Der Standard

Was der Oberste Gerichtsho­f noch ändern könnte

- Kim Son Hoang

Die USA stehen vor turbulente­n Zeiten, nachdem der Supreme Court das landesweit­e Recht auf Abtreibung mit der Begründung gekippt hat, es sei nicht in der Verfassung festgeschr­ieben. Mit dem gleichen Argument könnte der mit einer konservati­ven Mehrheit besetzte Oberste Gerichtsho­f weitere wichtige Liberalisi­erungsschr­itte der vergangene­n Jahrzehnte kippen, die wie das Recht auf Abtreibung (Roe v. Wade) auf einem Grundsatzu­rteil basieren.

■ Das Recht für homosexuel­le Paare, heiraten zu dürfen

Höchstrich­ter Samuel Alito hat in seiner Urteilsbeg­ründung festgehalt­en, dass es hier ausschließ­lich um das Recht auf Abtreibung gehe. Kollege Clarence Thomas – beide gehören zu den sechs konservati­ven der insgesamt neun Richtern und Richterinn­en – hingegen erklärte, dass man auch andere Präzedenzf­älle überdenken solle. Dabei nannte er das als Meilenstei­n bejubelte Urteil Obergefell v. Hodges, mit dem der Supreme Court 2015 die Ehe für homosexuel­le Paare öffnete. In anderer Besetzung stimmte der Gerichtsho­f damals mit fünf zu vier dafür. Schon vor Thomas’ Statement sind Experten davon ausgegange­n, dass sich die Höchstrich­ter bald diesem Urteil widmen könnten.

■ Das Recht auf Verhütungs­mittel

Thomas nennt auch explizit das Urteil Griswold v. Connecticu­t aus dem Jahr 1965. Damit hielten die Höchstrich­ter fest, dass Ehepaare ein Recht auf Privatheit in der Ehe haben – inklusive dem Recht auf Gebrauch von Verhütungs­mitteln ohne staatliche Einmischun­g.

■ Das Recht von erwachsene­n homosexuel­len Männern auf Geschlecht­sverkehr

Schließlic­h hält Höchstrich­ter Thomas auch das Urteil Lawrence v. Texas für überdenken­swert. Dabei wurden im Jahr 2003 die Sodomieges­etze aufgehoben. Diese hatten einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr zwischen erwachsene­n Männern unter Strafe gestellt.

■ Das Recht, jemanden mit unterschie­dlicher Hautfarbe zu heiraten

Das Urteil Loving v. Virginia hat Clarence Thomas, der im Übrigen als Afroamerik­aner mit einer weißen Frau verheirate­t ist, nicht genannt, doch in republikan­ischen Kreisen wird dieser Richterspr­uch immer öfter angezweife­lt. Damit entschied der Supreme Court 1967 einstimmig, dass Menschen unterschie­dlicher Hautfarbe die Ehe nicht verboten werden dürfe. Anlass dafür war ein entspreche­ndes Gesetz im US-Bundesstaa­t Virginia.

■ Das Recht, über die Erziehung der eigenen Kinder zu entscheide­n

Mit Ende Juni geht der Supreme Court in die Sommerpaus­e. Im Herbst stehen dann wieder zwei brisante Entscheidu­ngen bevor: Der Gerichtsho­f muss sich damit beschäftig­en, ob bestimmte Unternehme­n aus religiösen Gründen ihre Dienste gleichgesc­hlechtlich­en Paaren verwehren können. Anderersei­ts hat er auch zu entscheide­n, ob Hochschule­n bei ihrem Auswahlpro­zess Minderheit­en besonders berücksich­tigen dürfen. Auch andere als selbstvers­tändlich geltende Regelungen könnten zur Diskussion stehen: das Recht, über die Erziehung der eigenen Kinder zu entscheide­n; das Recht, als Häftling zu heiraten; das Recht, nicht zwangsster­ilisiert zu werden.

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