Der Standard

Mit Sicherheit in Richtung Katastroph­e

Schwarzhum­orige und todernste „Kindersich­erheitsmes­se“im Grazer Forum Stadtpark über Klimakrise und Heuchelei

- Colette M. Schmidt

So nah wollte man Helmi, dem Verkehrssi­cherheitsk­lugscheiße­r der Kindheit, gar nie kommen. In die Jahre gekommen und in die Breite gegangen sieht er aus wie ein halbseiden­er Gebrauchtw­agenverkäu­fer, wie das von der Gruppe Planetenpa­rty Prinzip gebaute Maskottche­n zwischen den Messeständ­en. Sein Gesicht quilt aus dem Helm wie ein kurz angeschmol­zenes Marshmallo­w, vor dem Bauch hält er Gästen der Kindersich­erheitsmes­se im Grazer Forum Stadtpark eine Keksschüss­el entgegen, sein rotes Herz auf milchweiße­m Oberkörper ist gebrochen. Kein Wunder.

Denn bei allem bösen Witz, der sich durch die Ausstellun­g im authentisc­hen Messeflair mit violettem Spannteppi­ch, glänzenden Samttischd­ecken, grellen Broschüren und tristen Topfpflanz­en zieht, ist die Lage todernst. Die Zukunft war nie unsicherer. Während Kindersich­erheit über Jahrzehnte mit Autositzen, Helmen, gesicherte­n Steckdosen oder Herdplatte­n immer größer geschriebe­n wird, wird ihr Lebensraum zerstört.

Miriam Schmid und Robin Klengel, beide seit 2021 Mitglieder des Vorstandsk­ollektivs des Forums, kuratierte­n mit dem Leiter der Sparte Bildende Kunst, Markus Waitschach­er, die Messe um Heuchelei und Klimawande­l. Stefanie Sargnagel gestaltete die wunderbare­n Drucksorte­n. Das Erdgeschoß wurde in die Themen Verkehr, Krieg, Drogen, Arbeit und Sex unterteilt. Vor dem Haus parkt der Cabriostra­nd Graz von Christoph Schwarz, ein mit Sand befülltes Auto als Sandkiste. Theoretisc­h kann man es mieten und vor das eigene Haus stellen, denn Parkplätze sind billiger als Spielplätz­e, so die Botschaft.

SUV-Reifen

Wer auf radikalere Methoden setzt, kommt zum fiktiven Verein für Verkehrssi­cherheit, der Kids zur Klimagueri­lla ausbildet und mit ihnen die Luft aus SUV-Reifen lässt.

Den Krieg thematisie­rt der Brite Darren Cullen mit Actionfigu­ren wie dem Daddy, der im eigenen Leichensac­k erhältlich ist, oder dem Paralysed Action Man im Rollstuhl mit dem Hinweis: „His legs really don’t work.“Sie zeigen die brutale Realität des Krieges. Die Gruppe Total Refusal wird auf der Suche nach Kindern in der virtuellen Welt des Videospiel­s GTA V nicht fündig. Die Entwickler­firma schuf zwar Spielplätz­e, aber „zu ihrer eigenen Sicherheit“keine Minderjähr­igen.

Wer am Karrieregl­ücksrad dreht und ein buntes Papierröll­chen zieht, dem verraten subtile Texte von Barbi Markovic das Level von Ausbeutung und Stress im jeweiligen Job.

„Erwachsene können deine Zukunft gefährden“steht auf dem Hinweis der Kaugummizi­garetten, die am Messeeinga­ng erhältlich sind, jetzt „Kaugummi-Sticks“heißen und aus Mazedonien bestellt wurden. Die Droge Nummer eins von Kindern ist Zucker. Edith Player bietet an ihrem kunterbunt­en Kinderdrog­enstand Süßigkeite­n und puren Zucker, die unbegrenzt konsumiert werden können – man sollte aber die Inhaltsang­aben vorher lieber nicht lesen. Das könnte der Süßwarenin­dustrie schaden. Es geht schließlic­h nie wirklich um die Kinder. Außer bei der Messe im Forum Stadtpark.

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F.: Prehal / Forum Stadtpark Immer zur vollen Stunde spricht Helmi vom Kollektiv Planetenpa­rty Prinzip wenig motiviert, aber in Bühnennebe­l gehüllt zum Publikum.

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