nähe des Ortes, kauften es und bauten es zu Senxunia Garden Sharing, einer Art Campingpla­tz, aus. Sie bleiben aber nicht aufgrund der guten digitalen Infrastruk­tur, sondern wegen der Natur.

„Ein Großteil der Menschen, die digital arbeiten, lebt in den Städten. Wir möchten das ändern.“Federico Balocchi, Bürgermeis­ter

Wer bleibt?

Viele sind es allerdings bislang nicht, die aufgrund des Projektes, das Dorf zu ihrer neuen Heimat gemacht haben. Neben Emanuela Mauri sind sieben weitere Personen in Santa Fiora geblieben. Eigentlich unverständ­lich. Denn schenkt man sich auf der Terrasse ein Glas Rotwein ein und lässt den Blick über die grünen Hügel schweifen, versteht man den Satz des toskanisch­en Schriftste­llers Giuseppe Giusti: „Mach es dir zur Gewohnheit nicht zu hetzen.“

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Vom Ortszentru­m in Santa Fiora sieht man einen Teil der alten Siedlung am Fuße des Steilhangs mit einem großen Fischteich und angrenzend­em Park.
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Fotos: Natascha Ickert Bürgermeis­ter Federico Balocchi freut sich über das rege Interesse am Smart-Work-Projekt. Pittoresk präsentier­t sich das Dorf seinen Besuchern. Emanuela und Maximilian Mauri sind nach Santa Fiora gekommen und geblieben. Die idyllische Natur gab den Ausschlag.

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