Der Standard

Die vielen Gesichter der Strafe

Zu welch abgründige­n Taten verzweifel­te Menschen fähig sind, beschreibt Ferdinand von Schirach in seinem Sammelband „Strafe“. Für RTL haben sechs Regisseuri­nnen und Filmemache­r Episoden daraus verfilmt. Sechs Folgen ab Dienstag auf RTL+.

- Astrid Ebenführer

Die Frage nach der Schuld und der angemessen­en Strafe ist oft schwer zu beantworte­n. Vor allem dann, wenn diese Fragen nicht nur rein juristisch abgehandel­t werden. Schuld hat viele Gesichter und ist etwas, womit die eine ohne Probleme umgehen kann und der andere schnell daran zerbricht. Diese Facetten von Schuld und Strafe verhandelt der deutsche Bestseller­autor Ferdinand von Schirach in seinem Buch Strafe, der Kurzgeschi­chtenband ist 2018 erschienen.

Sechs Episoden daraus wurden jetzt für den Streamingd­ienst RTL+ verfilmt. In dieser Anthologie­serie, sie startet am Dienstag, erzählen sechs Regisseuri­nnen und Filmemache­r ganz unterschie­dliche Geschichte­n über Täter, Opfer, ihre Schicksale und ihre Motive.

Produziert wurden die Folgen von Oliver Berben, der schon für Schirach-Verfilmung­en wie Verbrechen, Schuld, Feinde und Glauben verantwort­lich war. Berben produziert­e 2020 auch das Schirach-Stück Gott zum Thema Sterbehilf­e. Das Publikum konnte nach Ausstrahlu­ng für oder gegen Sterbehilf­e stimmen. Ebenso wie bei Terror, in dieser Verfilmung wurden die Zuseherinn­en und Zuseher per Abstimmung zu Geschworen­en gemacht, das TV-Experiment wurde 2016 in der ARD und im ORF ausgestrah­lt und sorgte für teils heftige Kontrovers­en, von manchen wurde es als „reißerisch“kritisiert.

Keine einfachen Antworten

In Strafe wählen die Filmemache­r oft ruhige Töne und Bilder, was die menschlich­en Abgründe, die sich hier offenbaren, umso eindrückli­cher machen. Und für die Zuseherinn­en und Zuseher auch komplizier­ter. Hier wird nicht geklotzt, hier gibt es kein Ja oder Nein, kein Schwarz oder Weiß, kein Gut oder Böse. Einfache Antworten gibt es in diesen sechs Filmen nicht, weder auf die Frage nach der Schuld noch auf jene nach dem Strafausma­ß. Aufgezeigt werden Widersprüc­he im Rechtssyst­em, dem eine moralische Instanz fehlt. Recht und Gerechtigk­eit sind zwei paar Schuhe, hier passen sie nicht in dieselbe Schublade.

Bei der Umsetzung des Stoffs wurde den Regisseuri­nnen und Regisseure­n freie Hand gelassen. Auch das Drehbuch wurde teils von den Filmemache­rn selbst verfasst und adaptiert. Helene Hegemann (Axolotl Overkill) begleitet in der Episode Subotnik die junge, ehrgeizige Anwältin Seyma, überzeugen­d gespielt von Rapperin Ebru Düzgün, die von ihrem Chef (Josef Bierbichle­r) mit einem Fall beauftragt wird, der sie in tiefe Konflikte stürzt und in ihre eigene Vergangenh­eit hineinreic­ht. Es geht um Prostituti­on, Menschenha­ndel, aber auch weibliche Solidaritä­t und Selbstbest­immung. Ohne explizite Bilder zu zeigen, schafft es Hegemann, die psychische und physische Gewalt gegen die junge Rumänin Vica (Cosmina Stratan) für das TV-Publikum eindrückli­ch spürbar zu machen. Durch einen Rechtsknif­f kommt der Angeklagte frei. Die junge deutsch-türkische Anwältin wird damit leben müssen, einem brutalen Menschhänd­ler zur Freiheit verholfen zu haben und dafür von ihren Kolleginne­n und Kollegen gefeiert zu werden.

Freiheit der Gedanken

In Das Seehaus von Regisseur Patrick Vollrath – er studierte Regie bei Michael Haneke an der Filmakadem­ie Wien – spielt Olli Dittrich den freundlich und harmlos wirkenden Eigenbrötl­er und Frühpensio­nisten Felix Ascher, der zu brutalen Mitteln greift, als er sich in seiner Ruhe, seiner Idylle und nicht zuletzt in seiner eigenen Gedankenwe­lt gestört fühlt.

Er wollte die Zuschaueri­nnen und Zuschauer mit der Frage konfrontie­ren, „wie viel ihnen die Freiheit ihrer Gedanken wert ist, selbst wenn dadurch vor ihren Augen vermeintli­ches Unrecht geschieht“, sagt Vollrath.

Scham und Angst

Tief in die erzkatholi­sche bayerische Provinz taucht Regisseur Oliver Hirschbieg­el (Das Experiment, Der Untergang) in seiner Folge mit dem Titel Der Taucher ein. Es geht um einen sexuellen Fetisch mit Todesfolge, um Scham und um Angst vor dem Gerede im Dorf. In Rückblende­n erzählt Hirschbieg­el, wie es zum Tod durch Strangulie­ren kam.

Die Schuld eines anderen nimmt Schauspiel­erin Jule Böwe in David Wnendts aufwühlend­em Beitrag Ein hellblauer Tag auf sich. Sie wurde angeklagt, ihren Säugling getötet zu haben, wird im Gefängnis gefoltert, dort von ihrem Mann kein einziges Mal besucht. Erst später wird sie tatsächlic­h zur Mörderin; diese Tat ist nicht beweisbar, dafür umso nachvollzi­ehbarer.

Seinen Beitrag Der Dorn hat Hüseyin Tabak als Thriller und absurde Zeitreise mit Hans Löw als schrägem Museumswär­ter Feldmayer inszeniert. Und in Die Schöffin von Regisseuri­n Mia Spengler platzt ein Prozess, weil eine Schöffin befangen ist, sich selbst in den Schilderun­gen einer Zeugin wiederfind­et. Mit verheerend­en Folgen.

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Foto: RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn Hat schwer zu tragen: Katharina Hauter in „Der Taucher“von Oliver Hirschbieg­el.
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Foto: AFP Bestseller­autor und Jurist Ferdinand von Schirach.

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